Zahlreiche Massenstürze überschatteten den Sieg des Franzosen, der nun in Gelb fährt. Andy Schleck bot dank Jens Voigt eine furiose Aufholjagd.

Brüssel. Die 97. Frankreich-Rundfahrt als „Tour de Carambolage“: Zahlreiche Massenstürze in den verregneten Ardennen haben auf der zweiten Etappe für dramatische Rennszenen gesorgt und den Vorjahreszweiten Andy Schleck fast um alle Chancen auf den Gesamtsieg gebracht. Nur eine furiose Aufholjagd im Windschatten von „Lokomotive“ Jens Voigt brachte den Luxemburger, der bei einem Sturz Verletzungen am Arm erlitt, zurück ins Feld der Topfavoriten. Den Sieg auf der zweiten Etappe über 201 km von Brüssel nach Spa und damit auch das Gelbe Trikot sicherte sich der Franzose Sylvain Chavanel, der nach einer 180 km langen Flucht im belgischen Kurort unweit der Formel-1-Rennstrecke im Alleingang triumphierte.

Der 31 Jahre alte Quick-Step-Profi sorgte nicht nur für den ersten Sieg der Grande Nation bei der 97. Tour, er ist auch der erste Franzose in Gelb seit Roman Feillu vor zwei Jahren. Doch angesichts der erneuten Stürze rückte das Sportliche fast schon in den Hintergrund. Rund 30 Kilomter vor dem Ziel hatte ein Sturz des Italieners Gavazzi einen Massencrash ausgelöst. Dabei kam auch Schleck zu Fall. Als der Saxo-Bank-Profi schmerzverzerrt wieder auf das Rad stieg, hatte er über vier Minuten Rückstand, ehe angeführt durch Voigt die Aufholjagd begann. Schleck profitierte aber auch von einer fairen Geste des Pelotons, das angesichts der gefährlichen Rennsituation das Tempo herausnahm und so für einen Zusammenschluss sorgte. Denn auch das Hauptfeld hatte sich geteilt. So waren Lance Armstrong und Alberto Contador urplötzlich auch in der zweiten Gruppe, die sich gut eine Minute hinter der Gruppe um dem bisherigen Gesamtersten Fabian Cancellara befand.

„Das war kein Streik. Andy Schleck hatte einen Wahnsinnssturz. Davon wollten wir nicht profitieren. Durch den Regen war es verdammt rutschig“, sagte Milram-Kapitän Linus Gerdemann. Sein Teamchef Gerry van Geewen hatte für die Aktion aber kein Verständnis und reagierte ein wenig verärgert. Das Hauptfeld, das 3:56 Minuten hinter Chavanel Spa erreichte, verzichtete angesichts der vielen Stürze auch auf eine Sprintentscheidung und fuhr geschlossen über die Ziellinie. Die Plätze zwei und drei für den Franzosen Maxime Bouet und Milram-Profi Fabian Wegmann hatten demnach auch keine Bedeutung. Der Schweizer Cancellara musste die Führung an Nutznießer Chavanel abtreten. Im Gesamtklassement ist Cancellara nun 2:57 Minuten zurück Zweiter, weitere zehn Sekunden zurück folgt Tony Martin.

Der Massensturz 30 Kilometer vor dem Ziel war aber nicht der einzige Zwischenfall. Zuvor hatten schon bei Kilometer 50 mehrere Fahrer Bekanntschaft mit dem Asphalt gemacht, darunter auch der Erfurter Sebastian Lang. Am Sonntag hatten gleich drei Massenstürze auf den letzten drei Kilometern das Peloton auseinandergerissen. Der britische Topsprinter Mark Cavendish verpasste damit seine zweite Chance auf einen Etappensieg. Noch am Sonntag war der Brite zum wiederholten Male in die Kritik geraten, nachdem er durch einen kapitalen Fahrfehler erneut einen Sturz verursacht hatte. Cavendish hatte im Finale von Brüssel gut zwei Kilometer vor dem Ziel eine Kurve unterschätzt und vier Fahrer von der Straße geräumt.

Für Cavendishs Teamkollege Adam Hansen ist indes die Tour bereits beendet. Der Australier hatte bei einem der Stürze am Sonntag einen Bruch der linken Schulter erlitten. So ging das Columbia-Team als eines von vier Teams dezimiert auf die zweite Etappe, die lange Zeit von einer achtköpfigen Ausreißergruppe dominiert wurde, der auch lange Zeit Marcus Burghardt angehörte. Womöglich erhält Burghardt am Dienstag eine weitere Chance auf seinen zweiten Tour-Etappensieg nach 2008, wenn es über das Kopfsteinpflaster in der „Hölle des Nordens“ geht. Auf der dritten Etappe von Wanze bis zum Eingang des berüchtigten Waldes von Arenberg geht es für das Peloton über die staubigen und ruckeligen Feldwege aus der Zeit Napoleons.

Insgesamt 13,2 km führen über die Paves, auf denen im Frühjahr beim Klassiker Paris-Roubaix stets Radsport-Schlachten ausgetragen werden. „Diese Etappe ist nicht mit der nach Wasquehal 2004 zu vergleichen. Sie ist härter, es sind mehr Kopfsteinpflaster-Sektoren, und die kommen viel dichter vor dem Ziel. Ich sage voraus, dass nur 20 bis 30 Fahrer an der Spitze des Feldes das Ziel erreichen. Es wird ein Blutbad geben“, sagte Armstrong, nachdem er kurz vor dem Tour-Start den gefürchtetsten Abschnitt der ersten Tour-Woche nochmal inspiziert hatte. Altmeister Jens Voigt erwartet gar für den einen oder anderen Fahrer „knochenbrüche“. Kein Wunder, dass Toursieger Contador bereits im Frühjahr Nachhilfe beim früheren Paris-Roubaix-Sieger Peter van Petegem genommen hatte.