Der italienische Radprofi setzte sich nach zwei Massenstürzen im Sprint durch. Tony Martins liegt weiter auf dem zweiten Rang.

Brüssel. Mit einem dramatischen Sturzfestival, einem wiedererstarkten Lance Armstrong und einem „unglücklichen Zweiten“ Tony Martin ist die Tour de France in ihre 97. Auflage gestartet. Zahlreiche Massenstürze überschatteten das Finale der ersten Etappe, die der italienische Altmeister Alessandro Petacchi unweit des Atomiums in Brüssel gewann. Das Gelbe Trikot rettete Fabian Cancellara ins Ziel. Der „Schweizer TGV“ hatte beim Prolog die Hoffnungen von Martin auf einen Auftaktsieg zunichte genommen. Lediglich zehn Sekunden fehlten dem deutschen Hoffnungsträger zum Gelben Trikot.

Doch aufgeschoben, ist nicht aufgehoben. „Wenn ich gut durch Belgien und Nord-Frankreich komme, kann ich vielleicht in einer Woche Gelb tragen“, sagte Martin mit Blick auf die Alpen. Vorerst muss sich der Youngster vom Columbia-Team aber mit dem zweiten Platz und dem Weißen Trikot begnügen. Daran änderte auch die 223,5 km lange Etappe am Sonntag von Rotterdam nach Brüssel nichts, die Petacchi vor dem Australier Mark Renshaw und dem Norweger Thor Hushovd gewann.

Zuvor war es zu drei heftigen Stürzen gekommen, unter anderem war mal wieder Radsport-Rüpel Mark Cavendish beteiligt. Der Brite kam selbst zu Fall und konnte in das Finale nicht mehr eingreifen.

Die Schlagzeilen produzierte am ersten Wochenende der Tour aber Armstrong. Sportlich, weil er seinem großen Widersacher Alberto Contador die ersten Sekunden abknöpfte und das beste Zeitfahren seit seinem Comeback Anfang 2009 fuhr. Und abseits des Renngeschehens, indem er wieder einmal in den Mittelpunkt neuer Doping-Anschuldigungen rückte. Armstrongs Ex-Teamkollege Floyd Landis hatte im Wall Street Journal weitere pikante Details über systematisches Doping im damaligen US-Postal-Rennstall zu Papier gegeben und damit rechtzeitig zum Tour-Start das Endlos-Thema wieder auf den Plan gerufen.

„Landis’ Glaubwürdigkeit ist wie eine Tüte saure Milch. Hat man den ersten Schluck genommen, weiß man, dass der Rest auch schlecht ist“, kanzelte Armstrong das Thema in gewohnter Manier als glatte Lüge ab, um sich dann seinem sportlichen Widersacher Contador zuzuwenden: „Ich habe meinen Rivalen Zeit abgenommen. Meine Form ist super, ich kann mich nicht beschweren. Here we go.“

Auch wenn die fünf Sekunden Vorsprung „keinen Wert“ (Contador) haben, dürfte der kleine Punktsieg für Armstrong von großer moralischer Bedeutung sein, schließlich hatte der Texaner seit der Rückkehr in den Radsport stets gegen Contador den Kürzeren gezogen. „Ich habe meinen Rhythmus nicht gefunden“, klagte der kleine Spanier, bevor er im Psycho-Duell erwiderte: „Alle Mitfavoriten sind hinter mir geblieben.“ Armstrong zählt offenbar nicht dazu.

Wohl aber der Vorjahreszweite Andy Schleck, der im Regen von Rotterdam gar 1:09 Minuten auf Cancellara und 52 Sekunden auf Armstrong verlor. Dabei hatte der Luxemburger seit Wochen Extra-Einheiten im Zeitfahren abgehalten - ohne Erfolg.

Wie es besser geht, bewies Schlecks Teamkollege Cancellara. Zum vierten Mal nach 2004, 2007 und 2009 gewann der Zeitfahr-Weltmeister das Auftaktzeitfahren der Tour und damit das erste Gelbe Trikot. „Der einzige Motor, den ich habe, sind meine Beine“, scherzte Cancellara mit Blick auf die jüngsten Verdächtigungen, er wäre mit einem elektrischen Hilfsmotor im Rahmen unterwegs.

Der Radsport-Weltverband UCI nahm die Geschichte dabei so ernst, dass er in Rotterdam mit Scannern unterwegs war. 14 Fahrräder wurden durchleuchtet, auch dass von Tony Martin. Der hatte lange Zeit im Zielbereich gehofft und gezittert, ehe Cancellara den Traum von Gelb zerplatzen ließ. Martin wäre der erste Deutsche seit Stefan Schumacher im Jahr 2008 gewesen, der wieder die Gesamtwertung der Frankreich-Rundfahrt anführt.

Die Sympathien waren Martin jedenfalls gewiss, schließlich musste er fast drei Stunden ausharren, um schließlich mit dem „Trostpreis“ Weißes Trikot (bester Nachwuchsprofi) abzuwandern.

Am Sonntag musste sich der Youngster wieder in den Dienst der Mannschaft stellen und für Sprintkapitän Cavendish arbeiten. Die Mühe zahlte sich aber nicht aus. Unterwegs begleitete Volksfeststimmung die Fahrer. Hunderttausende Radsport-Fans säumten wie schon in Rotterdam die Straßen. „Hut ab, Holland“, twitterte Armstrong: „Ihr ward so laut. Ich habe nichts verstanden.“

Am Montag bietet sich den Sprintern womöglich die nächste Chance auf eine Massenankunft. Auf der 201 km langen Etappe von Brüssel nach Spa geht es zwar über welliges Terrain mit Anstiegen der dritten und vierten Kategorie, doch die letzten 20 Kilometer verlaufen flach.