Hetlingen. Fünf Sorten des englischen Apfelgebräus produziert eine kleine Elb-Manufaktur im Kreis Pinneberg: „Alles andere ist Apfelschorle!“
Der Start war holprig, denn der keimende Gründergeist an der Elbe erwischte einen denkbar schlechten Zeitpunkt: Im Oktober 2019 erblickte die Firma Cider Werkstatt GmbH der beiden Haseldorfer Petra Triepels und Boris Steuer das Licht der Welt im Kreis Pinneberg. Wenige Monate später stellte die Corona-Pandemie die Uhren nicht nur im kleinen Hetlingen, sondern auf dem Globus in den Krisen-Modus.
Doch der ambitionierte Plan des Paares, Apfelschaumwein nach britischer Art in Norddeutschland zu produzieren, wurde trotzdem durchgezogen. Bis Mai 2022 war die circa 300 Quadratmeter große Halle im Hetlinger Gewerbegebiet fertig gebaut worden. Im September zuvor zog mit dem Cider namens „Blanker Keerl“ das erste alkoholhaltige Getränk in das Cider Werk ein.
Hetlingen an der Elbe: Cider-Produktion mit plattdeutschem Touch
Die ehemalige redaktionelle Mitarbeiterin im Tchibo-Kundenservice und der selbstständige Unternehmensberater, der unter anderem auch als Dozent für den TÜV Nord tätig ist, bewiesen somit – auf eigene Faust ohne Investoren – einen langen wirtschaftlichen Atem. Denn sie produzieren auch weiterhin fleißig Apfelschaumwein – mit plattdeutschem Touch.
Es gibt zudem die „Witte Fruu“ und die „Seute Deern“, also die weiße Frau und das süße Mädchen, oder den „Masch-Cider“ mit Äpfeln aus der Haseldorfer Marsch. Passend zur Weihnachtszeit ist zudem mit „Glannig Appel“ ein „Glühcider“ im Angebot. Von herb bis süß im Geschmack sei in der Produktpalette alles dabei.
Alkoholfreier Cider? Dann könne man genauso gut Apfelschorle trinken
Eine alkoholfreie Variante fehlt jedoch im Sortiment. „Das ergibt in einem traditionell hergestellten Cider aus meiner Sicht wenig Sinn, weil beim Gärungsprozess bewusst Alkohol entsteht“, sagt Triepels. Sie schmunzelt: „Alles andere ist dann doch nur Apfelschorle.“ Dann könne man lieber gleich jene Variante wählen – ohne aufwendig dem Kesselgemisch einen Alkoholentzug zu verpassen.
90 Prozent der vom Cider Werk verwendeten Äpfel sind Bio-zertifiziert, es gehe den beiden Unternehmern vor allem um eine nachhaltige Produktion. Auf dem Dach sorgt eine Photovoltaik-Anlage für den Strom. Beide engagieren sich auch in der Arbeitsgemeinschaft Umweltschutz in Hetlingen. Äpfel aus Streuobstwiesen und privaten Gärten aus dem Umland werden zudem unter Zugabe von Hefe über Wochen hinweg in großen Kesseln vergoren.
Hefepilze zersetzen Fruchtzucker im Apfelsaft zu Alkohol, Kohlensäure und weiteren Stoffen
Die Hefepilze sorgen dafür, dass der Fruchtzucker in Alkohol, Kohlensäure und andere Stoffe umgewandelt wird. Die Äpfel werden vorab extern gepresst, der frische Apfelsaft kommt dann in die Kessel in Hetlingen und zieht dort „sechs bis acht Wochen“ durch. Teilweise dauert der gesamte Reifeprozess des Hetlinger Ciders bis zu sechs Monate.
Als „Apfelsaft mit Sprit“ fasst die Niederländerin Triepels, die in Frankfurt aufgewachsen ist, den Geschmack des Getränks salopp zusammen. Zwischen fünf und acht Prozent Alkoholgehalt weist ihr Cider je nach Sorte auf. In Hessen wird gern „Äppelwoi“ getrunken. Aber: Ist Norddeutschland denn überhaupt eine Cider-Hochburg? „Wir wollen es gern zu einer machen“, sagt die 55 Jahre alte Unternehmerin und lacht.
Apfelwein: Gut 12.000 Cider-Flaschen stehen abfahrbereit im Lager
Während sie ihren alten Job aufgegeben hat, ist ihr ein Jahr jüngerer Partner parallel weiterhin als Unternehmensberater in Sicherheitsfragen tätig. Aktuell stünde die Cider-Firma wirtschaftlich gesehen in Hinblick auf die Investitionen laut Steuer bei einer „schwarzen Null“. Der Umsatz sollte sich perspektivisch verdreifachen.
