Der WM-Berater und DFB-Schatzmeister über den Ticketverkauf, Sicherheits- und Verkehrsprobleme sowie die neue Rolle der Bahn beim Transport.
Abendblatt: Herr Schmidt, würden Sie einem Fußballfan empfehlen, ohne Eintrittskarte nach Südafrika zu reisen?
Horst R. Schmidt: Dass, wie bei der WM 2006, die Nachfrage das Angebot bei Weitem übersteigt, glaube ich nicht. Die Karten werden außerdem nicht personalisiert ausgegeben. Aber ich würde nicht raten, sich spontan ohne Ticket oder sorgfältige Reisevorbereitungen in die Maschine nach Johannesburg zu setzen, um dann im Land selbst eine Überraschung zu erleben.
Abendblatt: Worauf muss denn ein Fan konkret achten?
Schmidt: Auf jeden Fall, dass er ein Quartier hat und weiß, wie man dieses erreicht, selbst zu später Stunde. Eine Gruppenreise ist zudem ratsamer als ein Individualtrip. Darüber hinaus sollte der Fan überlegen, wie er den Transport zu den Spielorten und sich ein Programm für seine touristischen Ziele abseits der Spiele organisiert. Wer ein bisschen strukturiert und vorbereitet an die Sache geht und angemessene Lösungen findet, kann sich ohne Gefahr in Südafrika bewegen.
Abendblatt: In den vergangenen Monaten wurde das Bild Südafrikas häufig mit Schlagworten wie Kriminalität, Armut oder Verkehrsproblemen skizziert. Hat das Land ein Imageproblem oder echte Probleme?
Schmidt: Beides. Sicher gibt es Klischee-Vorstellungen. Dass sich Südafrika sehr sorgfältig im Sicherheitsbereich auf diese WM vorbereitet, nicht nur in den Stadien, sondern im gesamten Land, wurde zwar wohlwollend zur Kenntnis genommen, aber gleichwohl sieht man eine Gefahr und ein Risiko, das Zurückhaltung erzeugt. Auch deshalb, weil immer wieder in den Medien die Sicherheitsprobleme aktualisiert werden. Es gibt monatliche Statistiken mit den exakt aufgeführten Überfällen, Morden und Hauseinbrüchen, die sich nur marginal zum Besseren entwickeln. Es bleibt immer eine Art Restvorbehalt: Kann man dort hingehen? Ist man dort sicher?
Abendblatt: Ihre Antwort?
Schmidt: Ja! Die südafrikanischen Behörden haben einen sehr sorgfältig ausgearbeiteten nationalen Sicherheitsplan entwickelt, der alle Elemente wie öffentliche Plätze, Verkehrsknotenpunkte, Straßen und Stadien umfasst. Man kann mit gutem Gewissen sagen: Derjenige, der sich auf berechenbaren Pfaden befindet und den Empfehlungen folgt, wie man sich bewegt, wohin man geht und wohin nicht, der kann ohne Gefahr dorthin reisen und das Flair eines südafrikanischen Veranstaltungsortes genießen. Das macht es ja gerade attraktiv und interessant.
Abendblatt: Muss man sich auf eine hohe Polizei- und Militärpräsenz einstellen?
Schmidt: Natürlich. Ich erwarte eine überall sichtbare Polizeipräsenz. Das ist auch wichtig, um solchen Einschätzungen entgegenzuwirken, man befände sich nicht in guter Obhut. Bei uns in Deutschland sagt man vielleicht eher, die Polizei solle zurückhaltend agieren. Das ist in Südafrika anders. Und auch verständlich.
Abendblatt: Es gibt Menschen, die die These vertreten, dass Turniere dieser Art gar nicht in solche Länder vergeben werden sollten, weil sich eine WM nicht als Entwicklungshilfe eigne.
Schmidt: Vielleicht in dem Sinne, dass die Vergabe einer WM nach Afrika auch die langfristige Entwicklung des Fußballs im Auge hat. Aber es wäre eine abwegige Überlegung zu glauben: Jetzt müssen die Leute aus dem Westen dorthin und den Menschen zeigen, wie es geht. Die Empfindsamkeit ist in Südafrika diesbezüglich sehr groß.
Abendblatt: Zum Beispiel?
Schmidt: Als eine private deutsche Sicherheitsfirma erklärte, die Nationalspieler müssten mit schusssicheren Westen herumlaufen, war das zwei Tage in den südafrikanischen Medien ein großes Thema. Man muss wissen: Wenn sich ein Land wie Südafrika für eine WM bewirbt, dann tut es das mit Stolz und der Überzeugung: Wir sind dazu in jeder Hinsicht fähig. Wir können die Infrastruktur bereitstellen, wir haben die notwendigen Ressourcen und die notwendige Organisationskraft.
Abendblatt: Wie ist die Akzeptanz für die WM in der Öffentlichkeit und bei den Menschen?
Schmidt: Bei den üblichen Befragungen liegt die Akzeptanz in Südafrika bei 85 bis 90 Prozent, was den Werten damals bei uns entsprach. Wenn Sie die Menschen auf der Straße fragen, spüren Sie sehr viel Stolz und Begeisterung, was auch in den Medien deutlich wird. Der spannende Punkt ist aber: Südafrika ist kein Fußballland, sondern ein Sportland, in dem Rugby, Cricket und Fußball in dieser Reihenfolge am populärsten sind. Damit ist die Dominanz einer Fußball-WM natürlich nicht so riesig wie zum Beispiel in Deutschland. Es wird sicher Leute geben, die sagen: Da gehe ich nicht hin, ich bin Cricket-Fan.
