Wladimir Klitschko demonstrierte gegen Tony Thompson in Bern seine Klasse. Aber wer traut sich gegen das Schwergewicht noch in den Ring?
Bern. Es kann ein so grausamer Sport sein, das Boxen, und gleichzeitig ein so wunderbarer. Manchmal reicht ein Blinzeln, um die Welt, die gerade eingestürzt war, wieder in Ordnung zu bringen, und wo sonst ist es so gut möglich, dass ein Verlierer in der Stunde der Pein durch sein Verhalten und seine Worte zum Gewinner wird?
Tony Thompson hat an seine Kinder gedacht, als er in der Ringecke lag, schwer getroffen von Wladimir Klitschko, und Ringrichter Sam Williams aus England die Sekunden zählte, die den US-Amerikaner der Niederlage näher brachten. Die drei jüngsten seiner sieben Nachkommen, der elfjährige Charles, sein ein Jahr älterer Bruder Anthony Junior und Schwester Toni, 13, saßen am Ring und mussten miterleben, wie der Schwergewichts-Boxprofi ausgeknockt wurde. Den eigenen Vater am Boden zu sehen, das mag manches Kind traumatisieren. Thompson jedoch blinzelte Ehefrau Sydnee und den drei Kids zu, als er wieder auf den Beinen stand und nach 2:56 Minuten der sechsten Runde ausgezählt worden war: Es war das verabredete Zeichen, das der Familie bedeutete, dass alles okay war. "Kinder", sagte Thompson später, "sind stärker, als wir oft glauben. Schon in der Kabine haben wir wieder gescherzt und Pläne gemacht für Spielchen, die wir bald zusammen spielen wollen."
Das Spiel, das Klitschko in dieser lauen Sommernacht unter freiem Himmel vor 24 000 Fans im Berner Stade de Suisse und 8,36 Millionen bei RTL (Marktanteil 41,5 Prozent) spielte, war für Thompson, der als Pflichtherausforderer des Verbands IBF in die Schweiz gekommen war, mindestens eine Klasse zu hoch gewesen. Im Juli 2008 hatte er in Hamburg elf Runden lang nicht nur mitgehalten, sondern dem Ukrainer einen der härtesten Kämpfe in dessen Karriere geboten. Klitschko hatte das im Gedächtnis, und weil er wusste, dass er gegen den körperlich ähnlich konstituierten Rechtsausleger mit seiner linken Führhand keine Wirkung erzielen konnte, verlegte er sich früh darauf, die rechte Schlaghand einzusetzen und offener zu boxen als gewohnt. Dadurch wirkte seine Kampfführung zwar nicht so dominant, der Erfolg war jedoch durchschlagend. In Runde fünf traf er mit einer Rechten zum Kopf dermaßen hart, dass Thompsons Wille gebrochen war. "Er wollte nicht zeigen, wie schwer er getroffen war, aber schon da hätte ich den Fight abbrechen können", sagte Ringrichter Williams.
Dass Klitschko in Rückkämpfen stets ein besseres Resultat erzielt, ist keine neue Erkenntnis. Es war das vierte Rematch in der Karriere des 36-Jährigen, zum vierten Mal gewann er früher und klarer als im ersten Duell. Was beeindruckte, war die Leichtigkeit, mit der er seine Aufgabe diesmal erledigte. Seine Präsenz im Ring, diese Attitüde der Unbesiegbarkeit, das sind untrügliche Zeichen dafür, dass Klitschko vom Weltmeister zum Champion gereift ist. Seine Einmarschmusik, "Can't Stop" von den Red Hot Chili Peppers, ist längst zum Leitmotiv geworden.
"Es ist an der Zeit, dass Wladimir von allen den Respekt bekommt, den er verdient. Er ist auf dem Weg, eine Legende zu werden", lobte Thompsons Trainer Barry Hunter. Den Unterschied zum ersten Duell brachte Klitschkos Trainer Emanuel Steward auf den Punkt: "Tony hat in den vergangenen vier Jahren zu wenige Gegner von Format gehabt, während Wladimir viele harte Aufgaben lösen musste. Diese Erfahrung hat man heute gesehen. Ich bin überzeugt davon, dass Wladimir auch für die Schwergewichts-Stars vergangener Epochen eine große Bedrohung dargestellt hätte. Er gehört zu den ganz Großen unseres Sports."
Erst weit nach Kampfende ging Klitschko dann doch noch zu Boden, und der Mann, der das schaffte, war Quincy Jones. Die US-Musiklegende, 79, saß am Ring und wurde von Klitschko per Kniefall begrüßt. Ein Gegner, der den Ukrainer im Ring in die Knie zwingen könnte, ist dagegen nicht in Sicht.
Manager Bernd Bönte hat dennoch für Ende des Jahres den nächsten Kampf geplant - die Show muss ja weitergehen. Ausgetragen wird das Duell definitiv in Europa. Namen wie der des Polen Mariusz Wach oder des bulgarischen Europameisters Kubrat Pulev sind bereits gefallen; Gespräche hat es allerdings noch in keine Richtung gegeben. Tony Thompsons Name wird nicht mehr auftauchen. Er ist 40 Jahre alt, und seine klugen Kommentare nach dem Kampf klangen wie eine bittere Karrierebilanz. "Ich wünschte, ich hätte all die Dinge gehabt, die Wladimir hatte. Vielleicht wäre ich dann auch so ein großer Champion wie er. Aber der Sport hat mich nie geliebt", sagte er. Die Überzeugung, jeden anderen Schwergewichtler der Welt besiegen zu können, sei ihm geblieben. "Aber welchen Sinn macht es noch, wenn man den Champion nicht schlagen kann?"
Thompson kann sich damit trösten, eine Familie zu haben, die ihn auffängt. Für sie hat er mit dem Boxen angefangen, er wurde selten zu hart getroffen und hat gutes Geld verdient. Jetzt macht es Sinn aufzuhören. Boxen kann grausam sein und wunderbar, alles hat seine Zeit. Dies ist die Zeit Klitschkos.
Aktuelle Interviews zum Kampf finden Sie unter www.abendblatt.de/klitschko-interviews