Appen. Fotograf und Journalist Sönke Dwenger zeigt in der Appener Kaserne historische Aufnahmen aus der Wendezeit. Ein Besuch lohnt sich.

Einen geradezu liebevollen Blick zurück auf die jüngere deutsche Geschichte gewährt jetzt eine Bilderausstellung, die noch bis Mitte Dezember in der Unteroffizierschule der Luftwaffe in Appen zu besichtigen ist. Der Fotograf und langjährige Journalist Sönke Dwenger zeigt dort historische Aufnahmen über „35 Jahre Mauerfall“.

Die Bilder hat er in der Wendezeit 1989 an der damaligen Grenze zur DDR und danach an ostdeutschen Brennpunkten gemacht. „Es ist eine fotografische Spurensuche“, beschreibt der Oberstleutnant der Reserve seine zum Teil spektakulären Fotografien, die überwiegend schwarz-weiß sind.

Wie sich die DDR- und Bundesbürger beim ersten Mal euphorisch begegneten

In Kiel habe er damals von der plötzlichen Öffnung der Berliner Mauer am Abend des 9. November 1989 erfahren, erzählt der heute 64-Jährige. Sofort sei er elektrisiert gewesen von der historischen Bedeutung für die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten. Dwenger war als Zeitungsredakteur mit Kollegen zu einem Gespräch mit Bundeswehroffizieren eingeladen. „Wir spürten, dass gerade etwas ganz Großes passiert war“, erinnert er sich an diesen historischen Moment.

Der Fotograf und Journalist Sönke Dwenger zeigt in der Unteroffizierschule der Luftwaffe zahlreiche historische Aufnahmen, die die Stimmung der deutschen Zeitenwende in spektakulären Bildern auffingen. Wie hier den Trabbi-Konvoi aus dem Osten an der damaligen innerdeutschen Grenze bei Schlutup.
Der Fotograf und Journalist Sönke Dwenger zeigt in der Unteroffizierschule der Luftwaffe zahlreiche historische Aufnahmen, die die Stimmung der deutschen Zeitenwende in spektakulären Bildern auffingen. Wie hier den Trabbi-Konvoi aus dem Osten an der damaligen innerdeutschen Grenze bei Schlutup. © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

Zwei Tage später, einen Sonnabend, machte sich Dwenger nach Schlutup bei Lübeck auf, wo damals die innerdeutsche Grenze verlief. Die Kilometer langen Schlangen der putzigen „Trabbi“-Fahrzeuge, die da zu Tausenden zum allerersten Mal in ihrem Leben von Ost nach West fuhren, waren für ihn und wohl alle Zeitzeugen, die das miterlebt haben, ein unvergessliches Schauspiel. „Es herrschte eine euphorische Stimmung, wie ich sie vorher noch nie erfahren habe“, erinnert sich Dwenger.

Aufbruchsstimmung dieser Zeitenwende in aufregenden Bildern festgehalten

Die Bundesbürger, die da in Massen Spalier standen, schüttelten den ankommenden DDR-Bürgern begeistert die Hände und reichten ihnen Bananen direkt ins kleine Plaste-Auto. Das krumme Obst, das es damals eher selten im Osten zu kaufen gab, wurde so zum Symbol der neuen Freiheit.

Auch im Osten, wie hier auf einer damals typischen Allee am Ortseingang von Schwerin, wurden die Besucher aus dem Westen freudig auf Transparenten begrüßt.
Auch im Osten, wie hier auf einer damals typischen Allee am Ortseingang von Schwerin, wurden die Besucher aus dem Westen freudig auf Transparenten begrüßt. © Burkhard Fuchs | Sönke Dwenger

Journalist Dwenger, der damals für die Dithmarscher Landeszeitung in Heide und Brunsbüttel gearbeitet hat, hielt das alles in atemberaubenden Bildern fest. Die Euphorie und Aufbruchsstimmung, die seinerzeit fast alle Menschen in Ost und West ergriff, ist darin regelrecht zu spüren. „Man kann ihren unglaublichen Freudentaumel fast riechen“, habe ihm dazu mal ein Betrachter anerkennend gesagt, erzählt Dwenger.

