Kreis Pinneberg. Grau-, Kanada-, Nil- und Nonnengänse richten in der Landwirtschaft große Schäden an. Nabu kritisiert neue Jagdzeiten-Regelung.
- Im Jahr 2021 wurden fast 24.000 Gänse geschossen
- Nutria und Dachse stellen eine Gefahr für die Sicherheit der Deiche dar
- Badegewässer und Badestrände werden verunreinigt
- Nabu befürchtet Störung der Brutreviere der Wiesenvögel
Um Fraßschäden durch Gänse auf Äckern zu reduzieren, weitet das Ministerium für Landwirtschaft, ländliche Räume, Europa und Verbraucherschutz in Schleswig-Holstein die Jagdzeiten für Gänse aus. Grau-, Kanada- und Nilgänse sollen nun einheitlich vom 16. Juli bis zum 31. Januar bejagbar sein.
Die Änderung der Landesjagdzeitenverordnung tritt am 1. August 2024 in Kraft. Auch im Kreis Pinneberg hatten Landwirte und Jäger dies gefordert. Insbesondere in den Marschen machen die wachsenden Populationen an Wildgänsen zu schaffen.
Gänsefraß für Landwirte existenzbedrohend
„Gänsefraß und Verkotung stellen unsere Landwirtinnen und Landwirte schon seit Jahren vor große Herausforderungen und wirken zum Teil existenzbedrohend“, sagt Landwirtschaftsminister Werner Schwarz. „Durch die leicht erweiterten Jagdzeiten reagieren wir auf die zunehmende Populationsentwicklung der Gänse und schaffen neben den bereits bestehenden Entschädigungszahlungen ein weiteres Instrument zur Entlastung unserer Landwirtschaft.“
Auch die Jagdzeit für Nonnengänse wurde angepasst. Diese muss aufgrund des Schutzstatus der Nonnengans in der Vogelschutzrichtlinie jedoch restriktiv geregelt werden. Zukünftig wird die Jagd vom 1. Oktober bis zum 28. Februar möglich sein – allerdings nur zur Vergrämung, um Schäden auf Acker- und Grünlandkulturen zu verhindern. Ausgeschlossen sein wird die Bejagung auf Flächen, auf denen sich der Bewirtschaftende zur Duldung von Gänsen verpflichtet hat und auf Flächen, die in Vogelschutzgebieten liegen.
Jagdzeiten auf Dachse und Nutria ebenfalls neu geregelt
Neben den Jagdzeiten für die Gänsearten wird auch die Jagdzeit auf Dachse und Nutria geregelt. Entlang von Deichen, Warften und sonstigen Erhöhungen außerhalb der Seedeiche dürfen diese ganzjährig bejagt werden. Beide Arten stellen aufgrund ihrer Wühltätigkeit eine Gefahr für den Hochwasserschutz dar.
Den Landwirten im Kreis Pinneberg machen die wachsenden Populationen an Wildgänsen zu schaffen. Speziell Grau- und Nonnengänse richten auf den Äckern und Wiesen großen Schaden an. Darum hatte der Bauernverband in Schleswig-Holstein und im Kreis Pinneberg die Ausweitung der Jagd auf die Gänse gefordert. Diesen Vorstoß begrüßte auch die Pinneberger Kreisjägerschaft.
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„Bei beiden Arten kann, darf und soll durch jagdliche Eingriffe keine drastische Verminderung der Populationsgröße erreicht werden“, so die Jäger. „Durch sinnvolle jagdliche Einsätze kann aber an Schadensschwerpunkten durch Vergrämung eine gewisse Abhilfe geschaffen werden, wenn kurzfristig ohne bürokratische Hürden auf aktuelle Schadentwicklungen durch die Jäger in Zusammenarbeit mit den betroffenen Landwirten reagiert werden kann.“
Alle neun in Schleswig-Holstein vorkommenden Wildgans-Arten unterliegen dem Jagdrecht, aber nur vier von ihnen dürfen bejagt werden. Die Jagdstrecken dieser vier Arten zusammen haben sich in den vergangenen 50 Jahren in Schleswig-Holstein wie folgt entwickelt: Während 1971 nur 522 Wildgänse erlegt wurden, waren es zehn Jahre später insgesamt 1823 und noch einmal zehn Jahre später 3725. Im Jahr 2001 wurden 5758 Wildgänse geschossen, 2011 dann 14.668 und 2021 insgesamt 23.639 Stück. Die steigenden Zahlen hängen auch mit der wachsenden Population zusammen.
