Baku. Seit einer Woche laufen in Baku die ersten Europaspiele der Sportgeschichte. Die Gastgeber mühen sich, aber es gibt zwei Probleme.
Nikolai Arutjunow wusste, dass die Masse ihn verlieren sehen wollte. Es überraschte ihn kaum, dass er auf dem Weg zum Boxring ausgebuht wurde, schließlich war es all seinen Landsleuten zuvor auch so ergangen, egal, in welcher Sportart sie angetreten waren und woher ihr Gegner stammte. Der armenische Halbschwergewichtler gab sein Bestes, unterlag aber dem Polen Jordan Kulinski verdient nach Punkten, und als der DJ nach der Urteilsverkündung „That’s the way I like it“ einspielte, war auch der letzte Rest von Neutralität durch die Boxen der Crystal Hall verhallt.
So geht es tagein, tagaus in Baku, der Hauptstadt der von Staatsoberhaupt Ilham Alijew totalitär regierten Republik Aserbaidschan, die seit vorvergangenem Freitag Gastgeber der ersten Europaspiele der Sportgeschichte ist. Wenn ein Mitglied der 25 Athleten umfassenden armenischen Mannschaft antritt, wird gebuht und gepfiffen, was die Lunge hergibt. Das mag der olympischen Idee von Frieden und Fairplay zwischen den Völkern der Welt entgegenstehen, angesichts der Historie zwischen Aserbaidschan und Armenien aber hält sich die Abneigung in Grenzen, die in westeuropäischen Fußballstadien bei brisanten Derbys oft deutlich überschritten wird.
Deutschlands Medaillengewinner von Baku
Seit 1988 kommt es in der Region Berg-Karabach, die sich zwar für unabhängig erklärt hat, aber von keinem Staat der Welt anerkannt wird, immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Armeniern und Aseris. Dass überhaupt eine armenische Delegation in Baku am Start ist, würdigen hochrangige Vertreter des Sports wie Thomas Bach, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), regelmäßig als große Errungenschaft.
Armeniens Teilnahme befürworten selbst die verfeindeten Nationen
Die verfeindeten Nationen empfinden ebenso. Der armenische Betreuer Karen Gilojan stellt „eine Annäherung in kleinen Schritten“ fest, man fühle sich in Baku sicher, „auch wenn wir das Athletendorf nur für Training und Wettkampf verlassen“. Der aserbaidschanische Journalist Elgiz Nabili, der für den unabhängigen Privatsender ANS TV arbeitet, sagt: „Wir halten die Armenier für schwach, weil sie mithilfe der Russen unser Land in Karabach geraubt haben. Aber dass sie teilnehmen, das finde ich gut und wichtig.“ Sogar ein Interview mit Mitgliedern des armenischen Teams habe er geführt.
Überhaupt fällt das Bemühen auf, mit dem die Gastgeber Annäherung an ihre internationalen Gäste suchen. Ein Heer von Helfern – der Zusatz „freiwillig“ ist bei Zwölfstundenschichten und täglichem Wechsel von Tag- und Nachtdienst immerhin infrage zu stellen – steht bereit, um Fragen zu beantworten, Wege zu weisen oder einfach nur freundlich zu grüßen. Dennoch gibt es zwei Probleme: Der größte Teil der Einheimischen spricht kein Englisch, was das Beantworten von Fragen deutlich verkompliziert, sofern der Fragende des Russischen nicht mächtig ist. Und: Außer den rund 800 akkreditierten Medienvertretern, die meisten davon aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion, und den Delegationen der 50 teilnehmenden Nationalen Olympischen Komitees sind internationale Gäste kaum auszumachen. Baku hat auf Schlachtenbummler anscheinend keinen Reiz ausgeübt.
Gleiches gilt in Bezug auf die Einheimischen auch für die meisten Sportarten. Trotz moderater Eintrittspreise zwischen einem und fünf Manat (80 Cent bis 4,30 Euro) bleiben beim Bogenschießen, Volleyball oder Tischtennis viele Plätze in den hochmodernen – und bei Außentemperaturen von 34 Grad angenehm temperierten – Arenen frei. Nur wenn Kampfsport ansteht, sind die Aseri Feuer und Flamme für ihre Europaspiele. Die beste Stimmung herrscht beim Ringen, dem bei den zehn Millionen Einwohnern des Landes beliebtesten Nationalsport. Angefeuert werden grundsätzlich nur einheimische Athleten – oder die Sportler aus der Türkei, dem ebenfalls mit den Armeniern verfeindeten Brudervolk.
Sechs der 20 in Baku vertretenen Disziplinen sind Kampfsportarten
Sechs der 20 Sportarten in Baku – neben den olympischen Disziplinen Ringen, Boxen, Taekwondo und Judo schafften es auch Karate und das in der Sowjetarmee entwickelte Sambo ins Programm – sind Kampfsportarten. „Wir sind eine heißblütige Nation, der Kampf ist seit jeher Teil unserer Geschichte“, sagt Journalist Nabili, „jeder Mann muss so mutig und stark sein, um seine Familie verteidigen zu können. Deshalb lieben wir alle den Kampfsport.“ Das schließt auch Frauen ein, die im muslimisch geprägten Aserbaidschan (85 Prozent der Bevölkerung hängt dem schiitischen Islam an) keine Unterdrückung wie in Mullah-Staaten zu beklagen haben und beim Kampfsport auf den Tribünen lautstark mitgehen.
Die Organisatoren haben die Kampfsportarten geschickt über die gesamten 16 Wettkampftage verteilt, um Stimmung und Medaillenchancen für Aserbaidschan auf konstant hohem Niveau zu halten. Eine Rechnung, die bislang aufgeht. Mit zwölf Gold-, fünf Silber- und zwölf Bronzemedaillen belegt der Gastgeber im Medaillenspiegel nach sieben Wettkampftagen Rang zwei. Russland (27/11/10) führt, Deutschland (6/7/8) ist Vierter.
„Die Spiele sind sehr gut organisiert, erfüllen diesbezüglich olympischen Standard“, sagt Dirk Schimmelpfennig, Chef de Mission des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), „wir haben uns bislang gut präsentiert und wollen die zweite Woche genauso erfolgreich und sinnvoll nutzen.“ Eine offizielle Zwischenbilanz will der DOSB am Sonntag ziehen.