Robert Enkes (32) Selbstmord erschüttert Deutschland. Jetzt äußerte sich das Jugendamt. Die Adoptivtochter bleibt in der Familie.

Seine Depressionen haben den deutschen Nationaltorhüter Robert Enke in den Tod getrieben. Am Mittwoch sagte seine Frau Teresa, dass er unter anderem Angst hatte, wegen der Krankheit seine Adoptivtochter Leila zu verlieren. Laut Jugendamt war diese Befürchtung unbegründet. Das Jugendamt gehe bei der Beurteilung der Eltern immer vom Kind aus. „Und das war und ist in bester Obhut, selbst wenn uns die Erkrankung Robert Enkes bekanntgeworden wäre“, sagte Regionspräsident Hauke Jagau. Es gebe keinen Anlass, die Adoption auch nach dem Freitod des Kapitäns von Bundesligist Hannover 96 infrage zu stellen. Damit bleibt das Kind in der Familie, und Enkes Witwe Teresa behält die im Mai adoptierte Tochter in Adoptivpflege.

„Wir haben das Ehepaar Enke als fürsorgliche Eltern kennengelernt, sie haben sich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine hohe menschliche Wertschätzung erworben“, erklärte Jagau, der wie die Mitarbeiter des Jugendamtes nach dem Selbstmord Enkes tief bestürzt ist. „Die Nachricht ist ein Schock. Robert Enke hat den Menschen in der Region viel gegeben. Ich frage mich, ob wir dem Menschen Robert Enke durch unsere Erwartung in den Mannschaftskapitän und Nationaltorwart nicht zu viel aufgelastet haben.“ Durch die Vermittlung der Adoptivtochter stand das Jugendamt in engem Kontaktzur Familie Enke.

IM WORTLAUT: Das sagte Teresa Enke auf der Pressekonferenz

DAS SAGEN DIE LESER VON ABENDBLATT.DE ZUM TOD VON ROBERT ENKE

REKONSTRUKTION. So stellt die Polizei die Vorgänge dar.

TRAUER in der virutellen Welt

Nach Ablauf des ersten Adoptionsjahres erstellt das Jugendamt ein Gutachten, ob sich zwischen Eltern und Kind im Verlauf der sogenannten Adoptivpflege ein gutes Verhältnis entwickelt hat. Wenn ja, spricht das Amtsgericht die endgültige Adoption aus.

Lesen Sie hier die Seite 3 von Peter Wenig aus dem Hamburger Abendblatt vom 12. November 2009:

DER LETZTE GANG EINES TORWARTS

Die Flammen der Teelichter auf dem Asphalt kämpfen vergebens gegen den November-Nieselregen. Zu hören ist nur das Kratzen der Filzstifte auf den Kondolenzbögen, die unter zwei weißen Partyzelten ausliegen. Geduldig stehen die Menschen Schlange, schreiben dann Sätze wie "Robert, Du warst der Beste" auf weiße DIN-A3-Blätter und legen sie schließlich, geschützt vor dem Wind von zwei kleinen Steinen, auf ein schwarzes Trikot mit dem Schriftzug "Enke".



Es ist der Tag danach. Der Tag nach der großen Tragödie, die die 113-jährige Vereinsgeschichte von Hannover 96 für immer in ein Vorher und Nachher teilen wird. Der Tag nach dem Selbstmord des Idols und Nationaltorhüters Robert Enke, der sich Dienstag um 18.17 Uhr in Eilvese im Nordwesten der Landeshauptstadt vor den Regionalexpress 4427 auf der Fahrt von Bremen nach Hannover warf.

An diesem Mittwochmittag haben sich seine Fans vor dem riesigen Betonklotz namens AWD-Arena versammelt. Dort, wo sonst die Fußball-Schlachtgesänge Hunderte Meter weit zu hören sind, herrscht die andächtige Stille einer Kirche, gestört nur von gleißenden Scheinwerfern der Nachrichtensender. Die Menschen umarmen sich, viele haben Tränen in den Augen. Eine Frau um die 50, geknotete Fanschals an beiden Händen, sagt leise: "Robert, wir haben dich doch am Sonntag nach dem 2:2 gegen den HSV noch gefeiert. Warum hast du das gemacht?"

Die Frage nach dem Warum beschäftigt an diesem Tag eine ganze Stadt, ja, ein ganzes Land. Robert Enke war schließlich einer der bekanntesten Sportler in Deutschland, mit der Chance, die Nummer eins bei der WM in Südafrika 2010 zu werden.

Warum hat er das getan?

