Ahrensburg. Junger Sportler spielt für den SSC Hagen Ahrensburg in der Oberliga. Nun bangt er um seine Eltern in Charkiw – und einen Teamkollegen.

Pünktlich erscheint Dmytro Asieiev am vereinbarten Treffpunkt. 1,86 Meter, 100 Kilogramm, ein Bär von einem Mann mit einem jungenhaften Gesicht. Er lächelt freundlich, als er die Faust zum Corona-Gruß ausstreckt. Was er gerade durchleidet, ist ihm zunächst nicht anzumerken.

Die Mutter weint bei jedem telefonat mit dem Sohn

Als Asieiev sitzt, beginnt er sofort zu erzählen. Von seinen Eltern aus Charkiw, die seit einer Woche fast durchgehend in einem Schutzbunker ausharren. „Vor zwei Stunden hatten wir Kontakt“, sagt er auf Englisch. „Meine Mutter war heute kurz auf der Straße. Sie hat tote Menschen gesehen. Immer, wenn wir telefonieren, weint sie. Meine Heimatstadt ist gerade einer der gefährlichsten Orte der Welt.“

Asieiev ist 25 Jahre alt und Tischtennis-Profi, der zwischen seiner Heimat und Schleswig-Holstein pendelt. Er spielt für den SSC Hagen Ahrensburg und gibt Training für Jugendliche. Dort nennen ihn alle nur Dima. Der Sport ist Dimas Leidenschaft – und war jetzt seine Rettung. Nur weil er kurz vor dem Ausbruch des Krieges zu einem Spiel der Ahrensburger Oberligamannschaft reiste, ist er nun in Norddeutschland statt in Charkiw.

Anfang der Woche schlief er drei Tage am Stück nicht

Sein Ahrensburger Teamkollege hatte weniger Glück. Der Flug von Oleksii Dehtiarov wäre einen Tag später gegangen. Zu spät. Jetzt wartet er in Odessa darauf, dass irgendetwas geschieht, wie Dima berichtet. „Im Moment ist es dort recht ruhig. Oleksii konnte wieder in seine Wohnung. Immer wenn Alarm zu hören ist, geht er zurück in den Bunker.“

Dima nimmt sein Smartphone, scrollt durch die Nachrichten von seinen Freunden und Eltern. Dann geht er in die Fotogalerie, die fast nur noch aus Bildern von Raketen und Videos von Bombeneinschlägen besteht. Wie sein Tagesablauf im Moment aussieht? „Ich warte auf Nachrichten von meinen Freunden und meiner Familie. Am Anfang dieser Woche habe ich drei Tage am Stück nicht geschlafen. Ich informiere mich ständig im Internet, was geschieht.“

Fotos aus seiner Heimat dukumentieren Zerstörung

Er zeigt Fotos, die er im Internet gefunden hat und die ihm zugeschickt wurden. Bilder von der Universität, an der er studiert hat. Vom Haus eines Freundes. Eine der ältesten Apotheken der Stadt, eine Schule in der Nähe seiner Wohnung, eine Kirche. Alles zerstört. „Es ist eine humanitäre Katastrophe“, sagt er immer wieder. „Bitte schreib das auf.“

Dima erzählt von seinen Eltern. Seine Mutter sei Professorin, sein Vater arbeite in einer Polygrafie-Firma. „Wir reisen gern zusammen“, sagt er und zeigt ein Foto vom Dubai-Urlaub im Dezember. Der Vater lächelt, die Mutter lacht, und im Hintergrund feixt Dima. Dass sein Vater an Diabetes erkrankt ist, war damals keine akute Bedrohung. Auch das hat sich geändert. „In Charkiw ist im Moment kein Insulin zu bekommen, es reicht jetzt nur noch ein paar Tage“, sagt Dima. Bitter schiebt er nach: „Jetzt könnte mein Vater durch Schüsse, Raketen, Bomben oder an Diabetes sterben.“

