Helgoland. Das Rubinkehlchen im Sucher. Mehr als 100 Freunde der Ornithologie erlebten bei den Vogeltagen auf dem Roten Felsen eine Sensation.
Etwa 15.000 Vogelbeobachter aus Deutschland haben sich bei eBird registriert. Noch beliebter ist ornitho.de. Sie alle, die für die internationalen Vogeldatenbanken Bilder liefern, wären bestimmt vor wenigen Tagen auf Helgoland sehr gern dabei gewesen, als eine Rarität für unsere Region entdeckt wurde: das Rubinkehlchen, auch als Nachtigall aus der russischen Taiga bekannt.
Für einen Ornithologen aus Celle erfüllt sich ein Traum
Normalerweise brüten diese Vögel im tiefsten Sibirien und ziehen im Winter gen Süden nach Nepal, China, Thailand. Doch dieser hübsche Kerl, den Weibchen fehlt die leuchtend rubinrote Zeichnung der Kehle, kam völlig vom Wege ab. Zum zweiten Mal ist eine Sichtung auf Helgoland registriert worden, die erste war von 1995. Die Insel mit der 1910 gegründeten, zweitältesten Vogelwarte der Welt ist für besondere Gäste aus der Vogelwelt wie den Schwarzbrauenalbatros bekannt.
Arne Torkler (49) aus Celle gehört zu den glücklichen Ornithologen, die den Vogel fotografieren konnten. Bis zu fünfmal im Jahr reist er auf die Insel, um seiner Passion, dem Birding, also der Vogelbeobachtung, nachzugehen. „Ich träume seit fast 30 Jahren von diesem Vogel in Deutschland“, erzählt der Chef eines Planungsbüros, der sich beruflich auf den Schutz von Großvogelarten wie den Schwarzstorch und Fischadler konzentriert. Dieser Traum ist jetzt in Erfüllung gegangen.
Ein Gen-Defekt sorgte wahrscheinlich für die ungewöhnliche Flugroute
Ganz ungewöhnlich ist der Flug Richtung Westen statt Süden für den Vogel aus der Familie der Fliegenschnäpper jedoch nicht. Die meisten Sichtungen wurden laut Tarsiger.com, Finnlands beliebtester Vogelseite, in Großbritannien gemeldet. In Deutschland ist es erst die dritte Sichtung. Nach der ersten Beobachtung 1995 auf Helgoland fiel der Zugvogel, der mit unserem Blaukehlchen verwandt ist, im Oktober 2020 auf der kleinen Insel Greifswalder Oie in Mecklenburg-Vorpommern auf.
Laut Dr. Jochen Dierschke, Technischer Leiter der Vogelwarte auf Helgoland, hat wahrscheinlich ein Gen-Defekt dafür gesorgt, dass der Vogel mehr als 3000 Kilometer in die falsche Richtung geflogen ist. Sollte es dem Vogel gelingen, wieder in sein Brutgebiet zurückzukehren, könnte es passieren, dass sich die Wege des Vogelzugs verändern, falls der verirrte Gast bessere Bedingungen am neuen Zielort ausmacht und diese Information weitervererbt. Das sei aber reine Spekulation.
Die Mönchgrasmücke orientierte sich Klimawandel neu nach England
Bei der Mönchgrasmücke habe der Klimawandel beispielsweise so eine Entwicklung begünstigt. Diese Vögel änderten innerhalb weniger Generationen ihre Zugrichtung, die im Erbgut gespeichert ist. Jochen Dierschke: „Sie reisen von Süddeutschland aus im Herbst nur noch bis ins südliche England zum Überwintern statt wie früher nach Spanien, Südfrankreich oder Marokko.“ Die Gründe: Der Winter dort ist sehr mild und die Bewohner füttern die Vögel sehr stark.
Ob sich dieser Trend gen Westen auch bei dem sibirischen Rubinkehlchen durchsetzt, ist fraglich. Denn der Vogel schaute bei seiner Stippvisite auf Helgoland in Hunderte von Objektiven. Sie hatten sich am Wochenende zu den Vogeltagen auf der Nordseeinsel eingefunden. Und den etwa 14 bis 16 Zentimeter großen Stargast wollte niemand verpassen.
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Bis zu vier Stunden standen die Naturfotografen vor dem Busch, um ein gutes Bild zu machen. „Was für ein geiler Vogel“, freut sich einer, der dabei war, auf seiner Facebook-Seite. „Der Heilige Gral“ und die „Deutschland-Art #415“ war es für Facebook-Nutzer Eike. Er schwärmt: „Helgoland zeigte sich weniger rau als zu dieser Zeit üblich. Die Tage vergingen entspannt: Ruhe, Kinderwagen, birden, spielen, feiern. Jackpot!“