Elmshorn. Als Sparziel will das Land die Gerichtsstrukturen konzentrieren und ausdünnen. Die Stadt an der Krückau könnte es doppelt treffen.
Seit 1867 wird in Elmshorn Recht gesprochen. Doch die Jahre, in der die größte Stadt des Kreises Pinneberg als Gerichtsstandort fungiert, könnten gezählt sein: Die Landesregierung in Kiel will im Zuge der Haushaltskonsolidierung in den kommenden Jahren die Gerichtsstrukturen im Land reformieren.
Und das könnte Elmshorn gleich doppelt treffen. Auf der Streichliste, die in Landtagskreisen herumgereicht wird, stehen sowohl das Amtsgericht Elmshorn als auch das in der Stadt ansässige Arbeitsgericht.
Justiz Schleswig-Holstein: Konzept sieht nur noch ein Amtsgericht pro Kreis vor
Wie es in einer am Mittwoch veröffentlichten Pressemitteilung des Justizministeriums heißt, solle künftig der Grundgedanke „eines Amtsgerichts pro Kreis“ gelten. Weiter heißt es: „Im Hinblick darauf sollen die derzeitigen Strukturen dahingehend überprüft werden, ob und in welchem Umfang durch die Zusammenlegung von Amtsgerichten Effizienz- und Wirtschaftlichkeitsvorteile erzielt werden können.“
Der Kreis Pinneberg verfügt als einziger der drei Kreise im Landgerichtsbezirk Itzehoe über zwei Amtsgerichte – in Pinneberg sowie Elmshorn. Mit 125 Mitarbeitern ist der Standort in Pinneberg der größere, am Amtsgericht Elmshorn arbeiten etwas mehr als 80 Menschen. Elmshorn verfügt über zwölf Richterstellen, Pinneberg über 14.
Amtsgericht Pinneberg: Mitarbeiter auf zwei Interimsstandorte verteilt
Aktuell sind die Mitarbeiter in Pinneberg auf zwei Interimsstandorte in Quickborn und Schenefeld verteilt, weil ihr Stammsitz aufgrund von Betonkrebs abgerissen werden musste. Der Westflügel ist bereits der Abrissbirne zum Opfer gefallen, der Ostflügel wird folgen. Auf dem Grundstück an der Moltkestraße wird mittelfristig ein neues Gerichtsgebäude gebaut.
Aktuell läuft die Planungsphase. Vermutlich wird der Neubau nun größer geplant, sodass die Mitarbeiter aus Pinneberg und Elmshorn dort gemeinsam einziehen können. Ob das so kommt? Eine Abendblatt-Anfrage bei der zuständigen Gebäudemanagement Schleswig-Holstein ist noch unbeantwortet. Zuletzt hieß es von Seiten der GMSH im April, dass noch kein Zeitplan für das Neubauprojekt in Pinneberg genannt werden kann.
Amtsgericht Elmshorn befindet sich im historischen Gebäude
Während das Amtsgericht in Pinneberg vor dem Abriss in einem Gebäude aus den 1970er-Jahren residierte, befinden sich die Kollegen in Elmshorn in historischen Räumen. Die im Herbst 1910 errichteten Räume an der Bismarckstraße wurden im holländischen Renaissancestil erbaut.
Das Ensemble umfasste das eigentliche Gerichtsgebäude sowie ein Gefängnis. Letzteres verfügte über 26 Einzel- sowie mehrere Doppelzellen. Auch eine Dunkelzelle für besonders widerspenstige Gefangene war in Elmshorn vorhanden. Bis 1955 saßen hier Strafgefangene ein. Dann stand dieser Trakt bis zu seinem Abriss im Jahr 1970 leer. Heute steht an seiner Stelle der Anbau des Amtsgerichts, der 1980 eingeweiht wurde.
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Sollten die Amtsgerichte in Elmshorn und Pinneberg fusionieren, dürfte eines der größten Amtsgerichte im Land Schleswig-Holstein entstehen. Gemessen an den Mitarbeiter-, aber auch an den Fallzahlen. Das Gericht müsste etwa 2000 erstinstanzliche Strafsachen pro Jahr bewältigen.
