Rellingen. Der englische Bildhauer schreibt als Gastkünstler des Ortes an einem Roman. Was ihn in den Kreis Pinneberg verschlägt.

40 Jahre mindestens hat sich Barry Baldwin am Härtesten abgearbeitet, das eine Menschenhand mit Muskelkraft beackern kann: Stein. In der jüngsten Zeit hat sich der englische Bildhauer nun dem Medium des Schreibens zugewendet – und in Rellingen gegenüber seinem Galeristen und Agenten Gerd Uhlig an der Poststraße als Gastkünstler eine Sommerheimat gefunden. Hier schreibt der Künstler, der Ende der 1990er-Jahre sämtliche Skulpturen im wunderschönen Hamburger Levantehaus geschaffen hat, an seinem ersten Roman.

Rellingen: Bildhauer Barry Baldwin im Kreis Pinneberg zu Gast

Vom Gartentisch aus kann Barry Baldwin den Rellinger Kirchturm sehen. Der Ausblick freut ihn, genauso wie die Nähe zu Hamburg, jener Stadt, die er sehr positiv in Erinnerung behalten hat. Dass er hier überhaupt ein so großartiges Projekt wie die Kunst im Levantehaus realisieren konnte, liegt wiederum daran, dass dessen Besitzer einst in England seine Arbeiten gesehen hatte und so hingerissen davon war, dass er dem Künstler sogleich ein Erste-Klasse-Flugticket nach Hamburg zukommen ließ.

Hamburg erhielt mit dem Levantehaus ein bleibendes Geschenk. Eine Ladenpassage mit einem Fries, einem mit Skulpturen geschmückten Rondeel, 28 Porträtbüsten und – eine ungeheure Kühnheit – einen über dem Entree hoch oben schwebenden Kentaur aus Bronze. Auf eine beeindruckende Laufbahn als Bildhauer blickte Baldwin schon damals zurück. Weil er stets figürlich gearbeitet hat, verlief seine Karriere allerdings fast jenseits des Galerie- und Ausstellungsbetriebes.

Rellingen: Barry Baldwin wurde vom britischen Königshaus gefördert

Wer ihn eine Zeit lang intensiv gefördert hat, sind Prinz Charles und das englische Königshaus. Für viele Londoner Bahnstationen hat Barry Baldwin eigene Skulpturen an Gebäuden, Ein- und Ausgängen oder Torbögen geschaffen, zum Beispiel an der Station King’s Cross. Prinz Charles war es auch, der veranlasste, dass er sich an einer Ausstellung im ehrwürdigen Victoria & Albert Museum beteiligte.

Stets studiert der Bildhauer genauestens den Ort, für den er arbeiten soll. Schaut sich die Materialien und vorhandenen Gebäude an, die Menschen, die sich darin bewegen, nimmt die Atmosphäre auf. „Es geht bei dieser Arbeit nicht darum, das eigene Ego zu befriedigen. Sondern darum, etwas für den jeweiligen Ort und die dortigen Menschen zu schaffen. Ich bin stolz, dass mir das gelungen ist. Die Leute wertschätzen, was ich tue.“

Er sei kein Galeriekünstler, sagt Baldwin nochmal und schaut über die blauen Kanten seiner Brille hinweg. Nein, das ist er nicht, und auch Gerd Uhlig, der ihn in Deutschland vertritt, wird von kommender Woche an nur eine kleine Skulptur und eine Diashow von ihm in seiner Rellinger Galerie zeigen, außerdem zwei Figuren und dieselbe Slightshow im Kunstraum des Levantehauses.

Bildhauer Barry Baldwin kreiert monumentale Werke

Üblicherweise sind seine Werke monumental, und das Material dafür stammt aus seinem eigenen Steinbruch bei Bath. Zeitweise hat Barry Baldwin im königlichen Buckingham Palace gewohnt, phasenweise aber auch auf der Straße, denn mit 14 Jahren lief er von zuhause fort, weil er sehr belastende Erfahrungen mit sich herumschleppte, die er nie verarbeiten konnte. In seinem Roman erzählt er die Geschichte eines Jungen, der Künstler werden will. Arbeitstitel: „No Medals“ (keine Medaillen). Eigene harte Erfahrungen will er darin verarbeiten, es soll aber keine Autobiografie werden. Mit diesem Kunstgriff tritt er in die Fußstapfen anderer berühmter Kulturschaffender.

Die Zeit, in der er die Kunstakademie besuchte, sei die Zeit gewesen, „als die Künstler lieber Musik machten und Dope rauchten. Bildhauerei hat damals keinen interessiert. Ich wollte aber Bildhauer werden.“ Das geschah über Umwege. Die Kunst, Stein zu schneiden, zu bearbeiten und zu polieren, die haben ihm dann letzten Endes die Jungs im Steinbruch von Dorset beigebracht. Damit begann seine beeindruckenden Karriere.

Bildhauer Barry Baldwin in Rellingen zu Besuch

Als er älter wurde, zog es Barry Baldwin nach Amerika. 14, 15 Jahre lebte er dort und unterrichtete an der Kunstakademie von San Francisco. Ein Jahr Texas war auch dabei, vorm Brexit, den er sehr kritisch sieht und vor Corona. Mit einem wichtigen Spätwerk hat er dort vor fünf, sechs Jahren begonnen, Es ist der so genannte Messenger Angel, der geflügelte Bote. Der ist nicht mehr aus Marmor, sondern aus einem leichteren Verbundmaterial. Die oberste Schicht besteht aber aus Marmorstaub. Vier solcher geflügelter Wesen hat Baldwin schon gefertigt.

Einer der fast weißen Messenger Angel hängt in luftiger Höhe nahe der Fassade seines Hauses in der Nähe von Bath. Engel seien viel älter als das Christentum, erklärt Baldwin. Die Nike von Samothrake im Louvre etwa sei über 2000 Jahre alt. Seine majestätischen, betont schönen, glatten, geschlechtslosen Figuren nennt er prosaisch „Feelgood Pieces“ (Wohlfühlstücke) und meint das ganz ernst so. Hoffnung und Zuversicht sollen sie ausstrahlen: „Ich möchte, dass sie Menschen helfen, sich besser zu fühlen, ihre Bestimmung zu erkennen. Gerade junge Menschen wollen doch eine Richtung finden für ihr Leben.“