Elmshorn. 2030 wird der Geschwister-Scholl-Tunnel das Ende seiner Lebensdauer erreichen. Warum das eine gute Nachricht für Radfahrer sein kann.

Keine Zeit für eine Schreckstarre. Zwei Wochen ist es her ist, dass aus Kiel die Hiobsbotschaft eintrudelte, die Landesregierung würde den Ausstieg aus der Städtebauförderung ernsthaft in Erwägung ziehen und damit ein gewaltiges Loch in den Bauetat der Krückaustadt reißen. Doch auch wenn die Ausgestaltung des Sanierungsgebiets Krückau-Vormstegen für diesen Ernstfall neu durchdacht werden muss; es gibt andere Pläne, die nicht auf die lange Bank geschoben werden dürfen.

„Zu schmal, zu niedrig und unübersichtlich dazu.“ So liest sich die zusammenfassende Beurteilung der Stadtverwaltung für den Geschwister-Scholl-Tunnel. Seit fast 140 Jahren ist die Unterführung im Verlauf der Geschwister-Scholl-Straße eine extrem wichtige Stelle im innerstädtischen Verkehr von Elmshorn. Doch dieser neuralgische Punkt hat sich mehr und mehr auch zu einem Nadelöhr entwickelt.

Spätestens 2030 muss sich etwas in der Tunnelfrage getan haben

Eines ist klar: Mit dem Ausbau der Bahnstrecke und des Bahnhofs Elmshorn würde auch der Tunnel angepasst werden müssen. Welche Möglichkeiten dafür bestünden, das hat das Ingenieurbüro Schüssler Plan durchgerechnet. Das Ergebnis: Ein Umbau des im Ursprung bereits 1887 errichteten Bauwerks, das 2030 seine Restlebenszeit erreicht haben wird, scheide aus.

Werde hingegen an dieser Querung festgehalten, komme folglich nur ein Neubau infrage. Den haben die Ingenieure in vier möglichen Ausführungen geprüft. Das Ergebnis ist ernüchternd: „Alle Varianten bergen erhebliche Nachteile“, sagt Oberbürgermeister Volker Hatje. „Wir müssen offen darüber diskutieren, ob angesichts der Südverlegung des Bahnhofs und des Umbaus der Berliner Straße ein kostspieliges Festhalten an diesem Tunnel wirklich sinnvoll ist.“

Für die Aufgabe des Tunnels spricht die Verkehrsverlagerung an die Berliner Straße

Auf dem Tisch liegen als alternative Planspiele die ausschließliche Tunnel-Freigabe für Radfahrende oder auch ganz radikal: die Aufgabe des Bauwerks. Die Begründung für diese Nulllösung klingt einleuchtend. „Der Hol- und Bringeverkehr wird sich zum neuen Bahnhof an der Berliner Straße verlagern“, erläutert Jule Gehring, Sachgebietsleiterin des Teams Bahnprojekte. „Damit würden ohnehin signifikant weniger Fahrzeuge den Tunnel nutzen.“ Zudem entstehe mit dem neuen ZOB auch eine neue Linienführung des Stadtbusverkehrs, die nicht mehr durch den Tunnel führe.

Dennoch müsse trotz dieser absehbar erheblichen Mindernutzung ein Neubau normgerecht erfolgen. „Aber das bringt hohe Kosten und dramatische Auswirkungen auf das gesamte Umfeld mit sich, was womöglich in keinem Verhältnis zum erwarteten Nutzen steht“, formuliert Hatje vorab das Fazit der erfolgten Untersuchungen.

Alle Neubauvarianten für den Tunnel sind mit enormen Problemen verbunden

Vier Neubauvarianten sind im Auftrag der Stadt geprüft worden. Sie alle haben gemein: Der Tunnel muss von heute 5,90 Meter auf 8 Meter verbreitert werden. Um die vorgegebene Mindesthöhe von 4,50 Metern zu erreichen, müsste der heute nur 3,05 Meter hohe Tunnel tiefergelegt werden.

Die untersuchten Varianten unterscheiden sich in ihrer technischen Ausführung, in Straßenführung und Schleppkurven. „Sie alle sind jedoch ausgesprochen kompliziert in ihrer Umsetzung“, betont Jule Gehring. Selbst bei der Variante mit den geringsten Auswirkungen auf das Umfeld sei ein ganzes Bündel an Maßnahmen unausweichlich.

