Reinfeld. Oberleitungs-Feldversuch bei Reinfeld läuft im Dezember aus. Forscher wollen weitermachen, doch Ministerium sieht das anders.
Der Ruf der Projektleitung nach einem Weiterbetrieb des E-Highway-Feldversuchs auf der A1 bei Reinfeld stößt bei der Bundesregierung offensichtlich auf taube Ohren. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) betont auf Abendblatt-Anfrage, dass die Finanzierung von Unterhalt und Betrieb der fünf Kilometer langen Oberleitungsstrecke für Elektrolastwagen am 31. Dezember 2024 endet. „Eine weitere Finanzierung durch das BMWK ist nicht vorgesehen“, sagt ein Ministeriumssprecher.
Im Anschluss soll die komplette Anlage wieder verschwinden. „Das BMWK geht derzeit davon aus, dass die Infrastruktur nach Beendigung des Feldversuchs zurückgebaut wird“, sagt der Sprecher. Die Masten und technischen Geräte gehören der Autobahn GmbH. Der Bund fördert das Projekt im Programm „Erneuerbar mobil“. Planung und Bau der Forschungsanlage kosteten rund 19 Millionen Euro. Für Betrieb und Forschung der Elektro-Autobahn Schleswig-Holstein stehen etwa sieben Millionen Euro Fördersumme zur Verfügung.
E-Highway auf der A1: Pilotprojekt endet im Dezember 2024
Die klimapolitischen Ziele, CO2-Neutralität zu erreichen, stellen für den Güterverkehr eine besondere Herausforderung dar. Dieser wird bis 2030 laut Prognose des Bundesverkehrsministeriums um 38 Prozent gegenüber 2010 zunehmen. Der Verkehrssektor sei für 22 Prozent aller Treibhausgase verantwortlich, davon entfalle ein Drittel auf Lkw.
Der fünf Kilometer lange E-Highway auf der A1 in Stormarn ist eine von drei Teststrecken bundesweit. Zwischen der Anschlussstelle Reinfeld und dem Autobahnkreuz Lübeck stehen beidseitig rund 250 Masten mit Oberleitungen. Derzeit sind dort für die Spedition Bode drei vom Hersteller Scania geleaste Hybrid-Lastwagen (haben sowohl Elektro- als auch Dieselmotor) unterwegs, die täglich zwischen dem Firmensitz in Reinfeld und dem Lübecker Hafen pendeln. Zwei weitere, ältere Fahrzeuge wurden inzwischen aussortiert. Hinzu kommt ein vollelektrischer Lkw der Deutschen Post/DHL.
An der Autobahn bei Reinfeld wurden beidseitig 250 Masten aufgestellt
Bei der Fahrt mit Strom werden gleichzeitig die Batterien aufgeladen. Auswertungen ergaben, dass nach fünf Kilometern Oberleitung zehn weitere Kilometer elektrisch zurückgelegt werden können. Die beiden anderen Teststrecken liegen an der Autobahn 4 in Hessen und der Bundesstraße 462 in Baden-Württemberg.
Das Ziel der Feldversuche ist es für das BMWK, die Stromversorgung von Elektro- beziehungsweise Hybrid-Lkw mittels Oberleitung („dynamisches Laden“) unter realen Bedingungen im Alltagseinsatz zu erproben, um Aussagen unter anderem über Zuverlässigkeit, Dauerhaltbarkeit und Wartungsintensität der Komponenten, den Energieverbrauch unter unterschiedlichen Bedingungen (Verkehr, Wetter, Beladung des Lkw) sowie die Akzeptanz durch die Transportunternehmen treffen zu können. Es seien auch wichtige Erkenntnisse zu Planung, Genehmigung und der Aufbau der entsprechenden Infrastruktur an Bundesfernstraßen und den entsprechenden Umsetzungszeiträumen gewonnen worden.
Ziel ist die Reduktion der CO2-Emissionen zu möglichst geringen Kosten
„Mit den Feldversuchen wird nachgewiesen, dass das dynamische Laden von Lkw unter realen Einsatzbedingungen funktioniert und die Technologie die Anforderungen moderner Logistikbetriebe erfüllt“, sagt der Ministeriumssprecher. „Das übergeordnete Ziel besteht darin, die notwendige Reduktion der CO2-Emissionen des Straßengüterverkehrs zu möglichst geringen Kosten zu erreichen.“
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Eine Kurzstudie, die Hochleistungsschnelllader und Oberleitung vergleicht, kommt zu folgendem Fazit: „Beide Infrastrukturen können sich positiv ergänzen und gemeinsam ein leistungsfähiges und skalierbares System zur Stromversorgung schwerer Lkw bilden.“ In der Markteinführungsphase von Elektro-Lkw werde es in der Breite einfacher und kostengünstiger sein, das Megawatt-Ladesystem MCS zu errichten. Parallel könnten aber auch Oberleitungen auf Strecken mit einem hohen Anteil von Pendelverkehren errichtet werden. In Deutschland wären dies etwa 2000 Kilometer an den wichtigsten Autobahnen.
Wissenschaftler und Experten fordern längere Teststrecke statt Abbau
Wissenschaftler und Experten aus Schleswig-Holstein hatten der Bundesregierung vorgeworfen, dem Oberleitungsprojekt vorzeitig den Stecker zu ziehen. Die deutsche Technologieführung in dem Bereich werde aufs Spiel gesetzt. Die Projektleitung beim Forschungs- und Entwicklungszentrum (FuE-Zentrum) der Fachhochschule Kiel forderte, die Strecke auszubauen und nicht einzustellen. So könnte die rund 75 Kilometer lange Strecke zwischen den Häfen in Lübeck und Hamburg elektrifiziert werden oder sogar bis nach Bremen.
Die Technik sei inzwischen so ausgereift, dass sie sofort flächendeckend ausgerollt werden könne. Allein bei Reinfeld waren die Lkw bei rund 12.500 Durchfahrten auf etwa 48.000 Kilometern per automatisch ausfahrbarem Stromabnehmer mit der Oberleitung verbunden. Dabei bezogen sie etwa 73.000 Kilowattstunden (kWh). Schleswig-Holsteins Verkehrs-Staatssekretär Tobias von der Heide (CDU) hält es für „fatal“, das Projekt Ende des Jahres versanden zu lassen. Denn Schleswig-Holstein als Land der grünen Energie biete sich geradezu als Musterbeispiel für die Dekarbonisierung des Schwerverkehrs an.