“Dr. Steelhammer“ gewann den packenden Kampf über die vollen zwölf Runden nach Punkten. Damit sind alle vier WM-Titel in einer Familie vereint.
Hamburg. Der historische Triumph ist perfekt: Profi-Boxer Wladimir Klitschko hat seinen dritten WM-Titel erobert und zum ersten Mal in der Geschichte des Schwergewichtsboxens alle vier WM-Titel in einer Familie vereint. Der 35 Jahre alte Ukrainer besiegte Sonnabendnacht in Hamburg den Briten David Haye und holte sich dessen WBA-Titel im Schwergewicht. Zudem verfügt er über die Gürtel der Verbände WBO, IBF und IBO. Den WM-Gürtel des vierten Verbandes trägt Bruder Witali Klitschko, der Weltmeister nach der Version der WBC ist. Klitschko siegte in einem spannenden Kampf über die vollen zwölf Runden einstimmig nach Punkten (117:109, 118:108, 116:110). Der Schützling von Trainer Emanuel Steward baute seine Bilanz auf 56 Siege in 59 Kämpfen aus. Haye musste die zweite Niederlage in 27 Profi-Kämpfen hinnehmen.
„Ich freue mich über das Ergebnis. Ich muss sagen, es war nicht leicht, er war unheimlich schnell“, sagte Klitschko nach seinem Sieg. Die 45 000 Zuschauer in der Fußball-Arena des Hamburger SV, darunter etwa 13 000 Briten, hatten zuvor gesehen, wie sich die beiden Profi-Boxer in den ersten Runden belauerten. In dem als Kampf des Jahres gepriesenen Schwergewichts-Duell gab es anfangs auf beiden Seiten nur wenige gelungene Kombinationen. Der frühere Cruisergewichtsweltmeister Haye, der erst seinen fünften Kampf im Schwergewicht bestritt, hatte große Probleme an der linken Führhand vorbeizukommen. Klitschko hielt den 30-jährigen Briten auf Distanz.
Bei kühlen Temperaturen um 14 Grad und Regen taten sich beide etwas schwer, auf Betriebstemperatur zu kommen. In der fünften Runde gelang Klitschko eine klare Links-Rechts-Kombination, insgesamt hatte er aber Mühe, den sehr beweglichen Haye zu treffen. Es entwickelte sich kein hochklassiger, aber ein spannender Kampf, der von der Taktik geprägt war. Der Ukrainer landete dabei die klareren Treffer. „Ich habe alles gegeben, was ich konnte. Es war ein toller Fight“, sagte anschließend der geschlagene Haye, der dem Sieger „Respekt“ zollte. Er habe Probleme am Fuß gehabt. „Ich hatte einfach nicht die Explosionskraft in den Schlägen.“
Unter einer schützenden 24 mal 22 Meter großen Plane, die in 15 Metern Höhe über den Ring und die angrenzenden Zuschauerreihen gespannt war, trugen die beiden das als teuerstes Duell in der deutschen Box-Geschichte geltende Spektakel aus. Von mindestens acht bis zehn Millionen Euro Börse für jeden ist die Rede. Der Kampf wurde in 150 Länder übertragen. Die Zuschauer auf den teuren Plätzen in der Nähe des Rings schützten sich überwiegend mit Regencapes gegen das schlechte Wetter.
Klitschko hatte einen K.o.-Sieg prophezeit, um den vorlauten Rivalen zu bestrafen, wie er betonte. Mit andauernden Provokationen wie „beschissener Esel“, „Hyäne“, „Langweiler“ hatte der Brite Klitschko im Vorfeld des Kampfes gereizt. Selbst vor Fotomontagen auf T-Shirts, die geköpfte Klitschko-Brüder zeigten, hatte Haye nicht zurückgeschreckt. Auch beim Wiegen am Vortag des Kampfes soll er seinen Gegner als „Hurensohn“ beleidigt haben. (dpa)
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Der Kampf seines Lebens
Das Wiegen, das einen Tag vor Profiboxkämpfen ansteht, hat Wladimir Klitschko am Freitagmittag einen Vorgeschmack darauf gegeben, welche Stimmung ihn an diesem Sonnabend (21.45 Uhr/RTL) in der Imtech-Arena erwartet. 800 Fans des englischen WBA-Weltmeisters David Haye hatten sich im ebenso überfüllten wie überhitzten dritten Stock des Karstadt-Sporthauses am Hauptbahnhof eingefunden, um den WBO/IBF-Champion mit Schmähgesängen einzuschüchtern. Während Haye, mit 96,5 Kilogramm fast 14 Kilo leichter als sein sieben Zentimeter größerer Rivale, die Anfeuerungen mit wohlwollendem Kopfnicken zur Kenntnis nahm, tat Klitschko das, was er seit Tagen tut, wenn er seinen Rivalen trifft: Er lächelte.
