Mit gezielten Geschmacklosigkeiten hat Boxweltmeister David Haye das Ziel erreicht: Er darf Wladimir Klitschko Sonnabend fordern.
Hamburg. Um in die Seele seines Feindes blicken zu können, musste Wladimir Klitschko gestern warten. Zur Pressekonferenz, mit der der WBO/IBF-Weltmeister im Schwergewicht das für Sonnabend (21.45 Uhr/RTL) in der Imtech-Arena geplante Duell mit WBA-Champion David Haye bewerben wollte, war der Brite nicht nur 15 Minuten zu spät, sondern auch mit Sonnenbrille auf der Nase erschienen. Seine Augen, in der Wahrnehmung Klitschkos der Spiegel der Seele, kamen erst zum Vorschein, als Szenen seiner besten Kämpfe über zwei Bildschirme flimmerten, die er in aller Deutlichkeit sehen wollte.
Was Klitschko in den Augen Hayes entdeckt hat, blieb sein Geheimnis. Der ungeübte Beobachter konnte einen Mann mit überbordendem Selbstbewusstsein sehen, der eine herzliche Abneigung gegen Wladimir Klitschko pflegt und der sich freut wie ein Schulkind auf die Sommerferien, endlich den Kampf seines Lebens bestreiten zu können. Einen Kampf, auf den er mit bemerkenswerter Cleverness seit November 2008 hinarbeitet. Haye, 30, war damals Dreifach-Weltmeister im Cruisergewicht, und weil ihm die Herausforderungen auszugehen drohten, entschied er sich für einen Aufstieg ins Schwergewicht mit dem Ziel, "Klitschkos Regiment der Langeweile zu beenden". Gemeinsam mit Adam Booth, Trainer, Manager und bester Freund in einer Person, ersann er einen teuflischen Plan, um die Klitschko-Brüder nachhaltig auf sich aufmerksam zu machen.
Als Wladimir am 13. Dezember 2008 in Mannheim seine Titel gegen Hasim Rahman verteidigte, spazierte Haye in die Hotellobby und präsentierte den Brüdern eine englische Ausgabe des Magazins "Men's Health". Darin war ein Foto zu sehen, das Haye mit Wladimirs abgeschlagenem Kopf in der Hand zeigte. Die Brüder reagierten schockiert und wütend, und Hayes Plan hatte gefruchtet. Er legte mit einem T-Shirt nach, auf dem er beide Köpfe in Händen hält, und er ließ keine Gelegenheit aus, verbal ausfallend zu werden. Bereits im Juni 2009 hätte es auf Schalke zum Duell mit Wladimir kommen sollen, doch drei Wochen vorher zog Haye zurück, offiziell wegen Rückenproblemen, in Wahrheit aber, weil sein damaliger TV-Partner Setanta pleite war und Börse nicht zahlen konnte. Einen für Herbst desselben Jahres geplanten Kampf mit Vitali Klitschko ließ Haye platzen, weil er kurz vor Vertragsunterschrift eine Offerte vom Berliner Sauerland-Team bekam, gegen deren russischen WBA-Weltmeister Nikolai Valuev anzutreten.
Seitdem sind Haye, der sich selbst promotet, und Sauerland Partner, und weil er den tapsigen Valuev locker besiegte, war der Schachzug genial. Sauerland hilft bei Verhandlungen mit Verbänden und Gegnern, und Haye bekam einen WM-Titel, der ihn endgültig zum Objekt der Klitschko-Begierde, aber eben auch zum ebenbürtigen Verhandlungspartner machte. Nebenbei sammelte er Erfahrung im Schwergewicht.
Es gibt eine Reihe von Experten, die Haye einen Sieg über Wladimir Klitschko zutrauen. Er hat eine für Schwergewichtler außergewöhnliche Schnelligkeit, er besitzt enorme Schlagkraft, vor allem aber, und das mag ihn unterscheiden vom Großteil der Klitschko-Gegner, hat er den Mut, sich dem zehn Zentimeter größeren und rund 15 Kilo schwereren Ukrainer im Kampf zu stellen. Allerdings weiß niemand, was passiert, wenn die ersten Jabs an seinem Kopf einschlagen. Haye saß schon gegen schwächere Gegner im Ringstaub, und er weiß um diese Gefahr. "Wenn ich mir nur die kleinste Lücke in der Deckung erlaube, kann es ein böses Ende mit mir nehmen. Wladimir ist der beste Gegner, den ich jemals hatte", sagt er.
Es sind Momente wie diese, in denen der Mensch Haye durch das Produkt Haye durchscheint. Der Mensch, der durchaus respektvoll mit anderen umgehen kann. Der sich distinguiert auszudrücken weiß, weil seine Mutter, Bibliothekarin an einer Universität, ihn das gelehrt hat. Sie hat ihm einst das Fluchen verboten, sie war gegen seine Tattoos, und obwohl er nicht immer auf sie gehört hat, ist er ein Mann mit Manieren. Das Animalische, den Hang zur Arroganz, den habe er von seinem Vater, einem Taxifahrer aus Jamaika, sagen britische Reporter, die ihn gut kennen.
David Haye ist in England kein Volksheld wie etwa Exweltmeister Ricky Hatton, auch wenn 10 000 Fans ihn nach Hamburg begleiten. Man liebt ihn oder man hasst ihn, dazwischen gibt es nichts. Er hat nie versucht, jedermanns Liebling zu sein. Er ist einfach er selbst, ein Mann mit Überzeugungen und einem Ego, das er als Herausgeber eines Lifestyle-Magazins unter seinem Kampfnamen "Hayemaker" pflegt. Die Provokationen gegen die Klitschkos haben sie ihm sogar auf der Insel verübelt, und Haye weiß, dass er seinen Worten nun Taten folgen lassen muss.
Aber am Ende hat er bekommen, was er wollte: einen Kampf, der weltweit herbeigesehnt wird und ihm so viel Geld einbringt, dass er seine Karriere problemlos am 13. Oktober, seinem 31. Geburtstag, beenden kann, wie er es seit Monaten ankündigt. Zwar könnte er als Dreifach-Weltmeister einige Zahltage mehr erleben, doch Geld sei nicht seine wichtigste Motivation. "Mir geht es darum, Geschichte zu schreiben und auf dem Höhepunkt abzutreten", sagt er. Seine Augen sagen, dass er wirklich daran glaubt.