Reinbek. Schulen holen Präventionsparcours nach Reinbek, damit Jugendliche nicht nur ihre Grenzen, sondern auch Grenzverletzungen erkennen.

Fünf Kabinen, die es in sich haben, stehen jetzt im Krumspanner im Schloss Reinbek. Wer in eine hineingeht, ist patschenden Händen, in diesem Fall aus Gummi, einem Meer von Blicken oder auch krassen Sprüchen ausgeliefert sind. So wie junge Menschen ihnen heute nicht nur auf dem Schulhof, sondern auch im Internet und in den sozialen Medien ausgesetzt sind. Unter dem Titel „Echt krass! – Jugendliche und sexuelle Gewalt“ ist jetzt ein Präventionsparcours zum Mitmachen im Schloss Reinbek installiert worden.

Er ist bis 18. Dezember im Schloss nicht nur zu sehen, sondern auch mit allen Sinnen zu erfahren. Denn außerhalb der Kabinen gibt es für die Besucherinnen und Besucher des Schlosses viel zu lesen, zu hören und zu sehen sowie einiges zu entscheiden: Wo hört der Spaß auf? Was ist noch okay? Was vielleicht sogar strafbar? Die Meinungen der Jugendlichen ist gefragt. Ziel ist es, dass die Schülerinnen und Schüler lernen, sich abzugrenzen und Situationen für sich besser einzuschätzen.

Reinbek: Dieser Präventionsparcours macht sexualisierte Gewalt fühlbar

„Genau das aber haben auch viele Erwachsene nicht mehr gelernt“, erläutert Nora Weinheber, Lehrerin an der Gemeinschaftsschule Reinbek. Sie ist dort für Prävention und für das neue Schutzkonzept der Schule zuständig und hat den begehrten Parcours ins Schloss geholt. „Das ist das einzige Ausstellungsprojekt zu diesem Thema in Deutschland, das sich an 14- bis 18-Jährige wendet“, lobt Elke Güldenstein, Leiterin des Kulturzentrums Schloss Reinbek. Die „extrem begehrte Ausstellung“ des Petze-Instituts, bei der es nicht allein um Wissen, sondern um Stärkung und Abgrenzung gehe, sei bis ins Jahr 2026 ausgebucht.

sexualisierte Gewalt
Sexualisierte Gewalt: Schulsozialarbeiter Mayke Detje von der Gemeinschaftsschule Wentorf stellt eine Station des interaktiven Präventionsparcours im Schloss Reinbek vor. © Susanne Tamm | Susanne Tamm

Ob „Dickpics“ (zu Deutsch Penisbilder) oder einfach unvorteilhafte Fotos im Netz: Pädagogin Nora Weinheber weiß, dass viele Jugendliche im Alltag mit unerwünschten sexualisierten Inhalten dieser Art konfrontiert werden. „Da tauchen Fälle auf, da sind wirklich übelste Sachen dabei“, erzählt sie. „Neulich ging es um eine Gaming-Plattform, auf der gar nicht unbedingt pornografische, aber krasse Gewaltvideos gezeigt werden – von der Tierquälerei bis zur Enthauptung.“ Das Schlimme sei, dass die jungen Leute über diese Flut an Gewaltbildern resignieren und abstumpfen würden. „Das ist ein Problem, wenn wir sie für Grenzüberschreitungen sensibilisieren wollen“, stellt die Lehrerin fest.

