Reinfeld. Pilotprojekt weckt nicht nur Interesse in Europa, sondern auch in Japan und China. Doch wie steht es um die Wirtschaftlichkeit?
Kann der bei Reinfeld erprobte E-Highway für Lastwagen weltweit zur Klimaneutralität beitragen? „Aus technischer Sicht könnte das System kurzfristig marktreif sein“, sagte Jan Bachmann, Projektleiter beim Forschungs- und Entwicklungszentrum (FuE-Zentrum) der Fachhochschule Kiel, bei einem Treffen von Wissenschaftlern und Experten in der Landeshauptstadt. „Bei der Wirtschaftlichkeit sind wir noch nicht ganz so weit.“ Seit vier Jahren fahren auf der fünf Kilometer langen Oberleitungsstrecke auf der A1 zwischen dem Anschluss Reinfeld und dem Autobahnkreuz bei Hamberge Lkw mit Strom und laden gleichzeitig ihre Akkus auf.
Zu den fünf Hybridfahrzeugen der Reinfelder Spedition Bode, die neben den Batterien einen konventionellen Dieselmotor haben, ist im vergangenen November ein vollelektrischer Lkw der Deutschen Post und DHL hinzugekommen. „Nach anfänglichen Vorbehalten hat der Feldversuch nicht nur Interesse in Europa geweckt, sondern auch in China und Japan“, sagte Bachmann. Immer wieder meldeten sich Besuchergruppen aus aller Welt an. Der Bund hatte die Stromautobahn für 19 Millionen Euro im Jahr 2019 errichtet.
E-Highway auf der A1: Das System ist stabil
„Nach mehr als 43.000 mit der Oberleitung absolvierten Kilometern können wir sagen: Das System ist stabil“, so Jan Bachmann. Die beste Umweltbilanz, eine platzsparende Lösung und die geringsten außereuropäischen Abhängigkeiten seien weitere Pluspunkte. Für die Zukunft kann er sich ein voll digitalisiertes „Autobahn-Netz“ mit leistungsfähigen Stromtrassen direkt daneben vorstellen. „Das wäre auch der Einstieg ins autonome Fahren“, sagte er. Sein Appell: „Wir sollten größer denken und Entscheidungen treffen.“
Andere Beteiligte ziehen ebenfalls ein positives Zwischenfazit. So erläuterte Prof. Klaus Leberg (Fachhochschule Kiel), dass die Hybrid-Lkw der neuen Generation deutlich effizienter unterwegs seien als ihre Vorgänger. „Nach fünf Kilometern Oberleitung werden noch einmal zehn weitere Kilometer elektrisch gefahren“, sagte er. „So können auch Lücken überbrückt werden.“ Die Strommasten müssen also nicht durchgängig an der Autobahn stehen.
Simulation zur Elektrifizierung von Lübeck bis Bremen
Die Auswertung von gut 13.000 Shuttlefahrten mit 320.000 Kilometern auf der Strecke zwischen Reinfeld und dem Lübecker Hafen habe gezeigt, das die Lkw sehr zuverlässig seien. Erwartungsgemäß ist der komplett elektrisch zurückgelegte Fahranteil im Sommermonat Juli (57 Prozent im Vorjahr) deutlich höher als im kalten Dezember.
Eine „sehr hohe technische Reife“ attestierte Diplom-Ingenieur Markus Schiebel (Technische Universität Dresden) der Stormarner Teststrecke. „Auch bei vier Fahrzeugen gleichzeitig war kein Aufschwingen der Oberleitung festzustellen“, sagte er. Kleinere Probleme habe der Streusalznebel auf den Isolatoren verursacht. In einer Simulation untersuchten die Fachleute die Elektrifizierung der 220 Kilometer langen Autobahn von Lübeck bis Bremen. Das Ergebnis: Selbst bei einem Stau können alle Lkw mit Stromabnehmern ohne Schwierigkeiten gleichzeitig anfahren.
Ökologische Gesamtbewertung fällt positiv aus
„Der E-Highway kann ein wichtiger Baustein zur Dekarbonisierung sein“, sagte Schiebel. Auch in der ökologischen Gesamtbewertung, in die neben der Umweltbelastung unter anderem Naturverbrauch, Bau von Masten und Fahrzeugen sowie Wartung einfließen, schneide das System deutlich besser ab als Diesel-Lkw.
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Auf die Stabilität des Stromnetzes hat der E-Highway laut der Wissenschaftler keine negativen Auswirkungen. Auch beim Fahrverhalten aller Verkehrsteilnehmer und der Unfallhäufigkeit gab‘s keine Besonderheiten.
CO₂-Ausstoß kann um etwa die Hälfte gesenkt werden
Bei elektrischer Fahrt kann mit dem heutigen Strommix der CO₂-Ausstoß um etwa die Hälfte gesenkt werden. Ein steigender Anteil an grünem Strom verringert die Emissionen weiter. Die Deutsche Post, die auf der A1 ihren allerersten Elektro-Lkw mit Stromabnehmer testet, will bis 2030 bundesweit schon 28.000 Elektrofahrzeuge einsetzen. „Ein Vorteil der Oberleitung ist, dass sie das Problem mit den sonst langen Ladezeiten löst“, sagte Jörg Salomon, Chef des Bereichs E-Mobilität bei der Deutschen Post. Während ein Diesellaster im Jahr zehneinhalb Stunden an der Tanksäule steht, sind es beim elektrischen Pendant sechs Tage und zwölf Stunden an der Ladesäule.
Für Joschka Knuth (Grüne), Staatssekretär im Landesumweltministerium, zeigt Schleswig-Holstein einmal mehr, dass es bei der Erprobung neuer Technologien zur Energiewende vorangehe. Das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz finanzierte Modellprojekt läuft noch bis Ende 2024. „Es ist unser gemeinsames Interesse, fossilfreie Energieträger zu fördern und mögliche Vorurteile auszuräumen“, sagte Knuth. Schleswig-Holstein will bis 2040 klimaneutrales Industrieland werden. „Das Projekt ist ein wertvoller Beitrag bei der Beantwortung der Frage, wie der Straßengüterverkehr dekarbonisiert werden kann“, so Knuth.
Steuerzahlerbund hält europaweite Finanzierbarkeit nicht für machbar
Der Reinbeker Landtagsabgeordnete Martin Habersaat (SPD) verfolgte die Ergebnisse der Studien ebenfalls aufmerksam. Da die Zeit der Diesel-Lkw ablaufe und grüner Wasserstoff derzeit keine Alternative sei, müsse auf Strom gesetzt werden. „Denkbar wäre, die Autobahnen mit Oberleitungen auszustatten und die vergleichsweise kurzen Strecken von der Autobahn zum Ziel mit den aufgeladenen Akkus zurückzulegen.“ Die Transportunternehmen müssten dann keine langen Pausen zum Aufladen der Akkus mehr einplanen.
Der Steuerzahlerbund Schleswig-Holstein sieht das Experiment dagegen aus finanziellen Gründen als gescheitert an. Für Geschäftsführer Rainer Kersten bestehen erhebliche Zweifel an der Wirtschaftlichkeit. Angesichts der europaweiten Transportströme müssten große Teile des Autobahnnetzes mit Oberleitungen versehen werden. Dies sei jedoch zu teuer und nicht absehbar.