Kreis Pinneberg. Den 53 Jahre alten Juristen hatten auch viele in der Pinneberger CDU bereits abgeschrieben. Das sind seine parteiinternen Konkurrenten.

  • Christian von Boetticher kandidiert „nach reiflicher Überlegung“
  • Entscheidung über Kandidatur fällt am 12. Oktober
  • SPD beobachtet die CDU-Kandidatensuche mit großer Gelassenheit

Bei der SPD dürfte die Entscheidung mit der Ankündigung von Ralf Stegner (64), nächstes Jahr erneut für den Bundestag zu kandidieren, gefallen sein. Spannender verspricht die Kandidatenkür im CDU-Kreisverband zu werden, der seit drei Jahren keinen Abgeordneten in Berlin mehr stellt.  Das war zuletzt nach dem Tod von Gert Willner von 2000 bis 2002 der Fall und davor von 1976 bis 1980.

Aktuell gibt es bei der CDU vier Bewerber, die die Nachfolge von zuletzt Michael von Abercron (2017 bis 2021) oder Ole Schröder (2002 bis 2017) antreten wollen. Dies sind bislang Justus Schmitt (26) und Daniel Kölbl (30) aus Tornesch sowie Michael Paul (47) aus Holm. Und auch einer, den einige aus seiner Partei schon auf dem Abstellgleis wähnten, will es noch mal wissen. Der 53 Jahre alte Christian von Boetticher, der gerade nach gut 30 Jahren Zugehörigkeit aus dem Pinneberger CDU-Kreisvorstand ausgeschieden ist, hat nun doch angekündigt, dass er sich um die Kandidatur für die Bundestagswahl im nächsten Jahr bewerben möchte.

Bundestagswahl 2025: CDU-Kandidat wird am 12. Oktober gekürt

Damit sind es jetzt bereits vier Kreispolitiker, über die der knapp 1600 Mitglieder zählende Kreisverband auf dem Parteitag am 12. Oktober im Pinneberger Cap Polonio zu befinden hat.

„Nach reiflicher Überlegung im familiären Kreise und nach Rücksprache und mit Zuspruch von langjährigen politischen Weggefährten, habe ich mich entschlossen, mich um die Kandidatur für unsere CDU im Wahlkreis Pinneberg für den Deutschen Bundestag zu bewerben“, heißt es in einer Erklärung von Boettichers,  in der er insbesondere auf seine lange Erfahrung als Berufspolitiker verweist, über die er als ehemaliger Europaabgeordneter, Umweltminister und Fraktionschef der CDU im Kieler Landtag  (1999 bis 2012) verfüge. Diesen Umstand hat er seinen drei Mitbewerbern voraus, die bislang nur ehrenamtlich politisch tätig waren und sind.

Christian von Boetticher hat die Köllnflockenwerke in Elmshorn geleitet

Er habe sich diese Entscheidung nicht leicht gemacht, teilt von Boetticher weiter mit. Erst zwei Tage zuvor hatte er sich auf Nachfrage des Abendblatts noch Bedenkzeit bis Ende August ausbedungen und seine Bewerbung um die Kandidatur offen gelassen. Den Einflussmöglichkeiten und „der Ehre, die Menschen aus diesem Kreis in Berlin vertreten zu dürfen“, stünden „massive Einschränkung der Privatsphäre, die öffentliche Kritik und umfangreiche, zeitintensive und damit familienfeindliche Verpflichtungen gegenüber“, hat er aber auch in diesem Gespräch bereits angedeutet.

„Als seit vier Jahren verheirateter Familienvater von zweijährigen Zwillings-Jungs ist dies nur zu leisten, da nun neben meiner starken Frau Sarah auch unsere Familie eingebunden ist und zur Unterstützung beitragen“, begründet von Boetticher, der nach seiner Arbeit im Landtag bis Mitte 2022 die Köllnflockenwerke in Elmshorn geleitet hat und immer noch Vorsitzender der Bundesvereinigung der deutschen Ernährungsindustrie ist.

„Meine Erfahrung möchte ich gern als Ihr Abgeordneter in den Deutschen Bundestag einbringen“

„Deutschland hat sich negativ von der wirtschaftlichen Entwicklung in der EU und den großen Industrienationen abgekoppelt. Die politische Mitte ist zu den Rändern hin erodiert“, schreibt er in einem Brief an die CDU-Mitglieder, die ihn bei seiner Bewerbung unterstützen mögen.

„Meine Erfahrung möchte ich gern als Ihr Abgeordneter in den Deutschen Bundestag einbringen“, kündigt er darin an, vor allem die „überbordende Bürokratie, die Betriebe, Arbeitsplätze und Investitionen ins Ausland vergrämt“ und die „planwirtschaftliche Energiewende, die keinerlei Freiraum für fairen Wettbewerb innovativer Technologien zulässt und die (Energie-) Preise treibt“ im Bund beenden zu wollen.

