Kreis Pinneberg. Nicht allen Kindern kann geholfen werden. Der Bedarf ist größer als das Angebot, wie die Wartelisten zeigen. Gibt es eine Lösung?
Ein ungewöhnlicher Hilferuf erreichte jetzt die Kreispolitik aus der Stadt Quickborn. Dort ist die Verwaltung nicht mehr in der Lage, alle schwerstbehinderten Kleinkinder in den Kitas zu betreuen. Das haben alle Ratsfraktionen in einem gemeinsamen schriftlichen Appell an den Kreis zum Ausdruck gebracht.
So würden in Quickborn zurzeit vier autistische Kinder, die noch dazu aus einem anderen Kulturkreis und aus Migrationsfamilien stammen, nicht pädagogisch betreut werden können. Die Quickborner Politiker und die Verwaltung fordern deshalb die Einrichtung weiterer heilpädagogischer Kleingruppen, um die Kinder besser versorgen zu können.
Hilferuf: Zu wenige Kita-Plätze für schwer behinderte Kinder
Diese Not sei kein Einzelfall, sagt Helga Kell-Rossmann (SPD), Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses. Kreisweit gebe es überhaupt nur noch die Lebenshilfe, die drei solcher heilpädagogischen Kleingruppen in Elmshorn, Wedel und Appen für jeweils sechs schwerstbehinderte Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren anbiete.
„Die Warteliste ist mit 30 Anfragen etwa dreimal so groß“, sagt der Lebenshilfe-Kita-Leiter Sven Jetzkowitz aus Elmshorn. „Es rufen täglich Eltern und andere Träger bei uns an, denen wir aber nicht helfen können.“
Kreis bestätigt Mangel an Versorgung für Behinderte
Die Kreisverwaltung bestätigt diesen Mangel an ausreichender Versorgung von schwerstbehinderten kleinen Kindern. Kreisweit gebe es 42 Integrationsgruppen in Kitas ausschließlich in den Städten Pinneberg (13), Elmshorn (11), Wedel (8), Quickborn (4), Barmstedt (3) und Uetersen/Tornesch (2) sowie eine auf der Insel Helgoland, teilt Kreissprecherin Katja Wohlers auf Nachfrage mit. 168 kleine Kinder mit Handicaps – jeweils vier in einer Gruppe mit 15 Kindern – könnten so betreut werden.
„Es ist festzustellen, dass Träger vermehrt Platzanfragen ablehnen, weil Einrichtungen vor Ort personell, zum Teil auch fachlich und oder baulich nicht dafür ausgerüstet sind, die betreffenden Kinder aufzunehmen“, stellt die Kreissprecherin fest.
Unterstützung soll durch Aufbau von Inklusionszentren kommen
Hinzu kämen die drei heilpädagogischen Gruppen der Lebenshilfe, deren „Bedarf bei den betroffenen Familien besteht“, so Wohlers weiter. Unterstützung solle durch den Aufbau von Inklusionszentren hinzukommen. „Allerdings sehen wir auch im System Schule, dass der inklusive Gedanke nicht für alle Schülerinnen und Schüler umgesetzt werden kann.“
Darum werde es „in der Praxis auch in der Zukunft einen Bedarf an heilpädagogischen Kleingruppen geben, in denen gerade Kinder betreut werden können, die aufgrund ihrer Behinderung oder aufgrund ihrer vielfältigen Einschränkungen nicht inklusiv im System betreut werden können“, betont die Kreissprecherin. Das Land gewähre für solche Plätze Zuschüsse in Höhe von 82,5 Prozent der Kosten.
1,5 Stellen für sechs behinderte Kinder seien zu wenig
Doch selbst diese wenigen heilpädagogischen Gruppen seien völlig unterbesetzt, erklärt Lebenshilfe-Leiter Michael Behrens. Lediglich 1,5 Vollzeitstellen seien dafür vorgesehen. Das bedeute, dass die Hälfte der 30 Betreuungsstunden in der Woche eine Heilpädagogin ganz allein auf ihre sechs schwerstbehinderten Schützlinge aufpassen müsse, erklärt Kita-Leiter Jetzkowitz.
