Elmshorn. Uwe Altemeier ist stellvertretender Vorsitzender im KSV Pinneberg. Er warnt vor schwerwiegenden Folgen der Pandemie auf allen Ebenen
In der Diskussion zur Coronapandemie werden die Kritiker aus Zweifler- oder Querdenkerlager nicht müde, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn seinen fehlenden medizinischen Bildungshintergrund vorzuwerfen. (Kleines Fakt am Rande: Seit Bestehen der Bundesrepublik hat mit Philip Rösler (2009 bis 2011) lediglich ein Bundesgesundheitsminister zuvor ein humanmedizinisches Studium absolviert.)
Wenn sich Uwe Altemeier zum Thema Sport, Gesellschaft und Gesundheit äußert, braucht sich der Zeit seines Lebens sportlich aktive 63-Jährige um ähnlich gelagerte Kritiken nicht zu sorgen. „Ich bin seit vielen Jahren stellvertretender Vorsitzender im Elmshorner MTV und im Kreissportverband, bin Mitglied der Fokusgruppe Inklusion im Kreis Pinneberg, bin Mitglied des Umweltausschusses des Landessportverbands und ich bin Stiftungsrat der Bürgerstiftung Elmshorn“, zählt der Vorruheständler seine ehrenamtlichen Aktivitäten auf. Und auch zum Thema Medizin und Gesundheit hat er noch ein Ass im Ärmel. „Außerdem bin ich viele Jahre verantwortlicher Manager im Vorstand eines Arzneimittelunternehmens gewesen, in der Inneren Medizin und in der Anästhesie. Insofern kann ich auch die Medizin und das Umfeld Krankenhaus gut verstehen.“
Von einem Silberstreif am Horizont kann keine Rede sein
Und das, was Altemeier zurzeit im Zusammenhang mit der Coronapandemie beobachtet, beunruhigt ihn. Sehr. Dabei könnte man doch sagen, dass es einen Silberstreif am Horizont gebe: Die Impfungen laufen immer besser an, ein exponentielles Wachstum der Neuinfektionen in dieser dritten Welle scheint aufgehalten. Und mit Blick auf die Erfahrung aus vergangenem Sommer könnte die Hoffnung auf fast normales Sporttreiben mit Beginn der zweiten Jahreshälfte nicht unberechtigt zu sein, oder?
Doch Altemeier blickt weiter, viel weiter. „Ich mach mir große Sorgen, besonders um unsere Kinder und ihre Familien. Wir haben in allen Großvereinen insbesondere in den Altersklassen Null bis sechs und tatsächlich auch in der Kerngruppe 19 bis 40 enorme Mitgliederverluste“, sagte der Elmshorner, der in früheren Jahren auch in Wedel und Uetersen gelebt hat. „Insbesondere bei den Kindern ist jetzt der Zeitpunkt, Entwicklungsdefizite in der motorischen Ausbildung auszugleichen. Aber wie kriegen wie diese Kinder, die wir faktisch verloren haben, dann wieder zum Sport motiviert? Da wird es dramatisch. Bei Kindern und auch Menschen mit Behinderung oder Senioren sind die gesamten Familien die Leidtragenden, weil die Politik die Stimmen des Sports nicht ausreichend hört. Und das hat nichts mit Impfstatus und Ähnlichem zu tun.“
Das Thema Bewegung muss nach der Pandemie völlig neu gedacht werden
Diese selektive Taubheit der Politik habe langwierige Folgen; eine Bewegung der Bevölkerung finde zurzeit nur marginal statt. „Wenn das hier alles vorbei ist, müssen wir das Thema Bewegung postpandemisch völlig neu denken. Familien wünschen sich Unterstützung, ihre Kinder, alle Familienmitglieder bewegt zu bekommen. Wir werden Jahre brauchen, um den psychosozialen Schaden, der in Familien angerichtet worden ist – durch Pandemie und auch falsche Entscheidungen – wieder auszubügeln. Ich hoffe, dass die Vereine das leisten können, und dafür muss die Politik auch etwas tun.“
Eine große Hürde auf dem Weg zu einer zielorientierten Lösung sei das (bisher viel zu schwach existierende) Miteinander von Politik und Verwaltung. Stichworte: Bereichsegoismen, Schubladendenken oder fehlende Befähigung, systemoffen und dynamisch zu verstehen. „Da fällt mir immer wieder einer meiner Lieblingssätze ein“, sagt Altemeier. „Komm gerne in meine Sandkiste, aber fass nicht meine Förmchen an.“ Hier könnten die Städte von der Medizin am Beispiel einer interdisziplinären Tumorkonferenz lernen, wo jeder Fachbereich verbindlich ansagt, was er zur Heilung des Patienten beiträgt. „Man kann es auch ganz kurz sagen: Politik, Verwaltung und Kostenträger im Gesundheitswesen müssen mit einander verbindlich schnacken und sich einigen.“
Schon die Bereitstellung von Sporthallen ist problematisch
Dazu gehöre zu Beginn die Erkenntnis, „dass wir jetzt bereits einen Schaden haben.“ Aber schon die Bereitstellung städtischer Sporthallen an Schulen erweise sich als Problem. Amt, Schulleitung, Gebäudemanagement müssten alle überzeugt werden, das hierfür Notwendige einzuleiten, machen zu wollen.
Warum so schwierig? Vielleicht neben dem vorher Gesagten auch wegen des fehlenden Wissens um gesundheitliche Folgen fehlender Bewegung im jungen Alter. „Wir produzieren jetzt die Patienten, die Diabetiker von morgen. Wir müssen jetzt etwas tun und dagegenhalten, denn die Lust sich zu bewegen nimmt ab, je weniger Angebote du dafür wahrnimmst“, sagt der medizinisch erfahrene Sportfunktionär. „Diabetes mellitus Typ 2, der früher als Altersdiabetes bezeichnet wurde, betrifft immer mehr Jüngere. Jetzt entstehen die vulnerablen Gruppen der Zukunft; wir müssen den überall erkennbaren Gewichtszuwachs bekämpfen. Doch stattdessen werden Sporthallen aus verschiedenen Gründen blockiert, Sport an frischer Luft viel zu stark eingeschränkt.“
In den Mannschaftsballsportarten droht eine Austrittswelle
Großes Sorgenkind seien die Mannschaftsballsportarten. „Was mache ich mit Volleyball, Basketball oder Handball, wenn die Hallen gesperrt sind? Zum Beispiel bei unserem Jugendbasketball, die werden wohl austreten, weil sie bei uns nichts machen können. Und eine solche Perspektivlosigkeit überträgt sich dann doch auch bis in die Familien.“
Ein Lösungsansatz sei ein Umdenken an der Spitze. „Ich war bei einer Anhörung des Landtags und konnte unseren Verein vertreten. Ich habe gesagt, dass wir lernen müssen, dass, wenn das Kultusministerium eine Verordnung herausgibt, dass diese mit dem Innenministerium für den Sport abgestimmt sein müsse, was aber bislang nicht geschieht – damit man die Kinder im Fokus hat.“ Ein ganzheitliches Organisationsverständnis gebe es in Verwaltung und Politik nicht. „Es wird nicht miteinander vernetzt und verdrahtet. Hier ist System gefragt: Wie können wir verhindern, dass wir in der Zukunft hunderte Millionen Euro ins Gesundheitssystem pumpen, weil so viele postpandemisch eine chronische Erkrankung bekommen haben?“