Schalkes Sportdirektor Horst Heldt hätte nicht gedacht, dass ein Verein „so viel Geld für einen 19-Jährigen bezahlt“. Im Nachhinein ärgert er sich, die festgeschriebene Ablösesumme von 45,5 Millionen Euro nicht höher angesetzt zu haben.

Hamburg. Sportvorstand Horst Heldt hat erstmals in seiner Zeit bei Schalke 04 in größerem Stil eingekauft. Im Interview spricht der 43-Jährige über Ausstiegsklauseln, Julian Draxler und den Erzrivalen Borussia Dortmund.

„Herr Heldt, Sie haben in diesem Sommer bisher rund 15 Millionen Euro für neue Spieler ausgegeben. In den Jahren zuvor mussten Sie sich mit ablösefreien und Leihspielern begnügen. Konnten Sie erstmals den Kader von Schalke 04 so aufstellen, wie Sie sich das vorstellen?“

Horst Heldt: „Die Verpflichtungen waren dringend notwendig, um den Konkurrenzkampf weiter zu erhöhen. Es freut mich, dass wir zum ersten Mal in meiner Zeit hier ein bisschen Geld in die Hand nehmen und ich die Kriterien Qualität und Mentalität an oberste Stelle setzen kann.“

„Ist die aktuelle Mannschaft für die Champions League ausgerichtet? Oder würden Sie im Fall der Qualifikation noch mal nachlegen?“

Heldt: „Wir sind mit diesem Kader gut aufgestellt, um uns für die Gruppenphase zu qualifizieren. Wenn wir es nicht schaffen, wird es keine Auswirkungen haben. Wir werden aber auch nicht mehr nachlegen, wenn wir sie erreichen.“

„Alle Neuzugänge, Felipe Santana, Christian Clemens, Adam Szalai und Leon Goretzka, haben Sie mit Hilfe von Ausstiegsklauseln verpflichtet. Man nennt Sie schon 'Mister Klausel'. Haben Sie alle Klauseln im Kopf?“

Heldt: „Wahrscheinlich nicht mehr als alle anderen. Dass Adam Szalai eine Klausel hatte, wussten die anderen 16 Bundesligavereine auch.“

„Aber Zufall ist es auch nicht, oder?“

Heldt: „Natürlich ist es in vielerlei Hinsicht einfacher. Ich muss mich nur mit dem Spieler einigen und habe den Verein nicht als Streitpartner.“

„Ist es ein Trend, immer mehr Verträge mit Ausstiegsklauseln auszustatten?“

Heldt: „Es breitet sich immer weiter aus, aber es ist kein Virus. Es hilft, Planungssicherheit zu haben. Wenn es Interesse an einem unserer Spieler gibt und die Ablöse frei verhandelbar ist, dann zieht es sich wie ein Kaugummi und kann ohne Ende nerven – nicht nur den aufnehmenden, sondern auch den abgebenden Verein. Mit einer Klausel kann man schneller agieren.“

„Auch Julian Draxler hat eine Ausstiegsklausel.“

Heldt: „In dem Fall habe ich schlaflose Nächte gehabt. Ich habe nicht gedacht, dass tatsächlich Vereine so schnell so viel Geld für einen 19-Jährigen bezahlen wollen.“

„Warum ist der Betrag mit 45,5 Millionen Euro eigentlich so krumm?“

Heldt: „Das weiß ich auch nicht mehr. Damals hat Julian gesagt, so eine Summe sei utopisch. Jetzt ärgere ich mich, dass ich sie nicht noch höher angesetzt habe.“

„Ihre größten Transfers sind bislang Verkäufe: Mario Gomez 2009 für 30 Millionen von Stuttgart und 2011 Manuel Neuer für 27 Millionen, inklusive Nachschläge, von Schalke jeweils zum FC Bayern. Ist es nicht unbefriedigend, wenn man die großen Spieler immer abgeben muss?“

Heldt: „Ich denke, ich habe nicht schlecht verkauft. Sowohl in Stuttgart als auch in Gelsenkirchen haben wir das Geld gut gebraucht.“