Hinzu kommt eine große Zahl an Nachlass- und Testamentssachen. 2023 musste Pinneberg 3370 solcher Fälle bearbeiten, Elmshorn 2166. Pinneberg war für 966 Familienverfahren zuständig, in Elmshorn waren es 717. Im Vorjahr kamen in Pinneberg 85 Immobilien unter den Hammer, in Elmshorn 23. Auch eine große Zahl an Unternehmens- und Privatinsolvenzen sowie Betreuungsverfahren müsste die fusionierte Einheit stemmen.
Arbeitsgericht für drei Kreise seit fast 50 Jahren in Elmshorn
Seit fast 50 Jahren ist Elmshorn ebenfalls Standort eines Arbeitsgerichtes – zunächst an der Moltkestraße angrenzend an die Polizei, seit 2012 im vierten Stock des ehemaligen Talkline-Gebäudes an der Kurt-Wagener-Straße. Es ist zuständig für alle arbeitsrechtlichen Verfahren aus den Kreisen Pinneberg, Steinburg und Dithmarschen. Dort sind eine niedrige zweistellige Zahl an Arbeitskräften tätig.
Sozialgerichtsfälle aus dem Kreis Pinneberg werden derzeit in Itzehoe verhandelt. Die Landesregierung will künftig das Modell der Verwaltungsgerichtsbarkeit auf die Arbeits- und Sozialgerichte übertragen. Bisher gibt es neun Arbeits- sowie Sozialgerichte im Land.
Künftig sollen alle Gerichte der beiden Gerichtsbarkeiten in erster und zweiter Instanz in einem „Fachgerichtszentrum“ zusammengefasst werden. Deren Standorte stehen noch nicht fest, sie sollen aber möglichst zentral liegen.
Richterverband kritisiert das Vorgehen der Landesregierung
Der Richterverband warf der Koalition Gutsherrenart vor. „Diese Vorgehensweise lässt uns völlig fassungslos zurück“ erklärte die Vorsitzende Christine Schmehl. „Mehrere Hundert Beschäftigte von insgesamt zehn betroffenen Fachgerichten unangekündigt und ohne jeden Dialog quer durchs ganze Land versetzen zu wollen, haben wir bislang in Schleswig-Holstein für unvorstellbar gehalten.“
Den Bürgern ihren ortsnahen Zugang zu den wichtigen Sozial- und Arbeitsgerichten zu nehmen, sei ein Handstreich, erklärte Schmehl. „Wie kann man über die Köpfe aller Betroffenen hinweg einfach so am grünen Tisch derart weitreichende Veränderungen beschließen? Diese Kommunikationsweise erschüttert das Vertrauen aller Justizbeschäftigten nachhaltig und entspricht nicht dem 21. Jahrhundert, sondern der Kaiserzeit.“
Auch der Sozialverband SoVD läuft Sturm gegen die Pläne
Zudem kritisierte Schmehl, dass die geplanten Standorte für die aktuell neun Arbeits- und Sozialgerichte nicht offengelegt würden. „Ein derart aufwendiger Umzug ist binnen so kurzer Zeit aber nur denkbar, wenn bereits jetzt absehbar ist, wohin die Reise geht. Auch darüber schweigen sich die Verantwortlichen lieber aus, ebenso wie über die Wirtschaftlichkeit ihres gesamten Vorhabens.“
Auch der Sozialverband SoVD kritisierte die Pläne. Der Verband vertrete jährlich Hunderte Mitglieder vor den vier Sozialgerichten, sagte der Landesvorsitzende Alfred Bornhalm. „Viele sind schon jetzt frustriert. Die Menschen haben das Gefühl, dass ihre Sorgen und Nöte nicht ernst genommen werden.“ Diese Pläne seien das Gegenteil von Bürgernähe. „Als wir davon gehört haben, waren wir schockiert.“ Bereits jetzt gibt es nach Verbandsangaben Wartezeiten von durchschnittlich weit mehr als zwei Jahren. (mit Material von dpa)