Im Bauch der Arena wird um 13 Uhr nach Antworten gesucht. Eine Wand aus schwarzem Filz im riesigen VIP-Raum verbirgt den Blick auf das Fußballfeld, auf Enkes angestammten Arbeitsplatz. Die Tore liegen gekippt in den Ecken. Auf dem Podium nimmt eine zierliche Frau Platz, die Haare streng zurückgesteckt, ganz in Schwarz gekleidet. Ihre Stimme ist brüchig, der Blick stets nach unten gerichtet, in der rechten Hand zerknüllt sie ein Taschentuch. Ihr Name ist Teresa Enke, die vor 19 Stunden ihren Mann verloren hat.

Behutsam moderiert 96-Pressesprecher Andreas Kuhnt ihren Auftritt an. 19 Fernsehkameras sind auf sie gerichtet, Dutzende Fotoapparate blitzen im Sekundentakt. Stockend sagt Teresa Enke ihren ersten Satz: "Wenn er akut depressiv war, dann war das schon eine schwere Zeit." Dann erzählt sie weiter von der Krankheit ihres Mannes, der seit Jahren an schweren Depressionen litt. Nie hat er darüber in der Öffentlichkeit gesprochen, selbst seine Mitspieler ahnten nichts.

Depression. Das große Tabuthema im Fußball, wie es Pressesprecher Kuhnt nennt. Diese Krankheit zerstörte auch die Karriere von Nationalspieler Sebastian Deisler. Und doch sind die Fälle so gegensätzlich. Denn während Deisler bei den Bayern am Erfolgsdruck zerbrach, war für Enke der Platz zwischen den Pfosten eine Art Zuflucht. Bezeichnenderweise suchte er 2003 das erste Mal den Kölner Psychiater Dr. Valentin Markser auf, als ihn der große Verein FC Barcelona nicht mehr spielen ließ. Damals ließ er sich fast täglich behandeln. Dr. Markser, der links neben Enkes Frau auf dem Podium sitzt, beschreibt, weshalb der Torwart zu ihm kam: "Er litt unter Depressionen und Versagensängsten." Mit seinem Wechsel nach Hannover im Jahr 2004, zurück ins sportliche Glück, schien die Krankheit überwunden. "Fußball war alles, es war sein Leben, sein Lebenselixier, es war alles. Es hat ihm Halt und Kraft gegeben", sagt Teresa Enke.

Es ist eine grausame Ironie des Schicksals, dass der Fußball auf der anderen Seite den dringend notwendigen stationären Aufenthalt verhinderte. Während sich Deisler schließlich auf Drängen von Bayern-Manager Uli Hoeneß in einer Klinik therapieren ließ, spielte Enke nach außen lieber den starken Mann - wohl auch aus Angst um seinen Profi-Job. Als Anfang Oktober ein depressiver Schub zurückkehrte, konsultierte er zwar erneut Dr. Markser, ließ sich aber nur ambulant behandeln. "Zu einer stationären Behandlung war er nie bereit", berichtet der Psychiater. Für eine Zwangseinweisung habe es keine Gründe gegeben: "Robert hatte keine Depression, bei der man schnell erkennen kann, dass ein Mensch nicht mehr aktiv sein kann. Wir standen uns sehr nahe. Aber er konnte das Ausmaß seiner Erkrankung verbergen."

Sätze, die auch bei jenen Reportern, die Enke über die Jahre begleitet haben, Fassungslosigkeit auslösen. In der Branche galt Enke zwar als sensibel, aber doch als innerlich stark gefestigt - ein Führungsspieler, der sich sogar sechs Tage nach dem schrecklichen Tod seiner herzkranken Tochter Lara, die im September 2006 im Alter von zwei Jahren gestorben war, wieder zwischen die Pfosten stellte. Und nach der Adoption der kleinen Leila im Mai 2009 schien das Glück des Torwarts doch zurückgekehrt. "Wir sind sehr, sehr glücklich und dankbar für diesen kleinen Menschen, der in unser Leben getreten ist", sagte Enke damals.

Offenbar war dieses Glück aber auch ein Grund dafür, dass sich Enke weiteren Therapien verweigerte - Teil zwei der grausamen Ironie des Schicksals. Es gab "die Angst", sagt seine Frau, "dass man Leila verliert". Einem depressiven Vater, so dachte ihr Mann, könne man die Vormundschaft wieder entziehen. "Was denken die Leute, wenn man ein Kind hat, und der Papa ist depressiv?", habe er gefragt. Dabei sei seine Sorge unbegründet gewesen. Denn das Jugendamt signalisierte, dass man Leila den Enkes nicht wegnehmen werde.