Viele Ostdeutsche zog es in den Westen und hinterließen ihre alte Heimat

Nun hatte er Blut geleckt und wollte diese einmalige historische Geschichte, die sich viele Jahre vorher so nicht angekündigt hatte, weiter aus nächster Nähe beobachten und mit seiner Kamera für sich und die Nachwelt fotografisch aufzeichnen. Dwenger fuhr nach Berlin, wo er am 3. Oktober 1990 an der offiziellen Feier zur deutschen Wiedervereinigung  teilnahm und die jubelnden Massen am Brandenburger Tor beobachtete. Er besuchte den Chemie-Standort Bitterfeld und die kleinen, verlassenen Dörfer, die nun erst recht eine Fluchtwelle in den Westen erlebten.

Auch ein historisches Schild von der damaligen Staatsgrenze zur DDR ist in der Ausstellung zu sehen.
Auch ein historisches Schild von der damaligen Staatsgrenze zur DDR ist in der Ausstellung zu sehen. © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

„Binnen weniger Jahre brach nicht nur das politische System der DDR auseinander, sondern nahezu die komplette Lebenswelt vieler Menschen“, beschreibt Dwenger diese Entwicklung, die die Menschen in beiden deutschen Staaten seitdem unterschiedlich geprägt hat. „Arbeitsplatz, Firma, Kaufmannsladen, Familie, Dorfgemeinschaft, Nachbarschaft – vor allem junge Leute verließen oft ihre Heimat, um im Westen neue Arbeit zu suchen“ – und sich dort ein neues Leben aufzubauen.

Die Ausstellung ist bis zum 12. Dezember öffentlich zu besichtigen

Dieser gesellschaftliche Wandel brachte den meisten von ihnen neuen Komfort, glaubt Dwenger. „Doch er brach mit einer solchen Unerbittlichkeit und Massivität herein, die viele straucheln ließ.“ Sie verloren auf einen Schlag die Vertrautheit und Sicherheit und wurden „vom westlichen Konsum- und Konkurrenzdruck regelrecht überrollt“, sagt Dwenger rückblickend. Das Tempo, in dem das passierte, habe auch ihn erschreckt. „Jede Woche neue Pleiten. Jede Woche neue Belegschaften, die ihre Jobs verloren.“

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Dieser historische Umbruch, der heute, eine Generation später, noch nicht verarbeitet ist, springt dem Betrachter der authentischen Bilder Dwengers direkt ins Gesicht. Wer diese sehenswerte Ausstellung zum 35. Jahrestag der deutschen „Wendezeit“ besuchen möchte, kann dies bis zum 12. Dezember in der Jürgen-Schumann-Kaserne in Appen tun. Die Bilder sind dort im Hörsaalgebäude, Feldwebel-Laabs-Zentrum genannt, der Unteroffizierschule der Luftwaffe ausgestellt.

Der Wilde Westen im nahen Osten. Die Werbe-Ikonen aus dem goldenen Westen eroberten rasch die ostdeutsche Idylle, in der die Zeit vielerorts stehen geblieben schien, wie hier in einem Dorf im Oderbruch 1990
Der Wilde Westen im nahen Osten. Die Werbe-Ikonen aus dem goldenen Westen eroberten rasch die ostdeutsche Idylle, in der die Zeit vielerorts stehen geblieben schien, wie hier in einem Dorf im Oderbruch 1990 © Burkhard Fuchs | Sönke Dwenger

Sie ist montags bis donnerstags jeweils zwischen 9 und 16 Uhr öffentlich zu besichtigen. Die Besucher müssen sich telefonisch unter 04122 /986 2140 oder per E-Mail unter uslwpresse@bundeswehr.org anmelden und ihren Personalausweis vorlegen. Für Gruppen ab zehn Personen können auch Termine außerhalb des Zeitrahmens vereinbart werden.