Abendblatt: Befürchten Sie, dass nicht alle Spiele ausverkauft sind?
Schmidt: Wir wissen es nicht. Garantieren würde ich das im Moment nicht. Die Anstrengungen in dieser Hinsicht sind aber beachtlich. Es wird sich erst in den kommenden Monaten zeigen, ob die Leute unabhängig von ihrem sportlichen Interesse sagen: Ich fühle mich als Gastgeber, ich muss einmal im Stadion gewesen sein, um zu zeigen, dass mir das wichtig ist. Beim Confed Cup in diesem Jahr haben wir registriert: Es wird selektiv herangegangen. Man schaut, wer spielt.
Abendblatt: Wie viele Ausländer werden denn erwartet?
Schmidt: Was Zahlen betrifft, ist alles spekulativ. Eine Prognose liegt bei 400 000 bis 500 000 Ausländern. Die Veranstalter hoffen auf 10 000 Besucher aus Deutschland, in England werden 25 000 Besucher als realistisch genannt. Aber diese große Zahl nach Südafrika zu bringen, ist auch ein logistisches Problem. Überhaupt: Viele All-Inclusive-Pakete sind ja ab 3000 Euro auf einer hohen Preisebene angesiedelt. Es muss auch einfache Angebote geben.
Abendblatt: In welchen Ländern ist die Ticketnachfrage am größten?
Schmidt: Beispielsweise Australien. Was die Kartennachfrage betrifft, ist erstaunlicherweise die USA ganz weit vorne, mit großem Abstand vor England.
Abendblatt: Und der kontinentale Tourismus?
Schmidt: Auch eine große Unbekannte. Bei 500 000 Ausländern müsste ein Großteil aus Afrika kommen. Beim African Cup of Nations waren aber bisher nur Fans in überschaubarer Anzahl aus den jeweiligen Teilnehmerländern dabei. Daher stellt sich für die WM die Frage: Werden Zuschauer aus Algerien oder Ägypten in großer Zahl nach Südafrika reisen? Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht.
Abendblatt: Wie steht es mit dem Standard in den Stadien?
Schmidt: Qualität und Design sind absolut mit europäischem Standard vergleichbar. Zwischen der Soccer City in Johannesburg und der Arena in München gibt es sogar gewisse Parallelen. Ich habe vor 14 Tagen im Rahmen einer Rundreise alle neuen Stadien gesehen und muss sagen, gerade auch im Hinblick auf die Verarbeitung und die Materialien: Das ist schon sehr, sehr gut. Offensichtlich ist man auch in der Lage, alle Baumaßnahmen fristgerecht abzuschließen. Selbst Kapstadt, das immer ein wenig hinterherhinkte, wird Anfang 2010 fertig sein.
Abendblatt: Welche Stimmung erwarten Sie? Die vielen VIP-Reisenden werden ja wohl kaum für Lärm sorgen.
Schmidt: Niemand weiß, ob die Einheimischen sich plötzlich Trikots von anderen Ländern anziehen, wie es bei der WM in Japan und Südkorea geschehen ist. Gut, die Premiere League wird stark beobachtet, das könnte positiv auf die englische Mannschaft ausstrahlen.
Abendblatt: Wird es Public Viewing geben?
Schmidt: Ja, auch. In der Zahl und Größe wie bei uns glaube ich das aber nicht. Bei uns hatte ja fast jede Stadt Public Viewing.
Abendblatt: Wie problematisch ist das Thema Transport?
Schmidt: Das ist sicher noch eine der spannenden Fragen. Die Regierung hat eine große Zahl von Bussen angeschafft, die nach der WM kleinen Unternehmen zur Verfügung gestellt werden sollen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Man hat auch erkannt, dass die Bahn eine Rolle spielen muss.
Abendblatt: Die Bahn?
Schmidt: Ja, das Interessante ist: Bahnverbindungen gibt's fast überall, aber sie sind derzeit nicht so akzeptiert wie bei uns, weil sie auch nicht die Qualität haben. Sie werden auch nicht als sicher betrachtet. Also versucht man sehr gezielt, in diese Richtung zu arbeiten: Geplant sind besseres Equipment und umfassende Bahnverbindungen, die bisher nicht für den Personenverkehr genutzt wurden. Oder es soll ein Sonderzug-Takt als Intercity-Verbindung je nach Nachfrage angeboten werden. Mit der Bahn und den Bussen soll der Privatverkehr entlastet werden. Ich habe das zwar immer wieder angeregt, aber die Anstrengungen sind erst seit einem halben Jahr sehr deutlich geworden.
Abendblatt: Man sagt, Südafrikaner planen nicht so gerne voraus ...
Schmidt: Das ist schon so, da sind wir anders strukturiert. Bei uns war manches ein Stückchen weiter zum gleichen Zeitpunkt, auch in der Organisation. Aber das pegelt sich ein. Ein Jahr vorher fertig zu sein, bringt Sie ja auch nicht weiter. Ganz im Gegenteil, Sie müssen immer nachbessern. Es macht Sinn, fertig zu sein, wenn es darauf ankommt.