Gut 12.000 abgefüllte Flaschen der Apfelwein-Spezialität warten aktuell auf ihren Einsatz. Einige der sogenannten IBC-Tanks, die bis zu 1000 Liter Flüssigkeit fassen, stehen für Nachschub jederzeit bereit. „Wir möchten wirtschaftlich, nachhaltig und gesund wachsen. Ich gehe davon aus, dass wir so in zwei, drei Jahren die Gewinnzone erreichen“, sagt Steuer über den kleinen Familienbetrieb, in dem beide sich größtenteils um alles selber kümmern müssen. Zum Teil liefern sie kleinere Mengen auch selbst aus.
Neuere Apfelsorten passen nicht zum „Aroma-Profil“ eines traditionellen Ciders
„Es bringt aber auch wirklich Spaß, auf lokaler Ebene den Landwirten Bio-Produkte erfolgreich schmackhaft zu machen und ihnen neue Möglichkeiten der Apfelverwertung aufzeigen zu können“, meint Steuer. Der Fokus in ihrem Cider liege klar auf alten Apfelsorten wie zum Beispiel Roter Hasenkopf, Finkenwerder Herbstprinz, Boskoop oder Holsteiner Cox. Die neueren Apfelsorten, wie etwa der Wellant, würden aus ihrer Sicht nicht unbedingt zum „Aroma-Profil“ eines traditionellen Ciders passen.
Andere Produzenten experimentieren auch mit anderen Früchten im Cider, zum Beispiel Johannisbeere oder Cranberrys. Die beiden Haseldorfer bleiben da bisher lieber konservativ. Einst genossen sie das vor allem in den Sommermonaten beliebte Getränk unter anderem während ihrer Irlandaufenthalte.
Während der Irland-Urlaube gab es Cider – warum nicht auch selbst produzieren?
Es hat ihnen gut geschmeckt. Und so wuchs über viele Jahre hinweg der Wunsch, hier in Norddeutschland eine Produktionsstätte in der Apfel-Region Haseldorfer Marsch zu etablieren. Etwa zwei Jahre war zunächst im Privathaushalt mit der Rezeptur experimentiert worden, ehe der für sie beste Geschmack und eine gleichbleibende Qualität gewährleistet werden konnten.
„Wir verkaufen die Produkte natürlich auch über das Internet, aber im Grunde genommen sollen sie möglichst hier in der Region bleiben“, meint Steuer. In Wedel gibt es den Cider aus Hetlingen zum Beispiel beim Weinhändler La Barrique oder auch in Holm im Hofladen Ladiges. In Hamburg haben ein paar Rewe-Supermärkte den Apfelschaumwein im Angebot. Es gibt in Hetlingen auch einen Lagerverkauf vor Ort in der Klaus-Groth-Straße 7.
Gold-Award auf Cider-Messe – und eine gute Platzierung im Feinschmecker-Magazin
Am kommenden Wochenende bieten Triepels und Steuer ihre Getränke beim Weihnachtsmarkt in Rissen an (Rissener Landstraße 193). Circa 60 Wochenarbeitsstunden kämen bisweilen laut Triepels schon mitunter zustande. Zuletzt waren die beiden Haseldorfer beispielsweise auch auf dem Wedeler Weihnachtsmarkt – umzingelt von Glühweinbuden.
Sie hoffen, dass sich Qualität am Markt durchsetzt: Im Feinschmecker-Magazin landete ihr Cider immerhin auf Platz elf von 35 dort gewürdigten Produzenten. Für die „Seute Deern“ gab es sogar eine Gold-Auszeichnung auf der Cider-World-Messe in Frankfurt. „Ich würde sagen, dass unsere Zielgruppe so ab Mitte 20 aufwärts beginnt. Die Älteren sind da schon aufgeschlossener“, sagt die gelernte Buchhändlerin Triepels.
Mehr aus Hetlingen
- Jahrzehntelange Tradition in Wedel: Fischräucherei Schwan an der Elbe schließt
- Privater Träger aus Hamburg sagt ab: Ende der Grundschule in Hetlingen besiegelt
- Hetlinger Schanze: Lokal Elbstil ist pleite - jetzt spricht der Insolvenzverwalter
Das Paar setzt auf die Karte Regionalität, mit Ebbelboi aus Pinneberg gebe es zumindest noch einen Mitbewerber. Ein weiterer Cider-Produzent aus Norddeutschland sei mittlerweile nach Sylt abgewandert. Und so hoffen, die beiden Unternehmer von Hetlingen aus den norddeutsch-alkoholhaltigen Apfelmarkt erobern zu können.
Eine 0,33-Liter-Glasflasche kostet direkt vom Erzeuger 2,70 Euro, zudem gibt es ein Vierer-Pack mit verschiedenen Sorten (10 Euro), das Six-Pack kostet 14,50 Euro. Eine 24er-Kiste kann für 55 Euro gekauft werden. Der Liter „Glühcider“ kostet 7,99 Euro.
Weitere Informationen: www.ciderwerk.de