CDU Pinneberg: Kandidatur von Boettichers ist umstritten

Unumstritten ist die Kandidatur von Christian von Boetticher aber parteiintern nicht. Der ehemalige Kreisvorsitzende war in jüngerer Vergangenheit mehrfach in die Kritik geraten. Zuletzt wegen eines Vorfalls in der Jungen Union Pinneberg, bei dem es um Rassismus-Vorwürfe gegen junge Mitglieder ging.

In einem Fall waren diese unbestritten. In einem weiteren Fall wurden die Vorwürfe durch die Arbeit einer Kommission entkräftet. Aus Sicht vieler Parteimitglieder hatte von Boetticher in dieser Sache eine schlechte Figur abgegeben.  

Mitglieder des Kreisvorstandes kritisieren von Boettichers Bundestagskandidatur

Entsprechend betont ein Mitglied des Kreisvorstands, das anonym bleiben möchte: „Christian von Boetticher arbeitet seit vielen Jahren an einem politischen Comeback. Für eine Kandidatur für den Bundestag sieht eine breite Mehrheit des Kreisvorstandes spätestens jetzt keine Vertrauensbasis mehr. Die Anschuldigungen gegen sehr junge Parteimitglieder und seine fehlende Einsichtsfähigkeit haben uns schockiert.“

Und weiter: „Aus diesem Grund hatte ihm auch eine sehr große Mehrheit des Kreisvorstandes nahegelegt, nicht erneut als Kreisvorsitzender zu kandidieren. Dieser Bitte ist er letztlich nachgekommen und hat selbst von einer notwendigen Erneuerung gesprochen.“

Die CDU kürt den Wahlkreiskandidaten für den Bundestag am 12.Oktober

Das letzte Wort hat der Kreisparteitag der CDU am Sonnabend, 12. Oktober. Der neue CDU-Kreisvorsitzende Martin Balasus plant, drei oder vier Wahlkreiskonferenzen im September zu veranstalten, auf denen sich die Bewerber den Mitgliedern im Vorfeld vorstellen können. Das hatte der CDU-Kreisverband schon einmal 2016 so gehandhabt, als sich Abercron gegen Dagmar Steiner und Kole Gjoka durchsetzen konnte.

CDU-Kreisvorsitzender Martin Balasus plant mehrere Vorstellungsrunden mit den Bewerbern vor dem Kreisparteitag am 12. Oktober, um das Auswahlverfahren so fair wie möglich zu gestalten.
CDU-Kreisvorsitzender Martin Balasus plant mehrere Vorstellungsrunden mit den Bewerbern vor dem Kreisparteitag am 12. Oktober, um das Auswahlverfahren so fair wie möglich zu gestalten. © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

„Das ist mein Vorbild für diesen Kandidaten-Findungsprozess“, erklärt Kreisvorsitzender Balasus. „Ich möchte es so fair, gerecht und harmonisch wie möglich gestalten, sodass sich keiner falsch behandelt fühlt.“ Dazu würde auch gehören, den Kreisparteitag am 12. Oktober auf neutralem Boden abzuhalten. Die Bewerbungsfrist sollte zum Ende der Sommerferien am 31. August auslaufen, damit diese Vorwahlveranstaltungen im September vorbereitet werden könnten.

Jüngster Bewerber ist Justus Schmitt aus Tornesch

Jüngster Bewerber ist zurzeit Justus Schmitt, der im Juni zum Mitgliederbeauftragten im CDU-Kreisvorstand gewählt wurde. Der Jurist gehört dem Tornescher Ratsversammlung seit 2018 und dem Kreistag seit einem Jahr an. Er fordert: „Der Kreis Pinneberg muss wieder besser in Berlin vertreten sein.“ Das könnte der SPD-Abgeordnete Stegner nicht leisten, der ja nicht einmal im Kreis Pinneberg wohne.

Justus Schmitt aus Tornesch ist mit 26 Jahren der jüngste Bewerber um die Bundestagskandidatur der CDU im Kreis Pinneberg. Der Jurist sagt: „Es muss sich wieder lohnen, arbeiten zu gehen.“
Justus Schmitt aus Tornesch ist mit 26 Jahren der jüngste Bewerber um die Bundestagskandidatur der CDU im Kreis Pinneberg. Der Jurist sagt: „Es muss sich wieder lohnen, arbeiten zu gehen.“ © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

„Der kennt sich nicht mit den Bahnverhältnissen und der A23 aus, weil er nicht täglich nach Hamburg pendeln muss.“ Schmitt möchte das Bürgergeld reformieren, „um den Fachkräftemangel in den Griff zu kriegen“, wie er sagt. „Es muss sich wieder lohnen, arbeiten zu gehen.“ Zudem sei ihm die Sicherheitspolitik wichtig, sagt der Tornescher, der frisch mit einem Offizier verheiratet ist. Er würde auch für die Wiedereinführung der Wehrpflicht plädieren, erklärt Schmitt.