Wo auch immer der 35-Jährige auftrat in den Tagen vor dem Kampf, zwei Emotionen konnte - und wollte - er nicht verbergen: eine schier unbändige Vorfreude, gepaart mit enormer Aggressivität. Wie er am Montag auf der Pressekonferenz in den Messehallen in einem pointierten, in fließendem Englisch mit US-Akzent vorgetragenen Monolog Hayes divenartige Unpünktlichkeit aufs Korn nahm. Oder wie er am Mittwoch beim Pressetraining in einem Autohaus am Heidenkampsweg seinen Gegner lediglich als "Nummer 50" bezeichnete, weil er bereits 49 Gegner ausgeknockt hat, und damit einen weiteren Nadelstich der psychologischen Kampfführung setzte. All das hatte so viel Klasse, dass sich selbst die in Scharen angereisten britischen Reporter zuraunten: "He is very good!"
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"Ich bin gerne in der Vorbereitung auf diesen Kampf, nicht nur für die Show, sondern auch mental. Und die verbalen Neckereien gegenüber David machen mir unheimlich viel Spaß. Ich genieße es einfach, in seiner Nähe zu sein", hat Wladimir Klitschko vor ein paar Tagen gesagt, und wer ihn über Jahre hinweg begleitet hat, der kann feststellen, dass der Ukrainer tatsächlich eine Lust an seinem Beruf ausstrahlt, die nie zuvor in seiner Karriere größer war. Ein Wunder ist das allerdings nicht, schließlich hat er an diesem Sonnabend die Chance, seine Kritiker ein für allemal zum Verstummen zu bringen. Diejenigen, die ihm vorwerfen, er sei kein Kämpfer, sondern lediglich ein Stratege, der seine Gegner an der ausgestreckten Führhand verhungern lässt, ohne Risiko einzugehen. Einer, der, so wie es auch Haye beklagt, im Schwergewicht ein "Regiment der Langeweile" installiert hat.
Natürlich kann man Wladimir Klitschko vorwerfen, dass er zunächst darauf bedacht ist, seine körperliche Unversehrtheit zu bewahren, anstatt seinem Publikum Action in jeder Sekunde seiner Kämpfe zu bieten. Vielmehr war es jedoch in der Vergangenheit so, dass seine Gegner nicht kämpfen wollten, sondern sich verkrochen, sobald sie die Härte und Schnelligkeit seines Jabs gespürt hatten. Klitschko selbst hat sich mehrfach darüber beklagt, am ärgsten im Februar 2008. Damals kämpfte er in New York den bislang letzten Vereinigungskampf zweier Schwergewichtsweltmeister gegen den Russen Sultan Ibragimow, der den WBO-Titel hielt. Es war so langweilig, dass die US-Presse anschließend die Königsklasse des Berufsboxens endgültig für tot erklärte. Seitdem hat Wladimir nicht mehr in Übersee gekämpft.
Dass sein Trainer Emanuel Steward ihm nach dem Kampf "mangelnden Killerinstinkt" vorwarf, hat den Modellathleten tief getroffen. Seitdem versucht er sich angriffslustiger zu geben, nicht nur im Ring, sondern auch außerhalb. Doch erst jetzt, wo mit Haye ein Gegner aufgetaucht ist, dem die Experten Schnelligkeit, Schlagkraft und vor allem Mut zubilligen, scheint jener Killerinstinkt erwacht zu sein. Schon im Trainingscamp in Tirol war zu beobachten, dass Klitschko seine rechte Schlaghand wesentlich häufiger benutzte als früher. Seine beeindruckenden Auftritte in der Kampfwoche haben selbst die zahlreich angereisten britischen Reporter dazu veranlasst, ihn in großer Mehrheit zum Favoriten zu küren.
Vom "Career defining Fight" spricht man im Boxen, dem Kampf, der einer Laufbahn die Richtung weist. Alle großen Schwergewichtler haben solche Fights erlebt, Wladimirs Bruder Vitali, 39, im Juni 2003 gegen Lennox Lewis. Der Kampf, der aus Wladimir einen anderen Boxer machte, fand im September 2005 in Atlantic City nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Es ging um keinen Titel, als Klitschko gegen den Nigerianer Samuel Peter dreimal zu Boden ging und trotzdem nach Punkten gewann. Damals hat er bewiesen, dass er sehr wohl Kämpferherz besitzt. Es schaute nur kaum ein Fan zu.
Den Fehler, einen Gegner zu unterschätzen wie im März 2003, als er vom unbekannten Südafrikaner Corrie Sanders ausgeknockt wurde, hat Wladimir Klitschko nie wiederholt. Die Unsicherheit, wie er unter Druck reagiert, ist indes geblieben. Sein Defensivverhalten, die Kontrolle im Rückwärtsgang, bleibt seine Schwachstelle. Seit Peter hat ihn kein Gegner mehr dahingehend getestet. Haye könnte der Erste sein, der es tut. Deshalb ist dies der Tag, der ganzen Welt zu beweisen, wer der Herrscher der Königsklasse ist. Klitschko muss nur ruhig bleiben, dann wird er auch nach dem Kampf noch lächeln.