Elmshorn. Zur Erschließung des Sanierungsgebiets Krückau-Vormstegen gehört eine neue Kanalisation. Warum Elmshorn dabei neue Wege gehen muss.
Wie auch immer die Erwartung gewesen sein mag, so hat die bildliche Vorstellung des Aufenthaltsraums dieser Elmshorner Baustelle, auf der viele Tonnen Erdreich bei Wind und Wetter bewegt werden, nicht ausgesehen. Pickobello sauber ist es in diesem Container, selbst das redensartliche Essen von Fußboden erscheint hier gar nicht mal so abwegig.
Dann wiederum ist es doch auch logisch, dass es mitten auf dem Areal vom künftigen Buttermarkt so sauber zugeht. Schließlich ist es ja auch blitzsaubere Arbeit, die das Team der Arbeitsgemeinschaft (Arge) der Strabag und des bayerischen Unternehmens Bauer Resources hier abliefert. Abliefern muss wohlgemerkt, der eigenen Sicherheit zuliebe. Denn im Boden könnte überall Unheil lauern.
Baustelle Stadtzentrum: Zwei Linien markieren die Lebensadern des neuen Stadtzentrums
Elmshorns Baustadtrat Lars Bredemeier und Ingenieur Alvaro Pelayo aus der Abteilung Technik Stadtentwässerung im Amt für Tiefbau und Verkehr stehen vor einem Lageplan dieses Gebietes. Darauf verzeichnet sind nicht nur der aktuelle und der künftige Verlauf der Schauenburger Straße. Zwei weitere Linien ziehen sich über die volle Länge in Ost-West-Richtung von Berliner Straße bis hin zum Vormstegen.
Auf dem Papier sind es nur zwei Linien, in der Realität extrem wichtige und schwierige Arbeit zugleich. So außergewöhnlich, dass Elmshorn damit eine Vorreiterrolle einnimmt. Die neue Schauenburger Straße wird für den Betrachter eine der Lebensadern des künftigen Buttermarktes sein. Doch die wahren Lebensadern dieses Gebiets befinden sich dann zwischen zwei und drei Meter tiefer im Erdreich. Der Regenwasserkanal und der Verbrauchswasserkanal, ohne die es das neue Zentrum nicht geben würde.
Im Boden lauert die Gefahr: Milzbrandverdacht unterm Buttermarkt
Aber was in anderen Gegenden Deutschlands ganz problemlos nach dem Motto „Loch buddeln, Rohre rein, Loch zuschütten“ laufen würde, verhält sich in Elmshorn komplett anders. „Wir können nicht einfach das Erdreich aufgraben, weil der gesamte Boden hier ein Gebiet mit Milzbrandverdacht ist“, erklärt Alvaro Pelayo. „Das hat uns die früher hier angesiedelte Industrie hinterlassen.“
Die geschwungene Schauenburger Straße, die in ihrem Verlauf dem früheren Flusslauf folgt, hatte in den Jahren einiges auszuhalten. „Da gab es zwischen dem Fluss und den Fabriken einen Höhenunterschied von gut drei Metern; und die haben ihren Müll dann einfach da hinunter gekippt Richtung Fluss.“ Mit der Zeit wurden diese Müllreste zugeschüttet, doch sie wurden nicht ungefährlicher. Milzbrandsporen könnten sich bis heute gehalten haben.
Das bringt Mühen mit sich, die sich die Stadtverantwortlichen gern erspart hätten. „Der Boden mit Milzbrandverdacht ist unglaublich schwierig zu beseitigen“, sagt Pelayo. „Das Einzige, was uns bleibt, ist, jeden einzelnen Kubikmeter von diesem verdächtigen Boden, den wir herausholen, zur Verbrennungsdeponie zu bringen. Das ist aber sehr teuer, also benötigen wir ein Bauverfahren, mit dem wir so wenig Boden wie möglich herausholen.“
Sicherheit hat Priorität: Arbeiter müssen Vollschutzanzüge tragen
Gleichzeitig muss dieses Verfahren aber auch die Sicherheit der Bauarbeiter gewährleisten, was als Priorität in die Ausschreibung für den Bauauftrag eingeflossen ist. Das Kriterium des reduzierten Aushubs setzen die Arbeiter der Arge mittlerweile perfekt um; der Stadtverantwortliche ist zufrieden. „Wir fördern durch die gewählte Bautechnik nur noch ein Drittel der Menge Erdreich zutage, als es in einer offenen Bauweise der Fall wäre“, sagt Lars Bredemeier. „Und dadurch sind wir auch schneller mit der Entsorgung des Bodens“, ergänzt Pelayo. „So viele geeignete Verbrennungsanlagen gibt es nicht im Norden.“
Und wegen der heiklen Ladung kann das Erdreich nicht einfach auf einen Lkw geschüttet und dann Richtung Verbrennungsanlage bei Hamburg gefahren werden. „Die Arbeiter, die mit dem Erdreich in Berührung kommen könnten, arbeiten alle mit Vollschutzanzügen. In zwei großen Zelten verpacken wir dann den Boden in diese blauen Spezialfässer und bereiten die für den Abtransport vor“, betont Pelayo den Sicherheitsaspekt.
