Bad Oldesloe. In Stormarn existieren keine öffentlichen Schutzräume mehr. Wie die Bevölkerung bei Luftangriffen künftig geschützt werden soll.

Kreml-Chef Wladimir Putin gibt sich zunehmend aggressiver und droht offen mit einer atomaren Eskalation. Das hat auch in Deutschland zu einer Debatte darüber geführt, wie denn die Bevölkerung im Falle von Raketen- und Drohnenangriffen geschützt werden kann. Bereits mit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine im Februar 2022 sind öffentliche Schutzräume wieder verstärkt betrachtet worden.

Laut einer im Mai des Vorjahres abgeschlossenen Bestandsaufnahme gibt es bundesweit zwar noch 579 von ihnen mit insgesamt rund 478.000 Plätzen, die formal zivilschutztauglich wären. Davon liegen 33 mit 33.618 Plätzen in Hamburg und 14 mit 9771 Plätzen in Schleswig-Holstein. Allerdings keiner im Kreis Stormarn.

Kriegsgefahr: Bunker? Bürger müssen sich selbst schützen

„Offiziell existieren in den alten Bundesländern zwar noch etwa 2000 solcher Anlagen. Die meisten werden inzwischen aber anderweitig genutzt oder sind als Schutzräume nicht mehr zu gebrauchen“, sagt Andreas Rehberg, Leiter des Fachbereichs Sicherheit und Gefahrenabwehr der Kreisverwaltung. Das treffe etwa auf den alten Luftschutzbunker unter dem Kreistagssitzungssaal in Bad Oldesloe zu.

Bunker in Bad Oldesloe
Christian Gräpel vom Fachdienst Personal der Kreisverwaltung ist Herr über die meterlangen Ordnerregale im Bunker unter dem Sitzungssaal. © HA | Lutz Kastendieck

Über eine Treppe gelangt man in jene Unterwelt, die Mitte der 1960er-Jahre im Zusammenhang mit dem Bau des Sitzungssaals errichtet worden ist. „In diesem Zeitraum sind solche Anlagen noch mitgedacht worden“, so Rehberg. Allerdings vorrangig in Ballungszentren und für die Verteidigung des Landes relevanten Bereichen. Doch selbst in der Hochzeit des Kalten Kriegs hätten höchstens 1,8 Prozent der damaligen Bevölkerung Platz in den Bunkern gefunden.

Bunker in Bad Oldesloe: Im Luftschutzkeller lagern Tausende von Ordnern

Der Luftschutzkeller unter dem Kreistagssitzungssaal war für maximal 100 Personen ausgelegt. Eine massive Stahltür bildet den Zugang in die verzweigten Katakomben. Die alte Luftfilteranlage mit Druckmesser und diversen Ventilen existiert zwar noch. Allerdings könnten heute höchstens noch 50 Menschen Zuflucht in den unterirdischen Gemäuern finden.

Bunker in Bad Oldesloe
Andreas Rehberg an der alten Luftfilteranlage des Bunkers. © HA | Lutz Kastendieck

Dort stehen heute meterlange und mannshohe Regale mit Tausenden Ordnern der Kreisverwaltung. „Hier lagert, was gemäß Dokumentationspflichten archiviert werden muss oder noch nicht digitalisiert worden ist“, erklärt Christian Gräpel vom Fachdienst Personal, der wachsamer Herr über das sagenhafte Akten-Konvolut ist. „Schließlich unterliegt ein Großteil des Archivs dem Datenschutz, weshalb hier nicht jeder so einfach herumspazieren darf“, so Gräpel.

Stormarn: Ehemalige Munitionsbunker sind heute Fledermausquartiere

Ähnlich dimensioniert wie der Bunker unter dem Oldesloer Kreistagssitzungssaal ist auch jener unter dem Rathaus Reinbek. Der ist Anfang der 1970er-Jahre sogar zweigeschossig gebaut worden, war aber ebenfalls für bis zu 100 Schutzsuchende ausgelegt. Und dient heute als Aufbewahrungsstätte für das Stadtarchiv.

