Schiedsrichterwesen erneut erschüttert – Stiche gegen Kempter und Zwanziger – Vermittlung abgelehnt

Frankfurt. Manfred Amerell ist höflich, aber kurz angebunden am Telefon. „Bitte alles über meinen Anwalt. Danke“, sagt der 64-Jährige. Amerell will im Moment in der Öffentlichkeit nicht reden. Das hat er zuletzt reichlich mit den Steuerfahndern getan. Und damit 20 Monate nach dem Bekanntwerden der strittigen Affäre mit Referee Michael Kempter den Deutschen Fußball-Bund (DFB) und sein Schiedsrichterwesen einmal mehr erschüttert.

„Man muss wissen, wann das Spiel vorbei ist“, hatte Amerell damals im Zuge der öffentlichen Schlammschlacht mit Kempter gesagt. Es war eine Warnung, eine Drohung. Das Spiel sei vorbei. Doch seine eigenen Spielchen betreibt Amerell weiter. Diesmal hat er gleich einen großen Teil der ehemaligen Kollegen aufs Korn genommen.

Amerell hat die Steuerfahnder auf die Spur der Schiedsrichter gebracht – warum, darüber hat der frühere Schiedsrichter-Obmann des DFB bislang geschwiegen. Doch es ist anzunehmen, dass ihn mehr antreibt als ein bloßes Gerechtigkeitsgefühl. Amerell wirkt, als sei er auf einem Rache- und Vernichtungsfeldzug.

In den vergangenen Wochen war Amerell immer wieder bei den Beamten erschienen, um die Behörde bei der Untersuchung mit dem treffenden Code-Namen „Abseits“ mit Fakten und Daten zu möglichen Steuer-Unregelmäßigkeiten zu versorgen. Als die Ermittler vor zwei Wochen auf dem Anwesen von Kempter erschienen, war Amerell sogar persönlich vor Ort. Der ehemalige Top-Funktionär des Fußballs tut wenig, um den Eindruck zu vermeiden, als sei sein persönliches Interesse an dieser Sache sehr groß.

Um den Antrieb von Amerell in etwa nachvollziehen zu können, muss man sich noch einmal die Affäre mit Kempter vor Augen halten. Kempter, damals einer der hoffnungsvollsten deutschen Schiedsrichter und auf dem Sprung zum internationalen Referee beim Weltverband FIFA, hatte Amerell sexuelle Übergriffe vorgeworfen. Der DFB und sein Präsident Theo Zwanziger hatten sich frühzeitig auf die Seite von Kempter geschlagen und ihm zunächst Glauben geschenkt. Amerell trat nach offizieller Darlegung von seinen Ämtern beim Verband zurück.

Seitdem liegt Amerell mit Kempter und dem DFB im Rechtsstreit, seitdem sind Kempter und Zwanziger für ihn wie rote Tücher. Amerell kündigte an, dass Kempters Karriere ein frühzeitiges Ende nehmen werde und scheint damit recht zu behalten. Kempter hat kein Spiel mehr in der Bundesliga geleitet.

Und auch Zwanziger brachte Amerell jetzt einmal mehr in Erklärungsnot. Das vom DFB bemühte sogenannte Mediationsverfahren lehnte er lange Zeit ab, bis DFB-Vize Rainer Koch einen Vorstoß zur Friedensstiftung unternahm. Nur: Das Gespräch zwischen Koch und Amerell sei angeblich nicht mit Zwanziger abgestimmt worden. Behauptet Zwanziger. Und schob Koch von seinem Aufgabengebiet „Rechts- und Satzungsfragen“ zum unbedeutenderen Ressort „Prävention, Integration, Freizeit- und Breitensport“ ab. Nun soll Präsidiumskollege Rolf Hocke das Mediationsverfahren mit Amerell zum Erfolg führen. Doch jetzt will Amerell – nach eigener Aussage „verwundert über dieses fragwürdige demokratische Grundverständnis innerhalb des weltgrößten Sportfachverbandes“ – wiederum nicht mehr. Amerells Aussage und Weigerung ist ein weiterer Nadelstich gegen Zwanziger.

Das schmerzt, denn in der Außendarstellung hat der DFB bei den jüngsten Fan-Ausschreitungen und beim Steuerskandal der Schiedsrichter erneut ein schlechtes Bild abgegeben. So sieht es auch Franz Beckenbauer. Die Reputation des Fußballs insgesamt und gerade auch das Erscheinungsbild des DFB hätten gelitten, erklärte der „Kaiser“ im „kicker“-Interview.

Und Amerell? Sein derzeitiges Schweigen muss nichts Gutes bedeuten. Dass Amerell über genügend Insiderwissen und auch über den nötigen Antrieb verfügt, um den Schiedsrichtern und dem DFB Ärger zu bereiten, hat er schon reichlich bewiesen. Am 7. Dezember treffen sich Amerell und Kempter in Stuttgart zur nächsten Runde ihrer juristischen Fehde vor Gericht. Zudem sind im Steuerskandal weitere Enthüllungen möglich. Das „Spiel“ – um es mit Amerells Worten zu sagen – ist noch nicht vorbei.