Bad Oldesloe/Lübeck. Drei Brüder greifen 35-Jährigen an Bushaltestelle an. Notoperation rettet sein Leben. Einer der Männer sollte längst abgeschoben werden.

In dem Prozess um eine lebensgefährliche Messerattacke auf einen 35-Jährigen im November 2023 in Bad Oldesloe hat die Staatsanwaltschaft langjährige Haftstrafen für alle drei Angeklagten gefordert. Die Männer hätten aus einem vollkommen nichtigen Anlass eine massive Gewalttat begangen, sagte Anklagevertreterin Mareike Lindner in ihrem Schlussplädoyer vor dem Landgericht Lübeck. „Es war nur einem glücklichen Zufall geschuldet, dass sich der Geschädigte in die Wohnung eines Bekannten retten konnte und die Tat so überlebte.“

Die Staatsanwaltschaft wirft den 29, 28 und 22 Jahre alten Brüdern Jalil, Najim und Mohamed M. (Namen geändert) versuchten Totschlag in Tateinheit mit gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung vor. Nach dem Willen der Anklagebehörde sollen sie für fünf Jahre, vier Jahre und sechs Monate sowie vier Jahre ins Gefängnis. Die Angeklagten hätten den Tod ihres Widersachers billigend in Kauf genommen und damit in „bedingter Tötungsabsicht“ gehandelt, so Lindner.

Prozess um Messerattacke in Bad Oldesloe: Lange Haftstrafen gefordert

Am Abend des 23. November 2023 gegen 19.15 Uhr soll das Trio den 35 Jahre alten Nico C. (Name geändert) an der Straße Schanzenbarg attackiert haben, als dieser auf dem Heimweg vom Einkaufen war. Der jüngste der drei Brüder, Mohamed M., soll ein Messer gezogen und mindestens dreimal von hinten auf das Opfer eingestochen haben.

Einer der Stiche mit der Waffe, die laut kriminaltechnischer Untersuchung über eine 8,5 Zentimeter lange und mehr als drei Zentimeter breite Klinge verfügte, traf den rechten Unterlappen der Lunge von Nico C. In der Folge sei es zu einem erheblichen Blutverlust und einer Luftansammlung in der Lunge des 35-Jährigen gekommen, es habe „akute Lebensgefahr“ bestanden. Im Krankenhaus konnten die Ärzte das Leben des Oldesloers durch eine Notoperation retten. Dazu mussten sie einen Teil des Lungenlappens entfernen.

Ein Rempler soll den gewaltsamen Streit zwischen den Männern ausgelöst haben

Auslöser der Auseinandersetzung war laut Staatsanwaltschaft, dass Nico C. den ältesten Bruder kurz zuvor im Bereich der Sehmsdorfer Straße im Vorbeigehen angerempelt hatte. Dadurch habe sich der 29-Jährige provoziert gefühlt. Ob der Rempler ein Versehen oder Absicht gewesen sei, habe sich durch die Ermittlungen nicht eindeutig klären lassen, so Lindner.

Beide Männer kannten sich demnach nicht. Jalil M. soll das spätere Opfer zunächst verbal beleidigt und kurz darauf auch körperlich attackiert haben. Die Auseinandersetzung sei jedoch nach kurzer Zeit zunächst beendet gewesen, als der deutlich kräftigere Nico C. den schmächtigen 29-Jährigen weggestoßen habe, wodurch dieser zu Boden gefallen sei.

Eingreifen eines Busfahrers ermöglichte dem Opfer die Flucht in eine Wohnung

„Der Angeklagte wollte es nicht darauf beruhen lassen und rief seine beiden in der Nähe befindlichen Brüder an, während er den Geschädigten weiter verfolgte“, so Lindner. In Höhe der Bushaltestelle am Schanzenbarg, unweit der Berufsschule, hätten die Männer den 35-Jährigen dann umzingelt, woraufhin es zum gemeinschaftlichen Angriff und der Messerattacke gekommen sei.

