Kreis Pinneberg. Gewerkschaft hat spontan den Nahverkehr im Norden zum Erliegen gebracht. Aber eine Sonderregel verschont Pendler im Hamburger Umland.
Trotz eines kurzfristigen Streikaufrufs der Gewerkschaft Ver.di für diesen Mittwoch nach der Urabstimmung der Busfahrer haben nicht alle Angestellten im Norden ihre Arbeit niedergelegt. So fahren etwa die Busse der Kreisverkehrsgesellschaft in Pinneberg (KViP) nach Fahrplan. Es ist das erste Mal, dass sich die 160 Fahrer des Unternehmens nicht an dem Streik im Busgewerbe in Schleswig-Holstein beteiligen. Die Gewerkschaft wirft dem Unternehmen einen Rechtsverstoß vor.
Am Dienstagabend hatte Ver.di angekündigt, mit Beginn der Frühschichten am Mittwoch die etwa 3000 Beschäftigten der Betriebe des Omnibusverbands Nord (OVN) zum Streik aufzurufen. Das betrifft etwa 1700 Busse. Er sollte bis zum Dienstende andauern. Hintergrund ist der Konflikt um den Tarifvertrag der OVN-Betriebe, den die Arbeitgeberseite kurz vor Ende der Erklärungsfrist widerrufen hatte.
HVV: Busfahrer-Streik - Gewerkschaft hat im Oktober bereits zu sechs Streiktagen aufgerufen
Seit dieser Schritt Ende September publik wurde, hatte die Gewerkschaft im Oktober bereits sechs ganztägige Streiktage initiiert. An vier dieser Tagen waren auch die Beschäftigten der KViP mit Sitz in Uetersen zum Ausstand aufgerufen worden – und legten jeweils ganztägig die Arbeit nieder.
Insofern mussten die Fahrgäste auf den 23 Linien der Gesellschaft sowie die Nutzer des Stadtbusverkehrs in Elmshorn, der auch zur KViP gehört, davon ausgehen, dass am heutigen Mittwoch kein Bus fährt. Doch es gab für sie am Morgen eine freudige Überraschung, denn der Verkehr rollte auf allen Linien nach Fahrplan.
KViP hat innerbetriebliche Einigung mit den Mitarbeitern erzielt
So teilte das Unternehmen auf seiner Homepage mit, man freue sich, mitteilen zu können, dass die Busse trotz Streikaufrufs planmäßig fahren. Und weiter heißt es: „Ermöglicht durch eine innerbetriebliche Einigung nahmen mit Dienstbeginn am heutigen Mittwoch die Omnibusse der KViP planmäßig ihren Dienst auf den von uns bedienten Linien auf und werden Sie bis Dienstschluss wie gewohnt zu Ihren Reisezielen bringen.“
Die Fahrgäste konnten also aufatmen – und müssen sich auch im weiteren Verlauf des Arbeitskampfes keine Sorgen mehr machen. Auch an den künftigen Streiktagen, das teilte Unternehmenssprecher Martin Beckmann auf Abendblatt-Anfrage mit, werden die Busse der KViP wie gewohnt verkehren.
Betriebsrat und Geschäftsführung haben sich an einen Tisch gesetzt
„Nach den letzten Streiks haben sich Betriebsrat und Geschäftsleitung zusammengesetzt“, erläutert Beckmann. Ausgangspunkt war, dass auch die Busfahrer den Unmut der Fahrgäste über die streikbedingten Ausfälle am eigenen Leib zu spüren bekamen, als sie die Fahrten wieder aufgenommen hatten. Beckmann: „Es waren gute, konstruktive Gespräche.“
Am Ende habe eine Übereinkunft gestanden. Die KVIP respektiere die eigentlich erzielte Tarifeinigung und bezahle die Mitarbeiter auch entsprechend. Im Gegenzug würden diese auf weitere Streiks verzichten. Eine Lösung, für die sich laut Beckmann auch der Betriebsrat aussprach. Sie sei auf einer Betriebsversammlung allen Mitarbeitern vorgestellt worden.
KViP: Kein Haustarif, sondern eine Einzelfallentscheidung
Es handelt sich laut dem Unternehmenssprecher nicht um einen Haustarif, sondern nur um eine Einzelfallentscheidung. Beckmann: „Kein Mitarbeiter wird schlechter gestellt. Sollten Gewerkschaft und Arbeitgeber sich auf einen besseren Abschluss einigen, geben wir das natürlich auch so weiter.“
Das Angebot ist laut Beckmann den 160 Mitarbeitern im Fahrdienst vorgelegt worden. „Der allergrößte Teil hat sich entschieden, das Angebot anzunehmen. Natürlich steht es aber jedem Kollegen frei, das nicht zu tun und sein Streikrecht in Anspruch zu nehmen.“
4 von 160 Busfahrern der KViP folgen Streikaufruf
Laut Beckmann sind am Mittwoch nur vier von 160 Busfahrern dem Streikaufruf von Ver.di gefolgt. Diese seien durch Kollegen, die eigentlich dienstfrei hatten, ersetzt worden, sodass alle Fahrten des Unternehmens trotz Streikaufrufs planmäßig erfolgen konnten.