Acht Wildgans-Arten treten im Kreis Pinneberg auf
Von den neun Wildgans-Arten treten acht auch im Kreis Pinneberg auf. Die Graugans ist die eigentliche heimische Wildgans, die überall im Land an Gewässern brütet. Im Winter und Frühjahr überwintert sie in großer Zahlen auch in den Elbmarschen. Ihre Population ist in den letzten Jahrzehnten um ein Vielfaches gestiegen.
„Sie verursacht massive Schäden in der Wedeler, Haseldorfer und Seestermüher Marsch durch Fraßschäden auf Grünland und Wintergetreidesaaten, aber auch im Sommer beim Lagergetreide“, so die Kreisjägerschaft.
Kreisjägerschaft fordert Ausweitung der Jagd auf Grau- und Nonnengans
Die Graugans durfte bislang vom 1. August bis 31. Januar bejagt werden, aber mehrere Monate lang nur unter ganz besonderen Voraussetzungen und eingeschränkt. Die Kreisjägerschaft hält die Aufhebung dieser erheblichen Einschränkungen räumlicher und zeitlicher Art für sinnvoll und plädiert für eine Vorverlegung des Beginns der Jagdzeit.
Die im nördlichen Sibirien brütende Nonnengans überwintert überwiegend an der deutschen und niederländischen Nordseeküste und an der Unterelbe. „Insgesamt rasten im Spätwinter und Frühjahr bis zu 300.000 Exemplare über Wochen oder gar mehrere Monate in dieser Region und ernähren sich insbesondere von dem ersten Grasaufwuchs des Jahres, der dann den Landwirten für ihr Vieh fehlt“, so die Einschätzung der Jäger. „Auch auf den Wintersaaten verursachen sie schwerwiegende Schäden.“
Nonnengans im Kreis Pinneberg darf fünf Monate bejagt werden
Die Nonnengans durfte bislang vom 1. Oktober bis 15. Januar gejagt werden, aber nur in den Kreisen Nordfriesland, Dithmarschen, Steinburg und Pinneberg und „nur mit weiteren räumlichen, zeitlichen und bürokratischen Hindernissen, die eine effektive Hilfe für die betroffenen Landwirte sehr schwer machen“, so die Jäger.
Die Kanadagans ist durch den Menschen von Nordamerika nach Europa gebracht worden und hat sich hier in hohem Maße ausgebreitet. Sie ist die weltweit am häufigsten vorkommende Gänseart. Sie ist etwas größer als die Graugans und die größte hierzulande frei lebende Wildgans. Die Population in Nordamerika wird auf 3,2 und 8 Millionen Exemplare geschätzt. Jährlich werden in Nordamerika rund eine Million Exemplare geschossen.
Kanadagänse bevorzugen kurzgehaltenes Gras
In Schleswig-Holstein wurden erste Bruten im Jahr 1975 festgestellt. Seitdem haben sich die Kanadagänse allmählich fast über das ganze Land verbreitet. Sie brüten in Parks oder in der offenen Kulturlandschaft. Während sie sich nachts auf Gewässern aufhalten, fliegen sie morgens zu den Nahrungsgründen in der Nähe. Als Hauptnahrung dienen ihnen Gräser. Je niedriger der Grasbewuchs, desto lieber. Daher ist gepflegter Rasen besonders bei den Gänsen besonders beliebt.
Die Kanadagänse verpaaren sich im zweiten Lebensjahr, im dritten Lebensjahr legen sie dann das erste Mal Eier – fünf oder sechs Eier. Nach 28 Tagen schlüpfen die Küken. Im Alter von 60 bis 70 Tagen sind die Gössel flügge. Während der Jungenaufzucht mausern die Elternvögel und sind dann weitgehend flugunfähig.
Kanadagans verunreinigt Rantzauer See in Barmstedt
2010 rechnete man in Europa mit 80.000 Brutpaaren und 350.000 Individuen. 1994 wurden in Schleswig-Holstein 78 Kanadagänse von Jägern erlegt, 2012 waren es 1345 und 2022 dann 2672 Stück. „Das Bundesamt für Naturschutz stuft die Kanadagans als potenziell invasiv ein“, so die Kreisjägerschaft. „Daraus resultiert die Verpflichtung, die Ausbreitung möglichst zu unterbinden und zurückzudrängen, da die Kanadagans sehr aggressiv gegenüber anderen Wasservögeln ist und ihren Brutbereich weitgehend von anderen Arten freihält.“
Obendrein würden sie Badegewässer und Badestrände verschmutzen sowie Liegewiesen wie zum Beispiel am Rantzauer See in Barmstedt „in unzumutbarem Ausmaß“. Die Kanadagänse würden in manchen Bereichen massive Probleme für den ökologischen Zustand der Gewässer bedeuten und damit auch den Badespaß beeinträchtigen. Die Kanadagans durfte bisher vom 1. August bis 31. Januar gejagt werden.
