Lübeck/Ahrensburg. Beste Freundin der getöteten Afghanin sagt im Prozess um Mord in Ahrensburger Flüchtlingsheim aus. Auch Mitbewohner werden befragt.
„Geht es dir gut?“, lautet die letzte Nachricht, die Nafissa Q. (alle Namen geändert) am Nachmittag des 5. September 2021 per Whatsapp an ihre Freundin Ahdia S. verschickte. Das war um 15.37 Uhr, wie ein Foto vom Bildschirm des Handys der 20-Jährigen zeigt. Eine Antwort erhielt Nafissa Q. nicht mehr. Wenige Stunden später war Ahdia S. tot. Die junge Frau ist gefasst, als sie am Dienstag zu ihrer Aussage vor dem Lübecker Landgericht erscheint.
Es ist der vierte Verhandlungstag im Prozess um den gewaltsamen Todeiner 23-Jährigen in einer Ahrensburger Flüchtlingsunterkunft. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Ehemann der jungen Afghanin vor, Ahdia S. in der Nacht vom 5. auf den 6. September 2021 in der gemeinsamen Wohnung in der Containersiedlung am Kornkamp mit 28 Messerhieben erstochen zu haben. Die Anklage lautet Mord. Die Ermittler sind überzeugt, dass die Absicht der jungen Afghanin, sich von dem 38-Jährigen zu trennen, diesen zu der Bluttat veranlasste.
Beste Freundin von Mordopfer: „Wunsch nach Freiheit kostete sie das Leben“
Der Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben sei nicht mit dessen strenger Auslegung des Islams vereinbar gewesen, so die Anklagebehörde. Assem S. bestreitet das. Beamte der Bundespolizei hatten ihn am 7. September auf einem Autohof an der Autobahn 9 bei Hof (Bayern) festgenommen, als er versuchte, an Bord eines Reisebusses nach Mailand auszureisen. Seitdem sitzt der 38-Jährige in Untersuchungshaft.
Die Tat hat er bereits gestanden, beharrt aber darauf, im Affekt zu dem Küchenmesser gegriffen zu haben, als die Eheleute in einen Streit gerieten. Seine Frau habe gedroht, für seine Abschiebung zu sorgen und ihm die gemeinsame, heute zwei Jahre alte Tochter wegzunehmen, sagte der 38-Jährige am ersten Verhandlungstag Mitte Februar. Auch deshalb ist die Aussage von Nafissa Q. von zentraler Bedeutung.
Die 23-Jährige flehte ihre Mutter an, den Angeklagten nicht heiraten zu müssen
Ahdia S. hatte die ebenfalls aus Afghanistan stammende 20-Jährige während ihrer Zeit in einem Frauenhaus kennengelernt, in das sie im Juli 2021 vor ihrem Ehemann geflüchtet war. Die 23-Jährige vertraute sich ihrer Landsgenossin an. „Ich war ihre engste Vertraute“, sagt Q. vor Gericht. „Einmal sagte Ahdia zu mir: Du bist meine allererste und einzige Freundin“, so die 20-Jährige.
Im Detail schildert die junge Frau im Gerichtssaal, wie sehr Ahdia S. unter ihrem Ehemann gelitten habe. „Sie wollte in nicht heiraten, er war viel zu alt“, sagt die Zeugin. „Aber ihre Mutter hat sie dazu gezwungen.“ 2017 sei das gewesen, bevor das Ehepaar nach Deutschland kam. „Sie hat ihre Mutter angefleht, ihn nicht heiraten zu müssen und auch ihn direkt hat sie gebeten, auf die Heirat zu verzichten“, so Q. Daraufhin habe der Angeklagte erwidert, eine derartige Bitte stehe ihr nicht zu. „Er sagte zu Ahdia: Es reicht, wenn ich dich will.“
Der 38-Jährige zerstörte Puppe der gemeinsamem Tochter
Die Freundin sagt: „Auch das Kind wollte sie nicht. Dieser schamlose Mann hat sie geschwängert, um sie von sich abhängig zu machen.“ Der Angeklagte habe alles bestimmen wollen. „Er hat ihr vorgeschrieben, dass sie schwarze, lange Kleider und ein Kopftuch tragen musste und sie durfte niemanden treffen außer seiner Familie.“ Nafissa Q.: „Ahdia hat erzählt, dass sie sich oft gestritten haben, weil sie mehr Freiheiten wollte, und dann hat er sie geschlagen.“
Besonders in Erinnerung sei ihr eine Erzählung der 23-Jährigen von einer Situation mit der Tochter des Paares geblieben. „Ahdia hatte ihr eine Puppe gekauft. Als Assem das mitbekam, hat er die Puppe zerstört und gesagt, das sei ein Götze und Spielzeug sei etwas für Ungläubige, weil es dazu führt, dass man sich von Gott abwendet“, so die Zeugin.