Bei autistischen Kindern und multiplen Behinderungen sei das eine kaum zu bewältigende Aufgabe, wenn zum Beispiel ein Kind ständig eingefangen werden müsse, weil es immer wieder weglaufe, während sich ein anderes mit dem Kopf gegen die Wand blutig schlage. „Das reibt die Kolleginnen auf“, sagt er und fordert: „Darum brauchen wir in diesen heilpädagogischen Kleingruppen einen Personalschlüssel von zwei Mitarbeiterinnen, damit die Kinder vernünftig betreut sind.“
„Neues Kindertagesstätten-Gesetz hat schwerstbehinderte Kinder vergessen“
Bei einem Besuch der SPD-Kreistagsfraktion bei einer dieser Gruppen der Lebenshilfe in Elmshorn haben Behrens und Jetzkowitz auf diese Problematik hingewiesen. „Das neue Kindertagesstätten-Gesetz hat diese schwerstbehinderten Kinder glatt vergessen“, sagt Helga Kell-Rossmann (SPD), die das Problem jetzt im Jugendhilfeausschuss des Kreistages zum Thema gemacht hat. Die SPD werde sich dafür einsetzen, jeweils 90.000 Euro im Jahr für eine ausreichende personelle Besetzung in diesen Kleingruppen zu gewährleisten.
Die Quickborner Verwaltung und Politik plädiert zudem dafür, weitere solche heilpädagogischen Kleingruppen zu schaffen, um auch den vielen nicht betreuten Kindern endlich gerecht zu werden, fordert Quickborns Erster Stadtrat Bernd Weiher (CDU).
Heilpädagogische Kleingruppen im Kreis Pinneberg sollen eröffnen
„Die Aufgabe der Inklusion dieser Kinder kann unseres Erachtens in den Quickborner Kindertagesstätten nicht zufriedenstellend erreicht werden“, heißt es in einem Appell aller Leitungskräfte der elf Kitas in Quickborn. „Wir weisen dringend auf die Notwendigkeit hin, weitere heilpädagogische Kleingruppen im Kreis Pinneberg zu eröffnen und wünschen uns von Seiten der Politik die Antragstellung beim Kreis Pinneberg.“
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So könnten in Quickborn zurzeit nur 15 behinderte Kinder in jeweils drei Integrationsgruppen betreut werden, teilt die zuständige Abteilungsleiterin Solveig Studemund aus der Verwaltung mit. Aktuell konnten dort immerhin zwei der vier bislang unversorgten autistischen Kinder jetzt aufgenommen werden. Doch das reiche längst nicht aus.
„Der Druck bei den betroffenen Eltern ist groß.“
„Denn das ist nur die Spitze des Eisbergs“, ist sich SPD-Fraktionschef Hans-Peter Stahl sicher, dass dieser Mangel an genügend Betreuungsplätzen auch in anderen Kommunen des Kreises bestehen dürfte. „Der Druck bei den betroffenen Eltern ist groß.“
Eine genaue Zahl, wie viele tatsächlich betroffen sind, gebe es nicht, „da nicht alle Kinder den bestehenden Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz wahrnehmen“, teilt die Kreisverwaltung dazu mit. Stahl: „Wir können es uns nicht leisten, dass wir schwerstbehinderte Kinder im Kreis Pinneberg unversorgt lassen.“
Die Lebenshilfe sei jedenfalls bereit, zusätzliche heilpädagogische Kleingruppen einzurichten, sofern diese ausreichend finanziert seien, sagt Geschäftsführer Behrens. „Im Moment können wir nur sagen, dass keinen Platz mehr haben.“ Zurzeit betreut die Lebenshilfe 498 Kinder im Kreis Pinneberg, davon 82 mit zusätzlichem Förderbedarf.