Nach seinem Triumph bei der Leichtathletik-EM erinnerte sich Harting an ein Veto seiner Großmutter und verzichtete auf den etablierten Trikotriss. Gejubelt wurde trotzdem ausführlich - aus einem einfachen Grund.

Zürich. Wieder einmal hat Robert Harting den großen Wurf gelandet. Der Olympiasieger und dreifache Weltmeister verteidigte bei den Europameisterschaften in Zürich seinen Titel mit dem Diskus trotz schwieriger Bedingungen. Am Ende eines chaotischen EM-Tages reichten Harting 66,07 Meter. Zuerst kniete er nieder und küsste er den Betonring, dann mit nacktem Oberkörper sein Trikot. Diesmal zerriss er es beim Titeljubel aber nicht – seine Oma wollte es so.

„So schlecht und gleichzeitig so gut war ich noch nie“, sagte Harting: „Die Bedingungen waren sehr schwierig, der Ring unheimlich glatt – ich bin happy. Der Titel rangiert für mich dicht hinter dem Olympiasieg.“

Der Kapitän der deutschen Leichtathleten bescherte seinem Team das zweite Gold in Zürich nach Kugelstoßer David Storl. Die Leipzigerin Cindy Roleder hatte zuvor mit Bronze im Hürdensprint überrascht.

Der Mittwoch im Letzigrund-Stadion wurde kräftig von Regen, Windböen und einer Sturmwarnung durcheinandergewirbelt. Dabei kamen einige deutsche Medaillenkandidaten nicht ungeschoren davon. Auf der Tribüne fror bei 13 Grad auch der Stargast des Abends: Supersprinter Usain Bolt aus Jamaika.

Unter dessen Augen verpasste der Franzose Christoph Lemaitre über 100 Meter seinen dritten Titel hintereinander und musste sich als Zweiter in 10,13 Sekunden dem Briten James Dasaolu (10,06) geschlagen geben. Der Berliner Lucas Jakubczyk kam als Fünfter ins Ziel. Julian Reus aus Wattenscheid war zweieinhalb Wochen nach seinem 10,05-Sekunden-Rekordlauf von Ulm im Halbfinale gescheitert.

Chaotischer Diskus-Wettbewerb

Der Diskus-Wettbewerb wurde wegen der Wetterkapriolen immer weiter nach hinten verschieben und am Ende blickten die verbliebenen Zuschauer alle auf die Werfer um Harting. Der 29-Jährige landete die entscheidende Weite im dritten Versuch und hielt damit den Esten Gerd Kanter (64,75), Olympiasieger von 2008, und den Polen Robert Urbanek (63,81) auf Abstand.

In Zürich warf Harting mit neuen Schuhen und verzichtete deshalb auf Socken. „Um ein besseres Gefühl zu haben“, wie er sagte. Den angestrebten Meisterschaftsrekord verpasste er aber.

Zudem verzichtete Harting nach dem letzten Wurf auf seinen weltberühmten Jubel und ließ sein Trikot heil. Er zerriss es nicht, weil seiner Oma Renate diese Geste nicht gefalle. „Und diesen Wunsch werde ich ihr erfüllen“, hatte Harting in der „Bild“-Zeitung angekündigt und hielt Wort. Stattdessen kuschelte er mit seinem Trikot.

Zehnkämpfer Kazmirek vergibt Vorsprung

Lauthals jubelte Cindy Roleder nach dem Finale über 100 Meter Hürden: Die 24-Jährige feierte mit dem dritten Platz in 12,82 Sekunden den größten Erfolg ihrer Karriere, dabei war sie nach einem Ausflug in den Siebenkampf erst wieder zu ihrer Lieblingsdisziplin zurückgekehrt. „Ich kann gar nicht viel sagen. Ich habe einfach versucht, dranzubleiben und mich ins Ziel zu werfen“, sagte sie fassungslos im ZDF. Die Britin Tiffany Porter weinte nach ihrem Sieg in 12,76 Sekunden Freudentränen.

Im Zehnkampf verschenkte Halbzeit-Spitzenreiter Kai Kazmirek in einem vom Winde verwehten Stabhochsprung viele Punkte: Mit 4,60 Meter blieb der 23-Jährige von der LG Rhein-Wied 60 Zentimeter unter seiner persönlichen Bestleistung und rutschte am Ende mit 8458 Punkten auf Rang sechs zurück. „Das war technisch eine Katastrophe. So schlecht bin ich seit Jahren nicht gesprungen“, klagte Kazmirek. Noch einen Platz vor ihm landete der Ulmer Arthur Abele mit 8477 Zählern bei seinem internationalen Comeback nach sechs Jahren. Die EM-Krone setzte sich der Weißrusse Andrej Krautschanka (8616) auf.

Eindrucksvolles Comeback von Mo Farah

In Doppel-Olympiasieger Mo Farah meldete sich ein internationaler Laufstar eindrucksvoll zurück. Der britische Held von London 2012 gewann zum zweiten Mal nach 2010 über 10.000 Meter ganz souverän in 28:08,11 Minuten nach einer starken Schlussrunde. Der Tübinger Arne Gabius hatte auf einen Start verzichtet und will sich auf das Duell am Sonntag mit Farah auf der 5000-Meter-Distanz konzentrieren. Vor zwei Jahren in Helsinki war Gabius hinter ihm strahlender EM-Zweiter geworden. Farah konnte bei den Commonwealth Games vor zwei Wochen in Glasgow nicht antreten, weil er zuvor nach einer Trainingseinheit zusammengebrochen war und vier Tage in einem Krankenhaus lag.

Die 100-Meter-Finals fanden am Abend ohne deutsche Sprinterinnen statt. Ex-Europameisterin Verena Sailer aus Mannheim verpasste nach 11,24 Sekunden im dritten Halbfinale denkbar knapp das Rennen um die Medaillen: Céline Distel-Bonnet aus Frankreich rutsche mit der gleichen Zeit ins Finale – vier Tausendstelsekunden entschieden am Ende. Auch die deutsche Titelgewinnerin Tatjana Pinto schied aus Erstmals Europameisterin wurde die favorisierte Niederländerin Dafne Schippers in 11,12 Sekunden.

Im Weitsprung verpassten beim Erfolg der Französin Eloyse Lesueur mit 6,85 Metern die deutschen Teilnehmerinnen die erste Medaille seit Heike Drechsler 1998 ganz unglücklich. Malaika Mihambo von der LG Kurpfalz wurde in 6,65 Metern Vierte – wegen des schlechteren zweitbesten Sprungs im Vergleich zu der Russin Darya Klischina.