Die Hamburger haben eine Hand am Endspiel, greifen aber nicht zu. Die Pokalendrunde bietet nun die letzte Titelchance.

Ciudad Real. Wie ihre 31:33-Niederlage beim Club Balonmano Ciudad Real, das Ausscheiden im Halbfinale der Champions League, einzuordnen war, erfuhren die Handballer des HSV am späten Abend. Als sie das "Restaurante Gran Mesón" in der Rda. Cinela betraten, standen die hundert nach Spanien mitgereisten Fans von ihren Stühlen auf und spendeten unter lauten Bravorufen minutenlangen Beifall. Die Ovationen spiegelten die Gefühlslage von Mannschaft, Präsidium und Anhang wider. In einem der besten Saisonspiele hatte der HSV in der spannenden Schlussphase eine Hand am Finale, führte in der 53. Minute 28:27, doch am Ende triumphierte der Titelverteidiger, mit etwas Glück, aber auch viel Geschick. Ciudad Real hatte bereits das Hinspiel vor einer Woche in der Color-Line-Arena 30:29 gewonnen. In der Neuauflage des Endspiels des Vorjahres trifft der spanische Meister nun Ende des Monats auf den deutschen Champion THW Kiel.

"Das war ein Aus auf Augenhöhe. Schade. Glückwunsch zur tollen Leistung", hatte Frank Bohmann, der Geschäftsführer der Handball-Bundesliga, Dierk Schmäschke direkt nach dem Abpfiff gesimst. Und auch beim Vizepräsidenten des HSV mischte sich in die Trauer über den verpassten Finaleinzug Stolz über das Erreichte: "Wir haben bestätigt, dass wir zu den drei besten Teams der Welt gehören, noch sind wir jedoch die Nummer drei." Dass sich dies demnächst ändern könnte, glaubt sogar Domingo Díaz de Mera, Ciudad Reals Mäzen und Präsident, ein trotz der Wirtschaftskrise weiter milliardenschwerer Bauunternehmer: "Wenn Nikola Karabatic (der zurzeit wohl beste Handballer der Welt, die Red. ) die Kieler zur nächsten Saison verlässt, seid ihr stärker als der THW."

Trost hört sich so oder ähnlich an, und den Respekt und die Anerkennung des Gegners werteten die Hamburger als Bestätigung ihrer Selbsteinschätzung. "In 115 der insgesamt 120 Minuten der beiden Halbfinalspiele waren wir mindestens gleichwertig", analysierte HSV-Trainer Martin Schwalb, "in der Gesamtbilanz haben wir nur ein paar dumme Fehler zu viel gemacht. Das kann man sich auf diesem Niveau nicht leisten, dafür sind wir brutal bestraft worden."

In der Quijote-Arena hatten in den letzten sieben Spielminuten ein, zwei unglückliche Aktionen das Aus der Hamburger besiegelt. Torsten Jansen und der überragende Bertrand Gille (sieben Tore bei acht Versuchen) konnten frei am Kreis, sechs Meter vor dem Tor, Ciudad Reals Torhüter Arpad Sterbik aus allerdings schwierigen Winkeln nicht überwinden, Krzysztof Lijewski warf den Ball kurz danach an die Latte des spanischen Gehäuses. Auf der anderen Seite hatte Heiko Grimm einen von HSV-Torhüter Johannes Bitter abgewehrten Ball nicht unter Kontrolle bringen können, Uros Zorman

erzielte im Nachsetzen das 28:28. "Nutzen wir eine dieser Chancen, stehen wir im Finale", sagte Blazenko Lackovic, "wir waren besser, aber nicht cleverer." Die Tränen, meinte der Kroate, lägen im Hinspiel: "In Hamburg haben wir in schwachen 20 Minuten verpasst, uns eine bessere Ausgangsposition zu schaffen. Diesmal lief fast alles optimal. Wir waren perfekt vorbereitet, nur am Schluss hat die nötige Konsequenz gefehlt."

Wenn man nach diesem Halbfinale Erklärungen über das Augenfällige hinaus für das erneute Scheitern des HSV gegen Ciudad Real sucht, könnten die Reaktionen der Spieler einen Ansatz bieten. In ihrer Analyse fielen oft Worte und Sätze wie "auf Augenhöhe", "gleichwertig", "starke Leistung", "wir haben alles gegeben, alles versucht". Bei aller Niedergeschlagenheit fehlte indes eine Regung: Wut. Es mag diesem Tick mangelnder Aggression geschuldet sein, dass die Hamburger dem letzten (Fort-)Schritt ihrer mannschaftlichen Entwicklung weiter hinterherwerfen. HSV-Präsident Andreas Rudolph hat sich in dieser Woche dem Phänomen zu nähern versucht, als er sagte: "Möglicherweise ist unsere Mannschaft zu satt, zu zufrieden, zu harmonisch, ihr fehlt etwas von dieser brutalen Bedingungslosigkeit, die zum Beispiel Kiel hat."

Noch hat die Mannschaft die Chance, ihren Boss vom Gegenteil zu überzeugen. Am nächsten Wochenende bietet sich den Handballern des HSV in der Pokalendrunde (Final Four) die letzte Titelchance dieser Saison. "Der Beifall für gute Leistungen ist schnell verklungen, Trophäen dagegen bleiben in Erinnerung", sagte Torhüter Bitter beim sechsgängigen Abendessen, "eine zweite Saison in Folge ohne Titel wäre ziemlich unbefriedigend."

Tore, Ciudad Real: Källman 8, Stefansson 5 (2 Siebenmeter), Abalo 4, Parrondo 3 (2), Zorman 3, Rutenka 3 (1), Entrerríos 2, Morros 2, Rodríguez 1, Metlicic 1, Fernandez 1; Hamburg: B. Gille 7, Hens 6, M. Lijewski 5, Lindberg 4, G. Gille 3, Lackovic 3, Jansen 2, Grimm 1. Schiedsrichter: Gjeding/Hansen (Dänemark). Zuschauer: 4056. Zeitstrafen: 5; 5. Siebenmeter: 6 (5 verwandelt); 0.