Durch einen neuen Tunnelbau würden drei Grundstückszufahrten wegfallen

So stünden die Abrisse der Radstation und der Fußgängerbrücke zum Steindammpark auf der To-do-Liste. Eine Vielzahl an Leitungen müsste verlegt werden, wie auch ein Teilstück des Entwässerungskanals „Horster Graben“. Ebenfalls drastisch: Durch den entstehenden Höhenversatz würden drei Zufahrten zu Grundstücken an der Geschwister-Scholl-Straße wegfallen.

Damit nicht genug an Problemen, die ein Neubau an mehr oder weniger gleicher Stelle mit sich bringen würde. „Die unmittelbar benachbarte und als Schutzgebiet für Fauna und Flora ausgewiesene Krückau stellt darüber hinaus hohe Anforderungen an den Umwelt- und Hochwasserschutz“, erläutert Jule Gehring. Auch sei von Altlasten im Boden auszugehen.

Kalkulation von 30 Millionen Euro an Baukosten sieht der Oberbürgermeister als optimistisch an

Die Folgen für das ohnehin angespannte Stadtsäckel wären gewaltig. „Unter diesen Rahmenbedingungen ist eine erste, vorsichtige Schätzung von mindestens 30 Millionen Euro für einen Neubau noch optimistisch; und es wäre eine herbe Belastung für die Stadt Elmshorn“, urteilt Volker Hatje.

Das Team Bahnprojekte in der Stadtverwaltung plädiert daher für eine andere Lösung: Denkbar sei, den bestehenden Tunnel ausschließlich für den Radverkehr freizugeben. „Damit können die Bestandsmaße erhalten bleiben, was keine gravierenden Umbauten im Umfeld erfordert und die Bahn zu einer vollen Kostenübernahme verpflichtet“, sagt Gehring. „Zugleich würde dies ein starkes Signal im Sinne der beschlossenen Rahmenplanziele und der angestrebten Klimaneutralität der Stadt Elmshorn aussenden.“

Ein reiner Fahrradtunnel würde die Lebensqualität deutlich anheben

Diese Lösung würde sinkende CO2- und Lärmemissionen im Umfeld mit sich bringen und die Aufenthaltsqualität erheblich steigern, was ja auch ein erklärtes Ziel der laufenden Sanierungsmaßnahmen im neuen Stadtzentrum ist. „Der Verkehr würde auf ein Minimum reduziert. Davon profitieren Anwohnende auf beiden Seiten des Bahnhofs, wobei besonders die Wohnqualität auf der Ostseite des Bahnhofs steigen dürfte“, erläutert der Oberbürgermeister. Erste Gespräche mit den Gastronomen auf der Westseite des Bahnhofes hätten zudem offenbart, dass mehr Außengastronomie hier eine mögliche Option darstelle, weiß Hatje zu berichten.

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Doch auch eine Komplettaufgabe des Tunnels wurde geprüft. „Da künftige Instandhaltungskosten damit entfielen, ist dies für die Bahn eine durchaus attraktive Lösung“, stellt Jule Gehring fest.

Die Stadtverwaltung kommt hingegen zu einer anderen Bewertung: „Wir haben uns auf Klimaneutralität und die Stärkung des Radverkehrs geeinigt“, betont Volker Hatje. „Eine Schließung des Tunnels kommt für uns nur infrage, wenn der benachbarte Tunnel zwischen Königstraße und Mühlenstraße so ausgebaut wird, dass Fahrradfahrende ihn ohne Konflikte mit Passanten nutzen können.“ 

Der Tunnel ist 137 Jahre alt

Der Tunnel an der Geschwister-Scholl-Straße wurde 1887 gebaut und ist in den 1950er-Jahren erneuert worden.
1985 bekam der Bau eine Spundwand als Ergänzung; in den Jahren 2019/2020 wurde als Konsequenz vieler Unfälle die Höhenbegrenzung installiert.
Voraussichtlich 2030 wird das Bauwerk seine maximale Lebenszeit erreicht haben.
Der Tunnel dient dem Straßenverkehr als Unterführung unter den drei Fernbahngleisen des Elmshorner Bahnhofes; er ist zurzeit 5,90 Meter breit und 3,05 Meter hoch.