Die KViP ist das einzige OVN-Unternehmen, das am Mittwoch aus der Streikfront ausgeschert ist. „Was dort passiert, ist ein Verstoß gegen das Betriebsverfassungsgesetz“, sagt Ver.di-Sprecher Frank Schischefksky. Doch trotz des Rechtsverstoßes bleibe die Gewerkschaft entspannt: „Das Verhalten der KViP zeigt, dass die Argumentation der Arbeitgeberseite völliger Unsinn ist.“
KViP ist das einzige Unternehmen, das aus der Streikfront ausbricht
So habe der OVN den Tarifabschluss aufgekündigt, weil angeblich kein Geld da ist. Das Verhalten der KViP zeige jedoch, dass dem nicht so ist. „Hier wird eine Streikbrecherprämie aus öffentlichen Mitteln finanziert“, sagt Schischefsky. Schließlich sei die KViP ein Unternehmen der öffentlichen Hand. Nichtsdestrotrotz sei dieses Verhalten gut für die Beschäftigten.
Laut dem Gewerkschaftssprecher könne die KViP diese Leistung nicht netto auszahlen, sondern müsse darauf Steueranteile leisten. „Die zahlen also mehr als sie müssten“, so der Gewerkschaftssprecher. Dieses Verhalten zeige, dass die Arbeitgeber sehr wohl auf die Forderungen der Gewerkschaft eingehen könnten.
Ver.di will mit KViP über möglichen Haustarifvertrag reden
„Der OVN zeigt Auflösungserscheinungen“, glaubt Schischefsky. Es werde immer fraglicher, ob der OVN noch in der Lage sei, mit Ver.di einen Tarifvertrag abzuschließen. Die Gewerkschaft werde sich in den nächsten Tagen beraten, wie sie auf das Verhalten der KViP reagieren solle. Schischefsky: „Wir werden wohl auf das Unternehmen zugehen. Schließlich kann die KViP auch mit uns einen Haustarifvertrag abschließen.“
98,63 Prozent der Busfahrer sprachen sich für Dauer-Streik aus
Die Gewerkschaftsmitglieder im OVN waren in den vergangenen beiden Wochen zur Urabstimmung aufgerufen, darunter auch die Fahrer der KViP. 98,63 Prozent der Busfahrer sprachen sich dabei für einen Dauer-Streik aus – laut Ver.di eine historische Zustimmungsquote.
„Wir haben einen klaren Auftrag der Mitglieder in den Betrieben bekommen, in den sogenannten Erzwingungsstreik zu gehen. Eine andere Möglichkeit haben wir als Gewerkschaft nicht, wenn Arbeitgeber so brutal einen ausgehandelten Kompromiss abräumen“, so Sascha Bähring, Verhandlungsführer von ver.di Nord.
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Am kommenden Montag könnten OVN und Gewerkschaft das erste Mal seit langem wieder miteinander sprechen. Ob das Gespräch zustande kommt, entscheidet sich am Freitag. Beide Seiten haben Bedingungen für die Zusammenkunft gestellt. Doch auch wenn es das Treffen gibt: Ver.di glaubt dabei offensichtlich nicht an eine Einigung. „Die Aussagen des OVN in den Medien über das, was bei den angebotenen Gesprächen am Montag zu erwarten ist, lässt erahnen, dass dieser Konflikt eine schwere Belastung für die Beschäftigten und Fahrgäste wird“, so Bähring weiter.
Die Arbeitgeberseite müsse sich sehr schnell überlegen, ob sie wirklich die Klientelpolitik für Kleinstunternehmen in der Tarifpolitik machen oder als Tarifpartner für die wichtigen Unternehmen des OVN agieren wollten. Bähring: „Wir fordern die großen und wichtigen Busunternehmen wie die Autokraft, Transdev, KVIP und Elite auf, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und sich nicht länger hinter kleinen, meist als Subunternehmen agierenden Unternehmen zu verstecken.“
Neuer Tarifvertrag wäre rückwirkend zum 1. Juli in Kraft getreten
Der neue Tarifvertrag, den die Arbeitgeber kurzfristig wieder zurückgezogen hatten, hätte rückwirkend zum 1. Juli 2024 in Kraft treten und Gültigkeit bis zum 30. Juni 2026 haben sollen. Zunächst hätten zwölf Leermonate gegolten, dann wären zum 1. Juli 2025 und 1. Februar 2026 Lohnerhöhungen von jeweils 137,50 Euro gefolgt. Auch eine Inflationsausgleichsprämie, zahlbar noch 2024, in Höhe von 850 Euro gehörte zu der Einigung.
Ein weiteres Unternehmen im Kreis Pinneberg, die Verkehrsgesellschaft Hamburg-Holstein (VHH) mit Sitz in Schenefeld, wird ebenfalls nicht bestreikt. Dort gilt ein Haustarif, sodass die VHH-Nutzer in Hamburg und Umgebung nicht mit Ausfällen rechnen müssen. Die KViP bedient im Umland mehrere Linien für die VHH. Auch diese Fahrten werden wegen der innerbetrieblichen Einigung künftig planmäßig erfolgen.
3000 Beschäftigte und 1700 Busse gehören zum OVN
Zum OVN gehören aktuell rund 80 private Busunternehmen aus Hamburg und Schleswig-Holstein mit etwa 1700 Bussen und circa 3000 Beschäftigten, wobei es sich mehrheitlich um kleine Unternehmen handelt. Eine Ausnahme ist die Kreisverkehrsgesellschaft in Pinneberg (KViP) mit Sitz in Uetersen, die 160 Mitarbeiter beschäftigt und 60 Busse auf die Straße bringt