Bad Oldesloe
Die blutige Tat ereignete sich in der Nähe der Bushaltestelle Schanzenbarg in Bad Oldesloe. © Harald Klix | Harald Klix

Der 35-Jährige war laut Anklage direkt nach den Stichen zu Boden gegangen, wo die Angreifer ihn weiter mit Schlägen und Tritten attackierten. Dass die Angreifer von dem 35-Jährigen abließen, war demnach einzig dem couragierten Eingreifen eines Busfahrers geschuldet, der auf seiner Fahrt auf der Linie 8102 an der Bushaltestelle vorbeikam und Zeuge des Angriffs wurde.

Dank Zeugenaussagen und Kameras konnten die Täter identifiziert werden

Der Busfahrer, der dem Trio flüchtig bekannt gewesen sein soll, habe angehalten, gehupt und die Männer durch lautes Rufen dazu aufgefordert, von ihrem Opfer abzulassen, woraufhin diese innegehalten hätten. Der 35-Jährige habe den Moment genutzt, um zu entkommen und sich in die nahe gelegene Wohnung eines Bekannten zu retten, der den Notruf wählte.

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Dank Zeugenaussagen und der Aufzeichnung von Überwachungskameras aus dem Bus konnten die Angreifer mehrere Wochen nach der Tat durch die Polizei identifiziert werden. In der Wohnung von Jalil M. stellten die Ermittler zudem das Tatmesser sicher, an dessen Klinge die DNA von Nico C. nachgewiesen werden konnte. Das Trio sitzt seitdem in Untersuchungshaft.

Der jüngste Bruder sollte im Oktober 2023 nach Bulgarien abgeschoben werden

Die beiden älteren Brüder kamen Mitte 2015 als Flüchtlinge aus Syrien nach Deutschland und leben seit mehreren Jahren in Bad Oldesloe. Mohamed M. folgte ihnen im Februar 2021. Im Gegensatz zu seinen Brüdern wurde der Asylantrag des 22-Jährigen abgelehnt. Eine Abschiebung nach Bulgarien scheiterte jedoch im Oktober 2023, weil M. untergetaucht war. Zu einem geplanten, zweiten Abschiebeversuch im März dieses Jahres kam es nicht mehr, weil der 22-Jährige inzwischen in Untersuchungshaft saß.

Jalil M. hat sich vor Gericht zu den Vorwürfen geäußert und seine Beteiligung an der Attacke eingeräumt. Gleichzeitig belastete er seinen jüngsten Bruder. Dieser habe zugestochen, so der 29-Jährige in Übereinstimmung mit den Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft.

Einer der Angeklagten äußert sich vor Gericht und gibt dem Opfer eine Mitschuld

Nico C. gab er eine Mitschuld an der Auseinandersetzung. Dieser sei von Beginn an aggressiv und gewaltbereit gewesen und habe ihn zu Boden gestoßen. Seine Brüder hätten ihn nur beschützen wollen, so der 29-Jährige. Jalil M. bestritt, die Beiden zwecks Unterstützung für einen gemeinsamen Angriff angerufen zu haben. Vielmehr habe er schon vor dem Streit mit seinen Brüdern telefoniert. Die beiden anderen Angeklagten machten vor Gericht keine Angaben zur Tat.

„Der Angeklagte hat sich in seiner Ehre verletzt gefühlt, weil er gegen den Geschädigten körperlich nicht angekommen war“, sagte Staatsanwältin Lindner. Es sei zwar möglich, dass Nico C. durch sein Verhalten provoziert habe, doch das sei in diesem Fall unerheblich. Genauso sei es nicht ausschlaggebend, inwiefern sich die Brüder am Telefon abgesprochen hätten.

Für die Staatsanwaltschaft sind alle drei Männer des versuchten Totschlags schuldig

Obwohl Jalil M., wie er selbst eingeräumt habe, bemerkte, wie sein Bruder mit dem Messer zustach, habe er diesen nicht von weiteren Angriffen abgehalten. Stattdessen habe das Trio gemeinsam weiter auf Nico C. eingewirkt. Es sei deshalb von einem „gemeinsamen Tatentschluss“ und einer „stillschweigenden Willensübereinstimmung“ bei den Angeklagten auszugehen. Deshalb hätten sich alle drei des versuchten Totschlags schuldig gemacht.

Am Dienstag, 26. November, wird die Verteidigung ihre Schlussplädoyers halten. Direkt im Anschluss will die Kammer das Urteil verkünden.