Auf der Zielgeraden seiner Karriere täuschte der Mann mit den großen Händen am Ende alle - sogar seine Frau. Sie alle ließ er glauben, sein depressiver Schub Anfang Oktober sei vorbei. Wieder erklärt sein Arzt, warum man nichts bemerkte. "Noch am Tag seines Selbstmords hat er so eine Behandlung abgelehnt und behauptet, es ginge ihm besser." Ganz am Ende, wissend, dass er den letzten Schritt gehen würde, bat er schließlich um Verzeihung. "In seinem Abschiedsbrief hat sich Enke für seine bewusste Täuschung entschuldigt", so jedenfalls sagt es Dr. Markser.

In der Ecke des VIP-Raums lauscht ein Mann in HSV-Trainingsjacke mit den Initialen HR den Worten besonders ergriffen: Hermann Rieger, der langjährige Kultmasseur des Hamburger SV. Seit vier Jahren wohnt er inzwischen in Hannover. Er kannte Enke gut, noch am Sonntagabend hatten sie über den umstrittenen Elfmeter gegen den HSV zum 2:2 im Nord-Duell diskutiert. Ob er irgendetwas von der Krankheit seines Freundes geahnt hat? Rieger schüttelt den Kopf, Tränen laufen über sein zerfurchtes Gesicht: "Wie sollte ich es denn wissen. Der Robert war es doch, der mir seine Hilfe anbot. ,Hermann', hat er zu mir gesagt, ,wenn du irgendein Problem hast, musst du mich anrufen.'"

Am Ende war es Enke, der keine Hilfe mehr wollte. Auch nicht von seinem Freund und Berater Jörg Neblung. "Ich war all die Jahre sein Personenschützer. Und der Personenschützer hat am Ende versagt", sagt er. Musste versagen, weil Robert Enke an seinen letzten Lebenstagen auch ihm etwas vorspielte. Mehr will Neblung eigentlich nicht sagen, er bittet um Verständnis. Außerdem will er sich gemeinsam mit seiner Frau jetzt um Teresa kümmern. "Übermenschliches" habe sie geleistet, so denken viele in diesem Moment, sie habe sich für diese Pressekonferenz so sehr zusammengerissen.

Am Abend dann der nächste Termin, wieder unter den Augen von Kameramännern und Fotografen. In der halbstündigen Andacht in der mit 1000 Menschen überfüllten Marktkirche, gehalten von Landesbischöfin Margot Käßmann, kommt es wieder zu einer bewegenden Szene. Sekunden verweilt Teresa Enke in den Armen von Nationalmannschaftskapitän Michael Ballack.

Doch was kommt jetzt? Wie geht ihr Leben weiter? In dem 600-Einwohner-Dörfchen Empede, wo die Enkes seit Jahren mit acht Hunden und einem Pferd auf einem Bauernhof leben.

Nur knapp drei Kilometer sind es bis zum Bahnübergang in Neustadt-Eilvese, wo sich ihr Mann das Leben nahm. Auch dort brennen Kerzen, aufgestellt auf einem Gartentisch, umrahmt von drei Bildern in schlichten Holzrahmen. Enkes Foto steht in der Mitte, die beiden anderen Bilder zeigen das Vereinsemblem von Hannover 96. Auch hier haben sich Menschen am Nachmittag in stiller Andacht versammelt. Züge rauschen hinter den Halbschranken im Zehn-Minuten-Takt vorbei, in der Nähe der Gleise klebt auf einem Schild mit Logo der Deutschen Bahn ein Zettel mit der Aufschrift "Wir sind für Sie da. Ihr Team des Bahnhofsmanagements". Gegenüber liegt die Kneipe "Zum Bahnhof", wo Wirt Friedrich Schrader das Kreischen der Zugbremsen an jenem Dienstagabend hörte und sofort wusste: "Da ist etwas Schlimmes passiert."

Für Teresa Enke wird dieser Bahnübergang nun untrennbar zu ihrem Leben gehören. Genau wie der Friedhof ganz in der Nähe des Bauernhofs, wo sie vor drei Jahren ihre Tochter bestatten musste. Ein Strauß frischer weißer Nelken wiegt sich an diesem Nachmittag im Novemberwind auf dem großen Grab. Zwischen Heidekraut verstecken sich Spielzeugautos, Teddys und Herzen aus Ton - ein Kinderzimmer des Todes. Neben dem Herz aus Rosen liegt ein Geburtstagsgruß der Enkes an ihre verstorbene Tochter: "Alles Gute zum Geburtstag, wir vermissen Dich, alles Gute, Mama, Papa und Leila."

Hier wird nun auch Robert Enke seine letzte Ruhe finden. An der Seite seiner Tochter.

Der letzte Gang eines Torwarts.