In Ahhrensburg gilt Dima als der Publikumsliebling

Dmytro Asieiev (l.) spielt in Ahrensburg mit Oleksii Dehtiarov zusammen, der in Odessa zeitweise im Bunker festsitzt.
Dmytro Asieiev (l.) spielt in Ahrensburg mit Oleksii Dehtiarov zusammen, der in Odessa zeitweise im Bunker festsitzt. © Unbekannt | Privat

Seit sieben Jahren spielt Asieiev in Deutschland Tischtennis. Zunächst in Dresden, mittlerweile in Ahrensburg, wohin er auch Oleksii Dehtiarov vermittelt hat. Mit Sponsorenhilfe übernimmt der Verein die Kosten für Reisen und Spesen. „Beide sind absolut zuverlässige Spieler“, sagt Erhard Mindermann, Funktionär in der Tischtennis-Abteilung des SSC Hagen. Bei den Kindern im Verein sei Dima sehr beliebt. „Es macht ihm sichtlich Spaß, und er ist sich nicht zu schade, auch Anfänger zu trainieren.“

Dima gilt als Publikumsliebling in Ahrensburg. Wegen seiner leidenschaftlichen Spielweise, seiner Disziplin und wegen seines fröhlichen Auftretens. Der Verein will ihm helfen. Mitglieder haben sich erkundigt, was sie tun können. Man hofft, dem Profi weitere Trainingsjobs bei umliegenden Clubs zu vermitteln.

Die Mutter hat ihm verboten, in die Heimat zu kommen

Er sei natürlich froh, jetzt in Deutschland zu sein und nicht im Kriegsgebiet, sagt Dima. Zwischendurch verspüre er aber auch den Drang, seine Familie zu beschützen. Vor Ort. Mit einem tiefschwarzen Klecks Humor hat seine Mutter klargestellt, was sie von dieser Idee hält: „Sie hat gesagt, wenn ich jetzt nach Charkiw kommen sollte, wird sie mich erschießen.“ Dima lacht.

Von einem Augenblick auf den anderen ändert sich der Gesichtsausdruck des 25-Jährigen von besorgt zu verschmitzt, von freundlich zu erschüttert. Mal erzählt er konzentriert von der Lage in seiner Heimat. Der bekennende Pazifist scheint alles über Schusswaffen, Bomben und Panzer zu wissen. Dann wirkt er plötzlich wieder abwesend, fahrig. Die Angst und der Schlafmangel hinterlassen Spuren.

Er fuhr mal 96 Stunden Bus, um für den SSC zu spielen

Wenn er schon nicht in die Ukraine kann, will Dima wenigstens in Deutschland tun, was er tun kann. „Alle sollen wissen, was passiert und wie es uns geht“, sagt er. „Niemand in der Ukraine will diesen Krieg. Putin zerstört unsere Städte und unser Leben. Er zerstört das Leben meiner Mutter, die vorher noch nie jemanden hat sterben sehen. Er zerstört das Leben meines Vaters. Er zerstört mein Leben und meine ganze Welt. Es sterben unglaublich viele Zivilisten. Kinder, Großeltern. Im 21. Jahrhundert, mitten in Europa. Es ist verrückt.“

Dieses Wochenende steht Dima trotz allem wieder an der Tischtennisplatte. In den vergangenen Jahren hat er keine Mühen gescheut, bei den Ahrensburger Spielen dabei zu sein. Als einmal sein Flug gestrichen wurde, setzte er sich in den Bus – 96 Stunden lang.

„Ich werde für alle Ukrainer spielen“, sagt er. „Und wenn ich spiele, kann ich hoffentlich für einen Moment alles vergessen.“ Dann atmet Dmytro Asieiev tief durch. „Ich muss jetzt meine Mutter anrufen.“

Zwei Heimspiele

Der SSC Hagen Ahrensburg tritt am Sonnabend, 5. März, um 15 Uhr gegen Germania Schnelsen an. Am Sonntag, 6. März, ist ab 12 Uhr die SG Geltow zu Gast. Gespielt wird in der Turnhalle der Grundschule am Hagen (Dänenweg 13). Zuschauer sind an beiden Tagen erwünscht.