Streitlustige Nilgans verdrängt andere Wasservögel
Die Nilgans stammt aus Nordafrika und ist durch menschliche Einwirkung nach Europa eingeführt worden. Sie vermehrt sich stark. Mit ihrer Streitlust verdrängt sie andere Wasservögel in ihrer Umgebung. Die Nilgans gilt als invasive Art, deren weiteres Vordringen nach Ansicht der Jäger verhindert werden muss. Auch ihre Jagdzeit vom 1. August bis 31. Januar wird ausgedehnt. Die Nilgans tritt zunehmend auch im Kreis Pinneberg an Bächen und Flüssen sowie Teichen und Seen auf.
Saatgans, Blässgans, Kurzschnabelgans und Zwerggans kommen aus ihren nördlichen Brutgebieten zum Überwintern in den mitteleuropäischen Raum und konzentrieren sich insbesondere im Nordseebereich und auch in den Marschen der Unterelbe. Sie haben alle ganzjährig Schonzeit und dürfen nicht bejagt werden. „Aber auch sie fressen auf den landwirtschaftlichen Kulturen und tragen damit zur Vergrößerung der Schäden bei – in den Pinneberger Elbmarschen“, heißt es seitens der Jäger.
Ringelgans ist ganzjährig geschützt und darf nicht bejagt werden
Die in Sibirien brütende Ringelgans überwintert in Westeuropa, insbesondere im Wattenmeer der Nordsee und an der Westküste Schleswig-Holsteins. Vornehmlich auf den Halligen sind sie in großer Zahl vertreten und richten mit ihrem Fraß im Frühjahr bis in den Mai hinein großen Schaden auf den Äckern der Landwirte an. Das betrifft aber nicht den Kreis Pinneberg. Die Ringelgans ist ganzjährig geschützt und darf nicht bejagt werden.
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„Die Mehrzahl der Gänsearten profitieren von der heutigen Landwirtschaft mit ihren ertragreichen, gepflegten Grünländereien, deren Wachstum früh im Frühjahr beginnt, und von den nährstoffreichen Wintersaaten der Getreide- und Rapssorten“, so die Jäger. „Das hat ihre Überlebenschancen im lebensfeindlichen Winter zusätzlich zu Klimaveränderungen sehr erhöht und vergrößert letztendlich auch die Zahl der Eier und damit die Reproduktion in den Brutgebieten.“
Über die genannten Schäden hinaus sei auch zu bedenken, dass diese großen Mengen von über weite Strecken ziehenden Gänsen für die Verbreitung der Vogelpest eine entscheidende Rolle spielten.
Nabu Schleswig-Holstein kritisiert die Ausweitung der Jagdzeiten
Der Nabu Schleswig-Holstein kritisiert die Ausweitung der Jagdzeiten. Die Naturschützer sehen gerade im Hinblick auf die Nonnengansbejagung einen klaren Rechtsverstoß und erwägen dagegen zu klagen. Denn die neue Jagdzeitenregelung sei weder mit dem Bundesnaturschutzgesetz noch mit europäischem Naturschutzrecht, hier der EU-Vogelschutzrichtlinie, vereinbar.
„Wie von der wissenschaftlichen Ornithologie schon seit geraumer Zeit festgestellt, führt die Bejagung der großen Gänserastbestände nicht zu einer Verringerung, sondern zur Ausweitung der Schäden vor allem auf den besonders sensiblen Äckern“, geben die Naturschützer zu bedenken.
Nabu SH: Ausweitung der Jagd könnte bedrohte Wiesenvögel stören
Dazu erläutert Fritz Heydemann, stellvertretender Vorsitzende im Nabu SH: „Werden die Vögel durch Beschuss immer wieder zur Flucht veranlasst, steigt ihr Energiebedarf erheblich – in der Folge fressen sie umso mehr.“ Zudem würden die Gänse so scheu werden, dass sie bereits bei nahezu jeder menschlichen Annäherung auffliegen, auch auf Flächen, die etwa über den Vertragsnaturschutz zur Duldung der Gänse vorgesehen seien.
Abgesehen davon könnten durch die Ausweitung der Jagd bis Ende Februar bedrohte Wiesenvögel bei der Ansiedlung im Brutrevier gestört werden.