Daniel Kölbl ist Bürgervorsteher in Tornech und stellvertretender Landrat

Der Bankkaufmann Daniel Kölbl ist seit einem Jahr Bürgervorsteher in Tornesch und erster Stellvertreter der Landrätin Elfi Heesch im Kreistag. Er sagt: „Der Kreis Pinneberg braucht einen Bundestagsabgeordneten, der die Interessen des Kreises Pinneberg in Berlin vertritt.“ Dazu zählten insbesondere die Verkehrsthemen wie der Bau des dritten und vierten Fernbahngleises zwischen Pinneberg und Elmshorn sowie der Bau der A20, die die A23 entlasten würde. „Wir brauchen mehr Zughalte in Tornesch.“

Daniel Kölbl (30) ist Bankkaufmann und Bürgervorsteher in Tornesch und stellvertretender Landrat.  Er sagt: „Ich will Planungsverfahren beschleunigen und frei von Ideologie agieren.“
Daniel Kölbl (30) ist Bankkaufmann und Bürgervorsteher in Tornesch und stellvertretender Landrat.  Er sagt: „Ich will Planungsverfahren beschleunigen und frei von Ideologie agieren.“ © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

Zudem möchte er sich für einen Abbau von bürokratischen Hürden in Berlin einsetzen. „Ich will Planungsverfahren beschleunigen und frei von Ideologie agieren“, erklärt Kölbl. Zudem müsste die Anzahl der Migranten begrenzt werden, indem nur die wirklich schutzbedürftigen Menschen hier Aufnahme finden sollten. „Ich habe politische Erfahrung seit über zehn Jahren und trage bereits politische Verantwortung.“

Michael Paul aus Holm ist seit 30 Jahren bei der Bunhdeswehr

Vierter Bewerber ist bislang Michael Paul, der Familienvater in Holm ist und als Lehrbeauftragter bei der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg arbeitet. „Ich will unseren Kreis Pinneberg für die CDU bei der nächsten Bundestagswahl zurückgewinnen“, kündigt er an. „Ein Politikwechsel in Berlin ist dringend erforderlich.“ Die gegenwärtige Ampel-Koalition träfe „fatale Fehlentscheidungen mit negativen Auswirkungen, die das ganze Land lähmen.“

Michael Paul (47) lebt in Holm und arbeitet bei der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. Er sagt: „Wir müssen die Gesellschaft auf die Zeitenwende einstellen.“
Michael Paul (47) lebt in Holm und arbeitet bei der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. Er sagt: „Wir müssen die Gesellschaft auf die Zeitenwende einstellen.“ © Burkhard Fuchs | Michael Paul

Auch wenn er froh sei, nach den vielen Umzügen durch seine Bundeswehrarbeit jetzt seit zwölf Jahren in Holm sesshaft zu sein, möchte er gern zwischen Berlin und Pinneberg pendeln. „Wir müssen die Gesellschaft auf die Zeitenwende einstellen“, sagt er. „Die Politik hat sich von den Bürgern entfernt“, ist sein Eindruck. Darum möchte er dazu betragen, „eine authentische Politik mit Blick auf die Menschen zu gestalten“, erklärt Paul.

Mehr zum Thema

Die SPD nehme es gelassen, wen die CDU gegen Ralf Stegner antreten lässt

Die SPD nehme es gelassen, wen die CDU nächstes Jahr ins Rennen schicke – gegen voraussichtlich den Bundestagsabgeordneten Ralf Stegner, erklärt Kreisvorsitzender Thomas Hölck. Die letzte Entscheidung darüber fälle die Kreiswahlkonferenz am Freitag, 22. November, im Rellinger Hof. „Wir nehmen es mit jedem oder jeder auf.“

Ralf Stegner (63, SPD, vorn), der 2021 das Direktmandat gegen die CDU gewann, möchte wieder antreten. „Wir nehmen es mit jedem und jeder auf“, sagt der SPD-Kreisvorsitzende Thomas Hölck.
Ralf Stegner (63, SPD, vorn), der 2021 das Direktmandat gegen die CDU gewann, möchte wieder antreten. „Wir nehmen es mit jedem und jeder auf“, sagt der SPD-Kreisvorsitzende Thomas Hölck. © Burkhard Fuchs | SPD

Er unterstütze die Wiederbewerbung Stegners, erklärt Hölck. „Er hat seine Sache im Wahlkreis gut gemacht“, findet Hölck. „Ich schätze auch seine differenzierte Haltung zum Ukrainekrieg. Wir müssen der Ukraine helfen, aber dürfen nicht selbst zur Kriegspartei werden.“