„Aber frustriert es nicht, die Besten abzugeben?“

Heldt: „Juventus Turin, Barcelona, Real Madrid, ManCity, ManUnited, Chelsea und Bayern sind die Topvereine, die kaufen. Alle anderen, selbst Inter und AC Mailand, Arsenal oder auch wir, sind Verkaufsvereine, die ihre Topspieler abgeben, weil sie sich refinanzieren müssen.“

„Also ist Schalke groß genug, um die besten 17-, 18-Jährigen zu verpflichten, aber zu klein, um sie auf Dauer zu halten?“

Heldt: „Wir sind nicht nur in der Alterstufe in der Lage, Spieler zu holen und zu halten. Julian Draxler, der zu den Top Drei in Europa auf seiner Position gehört, wird natürlich von allen gejagt. Wir wollen ihn nicht verkaufen. Aber dafür müssen wir wirtschaftlich gut aufgestellt sein und gute sportliche Rahmenbedingungen schaffen. So weit sind wir noch nicht.“

„Wann könnte sich das ändern? Wenn man fünf Jahre am Stück in der Champions League gespielt hat?“

Heldt: „Wir kommen schon einen Riesenschritt vorwärts, wenn wir dieses Jahr die Gruppenphase erreichen. Drei, vier Jahre nacheinander wären optimal. Dann könnte man die nächste Stufe erreichen.“

„Wenn ich wetten würde, dass Draxler nächsten Sommer geht, würden Sie dagegen halten?“

Heldt: „Ja.“

„Warum?“

Heldt: „Es kann sein, dass wir eine gute Saison spielen, es ihm sehr viel Spaß macht, er sich richtig platziert sieht und dann überzeugt ist, länger zu bleiben. Es kann auch ganz viel Negatives passieren, und er bleibt am Ende. Ich glaube nicht, dass er schon als Abgang nächstes Jahr feststeht. Er hat schon zweimal seinen Vertrag verlängert. Er hätte alle Trümpfe in der Hand gehabt, wenn er es nicht gemacht hätte, dann wäre sein Vertrag jetzt ausgelaufen.“

„Schalke träumt seit nunmehr 55 Jahren von der achten Meisterschaft. Ist der Titel durch die aktuellen Kräfteverhältnisse erst mal blockiert?“

Heldt: „Solange ich Fußball miterlebe, ist der FC Bayern immer der Topfavorit. Und wenn sie nicht viel falsch machen, werden sie auch wieder deutscher Meister. Aber es sind auch immer wieder andere Meister geworden – Stuttgart, Wolfsburg, Dortmund. Es bleibt eine reizvolle Aufgabe, zu versuchen, diese Dominanz auch mal zu knacken.“

„Dortmund hat in den vergangenen Jahren aufgeschlossen. Gibt es jetzt spanische Verhältnisse in der Bundesliga?“

Heldt: „Letztes Jahr war keine Mannschaft in Europa auf dem Niveau von Bayern.“

„Wie nahe ist Schalke an Dortmund dran?“

Heldt: „Ich glaube, dass sie nicht weit weg sind. Sie sind zweimal Meister geworden, weil sie richtig gut gearbeitet haben. Aber dennoch werden wir immer in der Lage sein, mit ihnen zu konkurrieren – weil sie auch noch ein Verkaufsverein sind, weil auch sie ihre besten Spieler abgeben.“

„Dortmund galt in den letzten Jahren als Vorbild. Hat sich daran etwas verändert?“

Heldt: „Dortmund wäre vor einigen Jahren platt gewesen, wenn die Aktionäre nicht auf ihr Geld verzichtet hätten. Sie haben alles auf null gedreht, und alle sind mitgegangen, dabei haben viele Leute ihr Geld verloren. Wir haben Verbindlichkeiten von 170 Millionen, die wir aber zurückzahlen. Das sind ganz andere Voraussetzungen. Sie haben danach ganz viel richtig gemacht, den vielleicht besten deutschen Trainer verpflichtet, gute Transfers getätigt und alte Zöpfe abgeschnitten.“

„Umso mehr muss es Sie doch freuen, dass ein Riesentalent wie Leon Goretzka, der vor zwei Jahren vielleicht noch zum BVB gegangen wäre, zu Ihnen gekommen ist.“

Heldt: „Ich glaube, dass es kein Zufall ist. Es ist eine Handschrift zu erkennen, wie wir mit unseren jungen Spielern umgehen, ihnen das Vertrauen schenken und sie weiterentwickeln.“