Blick in den zweigeschossigen Bunker unter dem Rathaus Reinbek, der heute als Archiv genutzt wird.
Blick in den zweigeschossigen Bunker unter dem Rathaus Reinbek, der heute als Archiv genutzt wird. © Susanne Tamm | Susanne Tamm

Weitere dieser steinernen Relikte aus dem Zweiten Weltkrieg und der Zeit des Kalten Kriegs finden sich zum Beispiel unter dem Bahnhof Bargteheide, der Berufsschule Bad Oldesloe und im Heidekamper Wohld, einem Wald bei Reinfeld. Hier haben Mitglieder des BUND in drei ehemaligen Munitionsbunkern Fledermausquartiere eingerichtet.

Ersatz für Bunker: Tiefgaragen, U-Bahnhöfe und Tunnel sollen Zufluchtsorte werden

Und wie sollen nun die Einwohner von Städten und Gemeinden im Falle eines militärischen Angriffs geschützt werden? „Prognosen zufolge würde ein flächendeckender Ausbau von Schutzräumen zwischen 800 und 900 Milliarden Euro kosten“, berichtet Andreas Rehberg. Das Gros müsste neu errichtet werden, weil eine Sanierung noch bestehender in den meisten Fällen viel zu aufwendig und zumeist ineffizient wäre.

So sieht das auch das zuständige Bundesinnenministerium in Berlin. Erst Mitte Juni dieses Jahres habe sich die Innenministerkonferenz auf wesentliche Eckpunkte eines nationalen Schutzraumkonzepts für die zivile Verteidigung verständigt. Danach sollen insbesondere Gebäude systematisch erfasst werden, die als Zufluchtsorte genutzt werden können. Dazu zählen neben Kellerräumen in öffentlichen Gebäuden und Kaufhäusern auch Tiefgaragen, U-Bahnhöfe und andere Tunnel.

Bunker: Schutzräume sollen künftig über das Handy abrufbar sein

„Ziel ist ein digitales Verzeichnis, das es Bürgerinnen und Bürgern ermöglicht, über Warn- und Kartendienste sowie Apps die für sie nächstgelegenen Schutzorte über das Handy zu ermitteln“, erklärt ein Sprecher des Ministeriums auf Anfrage dieser Redaktion. Zudem sollen flächendeckend Keller, die komplett unter der Erdoberfläche liegen, baulich ertüchtigt werden, damit sich die Menschen dort selbst schützen können.

„Kurzfristig bieten solche Selbstschutzräume den besten Schutz für die Bevölkerung“, teilt der Sprecher mit. Die vorhandene Substanz an Wohn- und Geschäftsgebäuden biete bereits gute Voraussetzungen für einen dezentralen Schutz der Bürger im Kriegsfall. Zudem sollte auf freiwilliger Basis die „Härtung“ von Kellerräumen forciert werden, etwa durch eine Abdeckung von Kellerfenstern.

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Große Bunker ohnehin nur eingeschränkt geeignet

„Eine flächendeckende Bereitstellung öffentlicher Schutzräume für mehrere Hundert oder Tausend Menschen ist in Anbetracht der zu erwartenden kurzen oder fehlenden Vorwarnzeit nur eingeschränkt geeignet, Schutzwirkung zu entfalten“, so der Sprecher des Bundesinnenministeriums. Außerdem könnten solche Orte, an denen sich viele Menschen zur selben Zeit aufhalten, selbst zum Ziel werden.

All das entspricht wohl auch Erfahrungen aus dem Ukraine-Krieg, in dem immer wieder Ziele punktuell mittels Raketen und Drohnen angegriffen werden. Weil bei militärischen Angriffen eben nicht mehr von flächendeckenden Zerstörungen in Ballungsräumen ausgegangen wird, sondern von gezielten Angriffen mit Präzisionswaffen, vornehmlich auf militärische Anlagen, kritische Infrastrukturen sowie Regierungs- und Verwaltungsgebäude.