Technik wie beim Elbtunnel: Von Achsenschächten aus arbeitet sich der Bohrkopf voran
Ein Prozedere, das nicht nur für die Stadt Elmshorn zum Zeitpunkt der Ausschreibung Neuland war. „Normalerweise sagt man als Auftraggeber in Ausschreibungen ganz genau, was man haben will; aber das wussten wir angesichts der Problemlage ja nicht“, sagt Lars Bredemeier. „Deswegen haben wir gesagt, dass sich die Bewerber selbst Gedanken machen sollen; anders ging das ja nicht.“
Und die Gedanken von Bauer Resources und Strabag waren höchst überzeugend. Zumal sie ein bereits bewährtes Konzept nun wirksam auf die Elmshorner Gegebenheiten heruntergebrochen haben. Von zwei Achsenschächten aus, die zuerst in den Boden getrieben wurden, arbeitete sich ein Bohrkopf unter Tage in beide Richtungen vor. „Und sobald er einen kleinen Abschnitt geschafft hat, bringen wir dort das nächste Kanalsegment ein“, sagt Alvaro Pelayo. „Die Röhren sind aus Polymer-Beton und sollten die nächsten 100 Jahre und vielleicht auch länger keine Arbeit mehr machen.“
Pionierarbeit: Elbtunneltechnologie und Sicherheitskonzept machen die Baustelle einzigartig
„Die Tunnelbautechnik, also unterirdisch voraus zu bohren und dahinter gleich eine Röhre zu legen, das ist ganz grob auch das Verfahren, wie es für den Elbtunnel angewandt worden ist“, sagt Lars Bredemeier. Sein Bauleiter ordnet aber die Leistung ein. „Diese Tunnelbautechnik macht erst in Verbindung mit dem Sicherheitsaspekt, dem Milzbrandverdacht und der Bodenentsorgung diese Baustelle bundesweit so speziell.“
Es habe zwar in der Vergangenheit auch schon andere Baustellen gegeben, bei denen der Verdacht auf Milzbrand bestanden hatte, das jedoch eher punktuell. „Dass wir hier in dieser Länge durch ein so großes Gebiet mit diesen Sicherheitsauflagen bohren, so etwas hat es noch nicht gegeben“, betont Pelayo. Bredemeier ergänzt: „Damit leistet Elmshorn also Pionierarbeit.“
Planungsphase: Seit fünf Jahren befasst sich Alvaro Pelayo schon mit dem Projekt
Die Pioniere befassen sich gedanklich schon sehr lange mit ihrem Vorhaben. „Die Planung läuft seit Ende 2019, die Ausschreibung begann Ende 2022, die ersten Teilnahmeanträge haben wir im Februar 2023 bekommen und Baubeginn war dann im Dezember letzten Jahres“, fasst Alvaro Pelayo den Werdegang des Projekts zusammen, das bis Jahresende fertiggestellt sein soll.
Dabei müssen die Bauherren und ihre Auftragsunternehmen noch eine andere Gefahr einkalkulieren und diese ausschließen: Auch wenn es schon 79 Jahre und drei Monate her ist, dass die letzten Bomben des Zweiten Weltkriegs auf Elmshorn niedergingen, mit Blindgängern ist unverändert zu rechnen. „Daher haben wir mit den Luftbildauswertern vom Landeskriminalamt in Kiel abgeklärt, dass in unserem Baugebiet nicht mehr mit nicht detonierten Bomben zu rechnen ist“, sagt Morten Boysen vom Amt für Projektentwicklung.
Gefahr im Boden: Blindgänger und Findlinge sind mittlerweile ausgeschlossen
Findlinge im Boden, also gewaltige Steine aus einem früheren Zeitalter, an denen sich so ein Bohrkopf auch schon mal die Zähne ausbeißen könnte, sind hingegen kein Thema. „Da hat uns die Eiszeit zum Glück keine weiteren Geschenke hinterlassen; das waren nur die Menschen“, sagt Alvaro Pelayo mit einem Schmunzeln.
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Bliebe also der Umgang mit der unsichtbaren Gefahr Milzbrand, für den die jetzigen Ausführer das schlüssigste Konzept präsentiert haben. Dass dabei der Bohrkopf weniger Aushub und damit auch weniger Gefahrstoff produziert, verdanken die Macher einer erfreulichen Fehleinschätzung. „Bei der Vortriebsmaschine hatten wir halt zuerst gerechnet, dass sie bei Durchmesser x und entsprechend zurückgelegter Strecke die Menge y an Erdreich auswerfen würde“, erklärt Alvaro Pelayo. „Was die Maschine aber zu einem großen Teil stattdessen macht: Sie verdrängt und verdichtet die Erde zu den Seiten hin.“
Die Umwelt soll es freuen; mehrere Hundert Lkw-Fahrten für den Abtransport der Gefahrstofffässer, die nun nicht vorgenommen werden müssen. „Auch wegen des Umweltaspekts haben wir uns grundsätzlich für die Vortriebstechnologie entschieden“, sagt Morten Boysen. „Dass sich dann auch noch dieser Faktor eingestellt hat, freut uns natürlich entsprechend.“
Was ist denn überhaupt Milzbrand?
Milzbrand ist eine akute Infektionskrankheit, die durch Bacillus anthracis verursacht wird und meist Paarhufer, aber auch andere pflanzenfressende Tiere befällt. Auch Menschen können von dieser Zoonose befallen werden. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch gilt als sehr unwahrscheinlich; es wurde bislang kein derartiger Fall dokumentiert.
Der Erreger des Milzbrands ist ein aerobes und sporenbildendes Stäbchenbakterium. Das vom Erreger produzierte Milzbrandtoxin ist hochgiftig. Bei einer Infektion des Menschen sind meist Haut und Schleimhäute, seltener auch Lunge oder
Verdauungstrakt betroffen. Die Sporen können unter Umständen Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte überleben.
Aufgrund der Eignung als Biowaffe und der Suche nach Abwehrmöglichkeiten sind die Wirkungsweise des Anthrax-Erregers und der Verlauf der Krankheit gut erforscht. Unter anderem wird daran geforscht, die Wirkung als Zellgift selektiv gegen Krebszellen einzusetzen