Das Opfer führte eine Beziehung zu einem anderen Mann
Daneben habe Ahdia S. ihr anvertraut, eine Beziehung zu einem anderen Mann in der Türkei zu führen. „Sie hatten sich über das Internet kennengelernt, er war auch aus Afghanistan“, so die Zeugin. „Die Beziehung war sehr eng, sie hat ihm alles erzählt“, so Q. „Irgendwie hat ihr Mann davon erfahren“, sagt die 20-Jährige.
Assem S. habe seine Frau während der Zeit im Frauenhaus mit Anrufen bombardiert. „Sie hat das ignoriert, aber irgendwann hat er es doch geschafft, sie zu erreichen und ihr gedroht, er werde ihre Familie in Afghanistan und die Familie des anderen Mannes töten lassen, wenn sie nicht zu ihm zurückkommt.“ Außerdem habe der 38-Jährige Ahdia versprochen, dass sie künftig nach ihren Vorstellungen leben könne.
Die 23-Jährige wollte sich lieber selbst in Gefahr begeben als ihre Familie
„Ich habe sie noch gewarnt. Ich habe gesagt, dass er ihr aufgrund unserer Kultur niemals verzeihen wird und dass es gefährlich ist, zurückzugehen. Ich sagte: Das ist eine Falle“, so die Freundin vor Gericht. Doch Anfang September, wenige Tage vor ihrem Tod, habe Ahdia S. das Frauenhaus verlassen. „Sie sagte, dass sie lieber sich in Gefahr begebe, als ihre Familie.“ Nach dem Auszug habe sie Ahdia noch regelmäßig Nachrichten geschickt, sich erkundigt, wie es ihr gehe. „Die Antwort war immer, dass alles gut sei.“ Die Zeugin sagt: „Ihr Wunsch nach Freiheit hat sie das Leben gekostet.“
Vor Gericht sagen am Dienstag auch drei andere Bewohner der Flüchtlingsunterkunft aus. Sie beschreiben Assem S. als herrische, streng gläubige Person. „Er war ein radikaler Moslem, hat jeden Tag mehrmals gebetet und sich ständig Lesungen aus dem Koran angehört“, sagt ein Nachbar. Mehrfach habe er sich beschwert, weil andere Bewohner auf dem Gelände in kurzen Hosen herumgelaufen seien. „Das war ihm zu freizügig.“
Mitbewohner beschreibt den Angeklagten als „radikalen Moslem“
Als seine Ehefrau in das Frauenhaus kam, habe der Angeklagte ihn zweimal gebeten, mit seinem Handy bei der 23-Jährigen anzurufen, weil sie seine Nummer blockiert habe. „Als Ahdia dann wieder zurückkam, wirkte er glücklich, aber auch bedrückt“, so der 37-Jährige. „Er hat sich geschämt, dass seine Frau nach ihrer Rückkehr kein Kopftuch mehr getragen hat“, ist der Mitbewohner überzeugt. Einmal habe S. im Gespräch auch angefangen zu weinen und erzählt, dass seine Frau die Scheidung wolle.
Eine andere Bewohnerin der Unterkunft erzählt, dass S. nach der Rückkehr seiner Frau die Rollladen aller Fenster ihres Zimmers dauerhaft verschlossen habe. Einmal habe er sie auch in dem Raum eingeschlossen. „Ihm gefiel es auch nicht, dass ich kein Kopftuch trage“, sagt die 28-Jährige. Noch gegen 19 Uhr am Abend vor der Tat habe S. ihrem Mann geholfen, ein Sofa rein zu tragen. „Er hatte es eilig, aber sonst war nichts Besonderes“, so die Zeugin. Assem S. zeigt währenddessen keine Regung. Nur manchmal blickt er die Zeugen kurz an, bevor er sich wieder abwendet und ins Leere starrt. In zwei Wochen, am Dienstag, 29. März, soll das Verfahren fortgesetzt werden. Das Urteil wird für Mitte April erwartet.