Eine Stadt im Uefa-Cup-Fieber: Nicht nur in der Nordbank-Arena wurde gefeiert und gezittert. Abendblatt-Reporter fingen die Stimmung in Ottensen, Wilhelmsburg und auf dem Kiez ein. Bilder von der außergewöhnlichen Atmosphäre im Stadion.

50 500 Zuschauer verfolgten das Spiel HSV gegen Galatasaray Istanbul in der Nordbank-Arena. Aber auch in vielen Kneipen der Stadt wurde das Geschehen verfolgt und eifrig kommentiert. In Wilhelmsburg genauso wie in Ottensen und Eimsbüttel. Ein Stimmungsbericht vom Spielabend in Hamburg:

18 Uhr: Im Old Mac Donald in Eimsbüttel ist die Stimmung noch so verhalten wie das Geschehen auf dem Fernsehschirm. Man isst Burger und Salat, um sich auf das Spiel vorzubereiten.

18.20 Uhr: Im Süd-Treff in Kirchdorf haben sich gut drei Dutzend Männer vor den Fernsehern platziert wie in einem Kino. Unter dem Breitbildgerät hat jemand mit Isolierband die rot-gelbe Galatasaray-Fahne befestigt, es wird Tee im kleinen Glas und Holsten Edel aus der Flasche getrunken. "Sind fast alles Türken heute hier", sagt Inhaber Toprak Abidin. Es ist ruhig, einige der Männer spielen "Okey", ein Glücksspiel mit kleinen Zahlenplättchen. Das Klackern mischt sich mit dem Sprecher des türkischen Fernsehsenders. Ganz vorne hat sich Erdogan Özdemir mit seinen Jungs von der C-Jugend des F.C. Türkiye gesetzt. "Heute bin ich mal Galatasaray-Fan, sonst eigentlich HSV", sagt er. Aber eine türkische Mannschaft in Hamburg - "so was hat man doch nur einmal im Leben". Plötzlich wird die Fernsehstimme schriller, Jubel im Süd-Treff, viele reißen die Arme hoch. Tor für Istanbul. Doch nicht alle im Süd-Treff jubeln. "Nee", sagt Achmet Akin. Er schwört auf Fenerbahce, den anderen Klub aus Istanbul. "Das ist wie St. Pauli und HSV", sagt er, "und wir Fenerbahce-Fans freuen uns eben, wenn der HSV gewinnt."

18.32 Uhr: Im Herzblut auf der Reeperbahn nehmen die Zuschauer den Rückstand des HSV mit Enttäuschung zur Kenntnis. Man wendet sich ab, schnackt lieber mit dem Tischnachbarn und die Stimmung scheint sich dem Nieselregen draußen auf der Straße anzupassen.

18.55 Uhr: Auch viele der etwa 100 Gäste im Seis in Ottensen machen einen eher betrübten Eindruck. Nur eine Gruppe junger türkischer Fußballfans freut sich. Sie haben sich ganz dicht vor der größten Leinwand platziert: "Aber eigentlich ist es unwichtig, wer gewinnt", sagt die 18-jährige Yasemin, "Hauptsache Fairplay."

Auf einer Couch, ein paar Meter hinter der Schülerin, sitzt der "Klub der 35 Jahre alten HSV-Fans". Felix Gliffe, Tom Schulte und Arne Becker haben nicht nur das gleiche Alter, sie teilen auch die gleiche Erkenntnis, was die Rothosen vom HSV bisher alles falsch gemacht haben: "Die Chancenverwertung ist furchtbar", ruft Tom Schulte gerade in den Kneipenlärm - da fällt kurz nach dem Wiederanpfiff das 1:1.

19.15 Uhr, Reiherstiegviertel Wilhelmsburg: Auf der Straße fahren nur einige Autos, die Restaurants scheinen leer gefegt. Nur wenige, meist ältere Männer verfolgen in den türkischen Kulturvereinen das Spiel. "Wilhelmsburg ist heute Abend leer", sagt Kemal Öldürücü. Die jüngeren Türken seien alle nach Hamburg zum Stadion gefahren, sagt er. Um 15 Uhr hatten sich die türkischen Fans am Hauptbahnhof getroffen, um dann weiterzuziehen. Viele mussten sich die Karten auf dem Schwarzmarkt besorgen. "120, 200 Euro wurden da für Karten bezahlt, die sonst 20 Euro kosten", sagt der 35-Jährige.

Auch in der Gaststätte Pianola am Vogelhüttendeich geht es eher ruhig zu. Wirtin Susi Christensen kümmert sich um ihre Bratkartoffeln, schaut nur hin und wieder auf den Fernseher, der in einer Ecke hängt. Man trinkt hier Bier vom Fass und fachsimpelt.

Inzwischen ist das 1:1 gefallen. "Das freut uns jetzt doch, auch wenn wir hier eigentlich St.-Pauli-Fans sind", sagt Gast Peter Fischer. Doch wenn die Mannschaft aus Istanbul gewinnt - das sei auch nicht wirklich tragisch, wirft Wirtin Susi ein. "Das ist eigentlich immer ganz nett hier in Wilhelmsburg - die Türken können sich so richtig gut freuen."

19.44 Uhr: Doch davon ist wenige Straßen weiter an der Georg-Wilhelm-Straße nicht viel zu sehen. Im Vereinsheim des FC. Türkiye hat sich nur eine Handvoll Fußballfans vor dem Breitbild-TV versammelt. Ein rote Fahne mit dem Konterfei des türkischen Staatsgründers Atatürk hängt an der Wand - und ein paar türkische Zeitungsausschitte. Über der Theke stehen Whiskey- und Bierflaschen.

Vor einigen Jahren hat der Verein das Haus von Victoria Wilhelmsburg übernommen, der mit anderen deutschen Vereinen fusioniert hatte. "Wer eine Karte bekommen hat, ist drüben", sagt Demir Metin (31), der mit seinem achtjährigen Sohn gekommen ist. "Der hat erst für den HSV gehalten, aber ich konnte ihn dann überzeugen", sagt Metin.

Plötzlich springen die Männer noch einmal auf, reißen die Arme hoch, Jubel. Ein Tor ist gefallen. Der Sieg ist da. Doch dann die Ernüchterung: Wegen eines Fouls wird der Treffer nicht gewertet. Wenig später dann der Schlusspfiff, die Männer stehen wortlos auf, gehen aus dem Klubheim und fahren nach Hause.

Es ist bei dem 1:1 geblieben. Kein wirklicher Grund zur Freude, aber auch keiner zum Trauern, sagt Metin. Am nächsten Donnerstag will er mit seinem Sohn wiederkommen. Zum Rückspiel. Hier im neuen Vereinsheim vom F.C. Türkiye. "Und dann wird hier die Hölle los sein, weil wir ja nicht alle in die Türkei fliegen können", sagt Metin. "In Istanbul zu gewinnen - das wird nicht leicht für den HSV."