Lehrer und Schulsozialarbeiter haben sich extra weitergebildet

Um die Schülerinnen und Schüler dabei zu unterstützen, diese Grenzen zu erkennen und ihre eigenen auszuloten, werden Lehrkräfte, Schulsozialarbeiterinnen und -arbeiter in den nächsten Wochen mehr als 1100 von ihnen aus den Gymnasien und Gemeinschaftsschulen aus Reinbek und Wentorf durch den Parcours begleiten. Zwei bis drei Kräfte sind immer dabei. Die Pädagoginnen und Pädagogen haben für diese Aufgabe extra eine Weiterbildung absolviert – auch dies ist Teil des vom Petze-Institut ausgearbeiteten Konzeptes. „Falls eine Schülerin oder ein Schüler durch etwas getriggert werden, müssen wir vorbereitet sein“, sagt Nora Weinheber. In der Ausstellung gibt es außerdem auch Hinweise auf Hilfs- und Beratungsangebote. Bei einigen Rundgängen sind auch Mitarbeiterinnen des SVS-Beratungszentrums dabei.

„So etwas können wir in dieser Form innerhalb des regulären Unterrichts nicht leisten“, sagt Weinheber. Das Schloss biete zudem die Möglichkeit, sich bei Bedarf für eine Beratung oder ein Gespräch von den Schulkameraden zurückzuziehen, falls während des Besuchs etwas aufbreche. Denn die Thematik sei nicht nur tabuisiert, sondern auch stark schambehaftet, wie Björn Christiansen, Schulsozialarbeiter an der Wentorfer Gemeinschaftsschule, betont.

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Nicht nur für Schuljahrgänge, sondern auch für die Öffentlichkeit

Da passt es gut, dass der Parcours das Wissen auf fast spielerische Weise vermittelt, die Besucherinnen und Besucher häufig auf emotionaler Ebene anspricht. An den fünf Stationen geht es um die Gesetzeslage und um Hilfe bei sexuellen Grenzverletzungen, um Gruppendruck und emotionale Abhängigkeiten, um die Kommunikation innerhalb von Teenagerbeziehungen, auch darum, eigene Bedürfnisse und die der Partnerin oder des Partners als solche zu erkennen sowie um sexistische Werbung und Pornografie. Mithilfe von verschiedenfarbigen Magneten (rot oder grün) oder mit Schiebereglern können die Besucherinnen und Besucher geschilderte Situationen bewerten. Darüber können und sollen sich Diskussionen und Gespräche entwickeln.

Denn Eltern funktionieren als Korrektiv leider häufig nicht mehr, bedauern die Pädagogen. „Das ist ein Riesenproblem, dass Eltern häufig nicht mehr mitbekommen, womit ihre Kinder konfrontiert werden“, sagt Dirk Böckmann, Schulleiter der Gemeinschaftsschule Reinbek. Nora Weinheber fügt hinzu: „Es geht ja nicht mehr um die Schmuddelheftchen, die man vielleicht früher gefunden hat. Das, was Kinder im Netz zu sehen bekommen, hat eine ganz andere Qualität.“ Der Schulsozialarbeiter des Gymnasiums Wentorf, Daniel Körper, vermutet: „Eltern 12- oder 13-Jähriger denken oft, dass sie die Privatsphäre ihrer Kinder verletzten, wenn sie ihre Handys überprüfen.“ Und Leslie Mannchen, Lehrerin an der Sachsenwaldschule in Reinbek, weiß: „Dabei ist es unsere Pflicht nachzufragen und zu schauen, denn wir sind dafür verantwortlich.“

Über den Parcours über Tabu-Themen ins Gespräch kommen

Die Sachsenwaldschule bietet Elternabende zum Thema Cybermobbing als eine Initiative, die Eltern helfen soll. Daniel Körper rät: „Ein Schritt könnte sein, den Kindern das Handy so lange wie möglich nur als Leihgabe zu überlassen, um im Gespräch zu bleiben.“ Vielleicht könnte aber auch der Besuch des Parcours im Schloss ein Anstoß sein, um wieder ins Gespräch zu kommen.

Nora Weinheber war es wichtig, dass der auch der Öffentlichkeit zugänglich ist. Während die Vormittage für die Schulen reserviert sind, können alle Interessierten mittwochs bis freitags von 14 bis 17 Uhr, am Wochenende von 10 bis 17 Uhr vorbeikommen (Schlossstraße 5). Der Eintritt kostet 4 Euro.