Pinneberg. Gewalt gegen Frauen: Nach einer Trennung leiden auch die Kinder. Warum Beratungsstellen das geltende Umgangsrecht kritisieren.
Die Frauenberatungen in Pinneberg und Elmshorn haben neue Zahlen vorgelegt und machen in ihrer neuesten Mitteilung auf Probleme aufmerksam, die nach ihren Beobachtungen dringend behoben werden müssen. Allein in Schleswig-Holstein werden jährlich mehr als 12.000 Frauen, Mädchen und Angehörige von den Frauenberatungsstellen und -notrufen beraten und begleitet. Im vergangenen Jahr haben im Kreis Pinneberg 932 Frauen die Frauenfachberatungsstellen in Pinneberg und Elmshorn aufgesucht. Insgesamt fanden 2539 Beratungen statt. Die Frauenberatungsstellen und Notrufe sind Anlaufstellen für die Frauen, die geschlechtsspezifische Gewalt erlebt haben und dort Hilfe und Unterstützung bekommen. Eine Form davon ist Partnerschaftsgewalt, die Frauen und Kinder noch immer am meisten betrifft
Nach Trennung wird Frauen oft „Erziehungsfähigkeit“ abgesprochen
„2021 gab es im Kreis Pinneberg 125 Datenübermittlungen an die Frauenberatungsstellen durch die Polizei, davon wurden 91-mal ein gewalttätiger Partner nach häuslicher Gewalt aus dem gemeinsamen Haushalt verwiesen“, sagt Lea Preuten, Diplom-Psychologin aus der Beratungsstelle Elmshorn. „Solche Wegweisungen durch die Polizei können vorübergehend Schutz für die betroffenen Frauen gewährleisten. Schwierig wird es aber, wenn Frauen sich endgültig trennen wollen“, sagt Diplom-Sozialpädagogin Regine Heyenn aus der Frauenberatung Pinneberg.
Das Bundesfamilien- und das Bundesjustizministerium hat zum Gewaltschutzgesetz ausführlich Stellung bezogen: „In Fällen häuslicher Gewalt liegt meist eine fortdauernde Gefährdung vor. Diese nimmt insbesondere dann stark zu, wenn sich das Opfer von der gewalttätigen Person trennt oder trennen will“, heißt es in einem Papier dazu. Komme es tatsächlich zur Trennung, „halten wir es für notwendig, dass vorangegangene Beziehungsgewalt bei den Umgangsregelungen unbedingt mit einbezogen werden sollte“, sagen die beiden erfahrenen Beraterinnen. Gerade bei der Umsetzung der Umgangsregeln laufe einiges falsch.
„Frauen, die aufgrund ihrer Gewalterfahrung instabil sind, müssen oft erleben, dass ihnen die Erziehungsfähigkeit aufgrund ihrer psychischen Belastung, abgesprochen wird“, sagen Heyenn und Preuten. Es sollten aber stärker die Täter in den Blick genommen werden. Noch immer würden die Möglichkeiten nicht ausgeschöpft, um den Tätern Grenzen zu setzen, wenn diese beispielsweise eine Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz missachteten. „Täter stärker in den Blick nehmen“, lautet deshalb eine Forderung des Landesverbandes, der sich Heyenn und Preuten anschließen.
Gewaltopfer im Kreis Pinneberg: Mütter und Kinder müssen nach einer Trennung zunächst zur Ruhe kommen
„Jedes Jahr werden die Zahlen über Partnerschaftsgewalt in der Bundeskriminalstatistik erfasst und bekanntgegeben, und jedes Jahr stehen wir wieder fassungslos vor den Ergebnissen. Die Zahl der von Gewalt betroffenen Frauen ist aber noch wesentlich höher, denn die Statistik erfasst nur das Hellfeld, die Fälle, die der Polizei bekannt wurden“, sagt Lea Preuten.
Schwerpunktthemen, mit denen die Beraterinnen in ihrer Arbeit zu tun haben, sind die verschiedenen Ausprägungen von Gewalt, die in den Trennungsberatungen zu Tage treten und zur Eskalation führen. „Bei Trennungen kommt es immer wieder vor, dass die Lebenspartner drohen, die Kinder wegzunehmen, obwohl sie sich bis zu diesem Zeitpunkt kaum gekümmert haben“, berichtet Preuten. „Tatsächlich erleben wir, dass bei familiengerichtlichen Entscheidungen Umgangsrecht gewährt wird, auch wenn Gewalt stattgefunden hat.
Gerade wenn sich die Gewalt gegen die Frauen und nicht direkt gegen die Kinder gerichtet hat, wird die Situation für die Kinder als sicher erklärt. Es kommt vor, dass ein Näherungsverbot nach dem Gewaltschutzgesetzt ausgesprochen wurde, die Mutter dem Vater aber trotzdem ihre Kinder zuführen soll“, sagt Heyenn und erklärt, was damit verbunden ist: „Eine solche Situation bedeutet für die Mutter enormen Stress. Für Kinder, die Gewalt miterlebt haben, ist die Situation ebenfalls hochgradig belastend. Hier wäre es aus unserer Sicht erforderlich, dass die Mütter mit ihren Kindern erst einmal zur Ruhe kommen können und aufgrund der Umgangsregeln weitere Eskalationen vermieden werden.“
Es gibt nicht nur körperliche, sondern auch viel psychische Gewalt
Deutliche Kritik dazu äußere auch der Soziologe und Familienexperte Wolfgang Hammer, der in seinem Bericht „Familienrecht. Eine Bestandsaufnahme“ sehr anschaulich beschreibe, welche negativen Auswirkungen das Wechselmodell 50/50 auf Kinder aus Gewaltbeziehungen habe. Er kritisiere, dass vorherige Gewalterfahrungen in dieser Beziehung eine nur sehr marginale Rolle bei den Verhandlungen der Umgangsregelungen einnähmen. Der Verein Frauenhauskoordinierung bestätigt das: „Viele der in der Studie genannten Empfehlungen decken sich mit denjenigen von Frauenhauskoordinierung.“ Der Verein hoffe, „dass diese Studie ernst genommen wird und angesichts angekündigter Reformen im Familienrecht Gehör findet“.
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Der Kinderpsychiater und Ärztlicher Direktor der Universität Ulm Jörg Fegert, mit den Schwerpunkten Kinderschutz und Trauma fordert mehr empirische Forschung, damit nachvollzogen werden kann, welche gesellschaftlichen Folgen solche Gerichtsentscheidungen haben. Weil diese Studien fehlen, herrsche im Familienrecht nämlich zu viel Ideologie.
Gewalt gegen Frauen hat viele Facetten
„Gewalt hat viele Facetten. Wir definieren nicht nur körperliche Übergriffe als Gewalt, sondern auch psychische, ökonomische, soziale und digitale Grenzüberschreitungen“, erklärt Preuten. Ein Beispiel von psychischer und ökonomischer Gewalt habe eine Frau erlebt, die nur einmal im Monat duschen durfte, um Geld zu sparen: „Aus dem gleichen Grund durfte sie im Winter nicht heizen, sondern sollte sich warm anziehen, und obwohl sie eigene Einkünfte hatte, wurde ihr das Geld für die Einkäufe knapp zugeteilt, mit dem sie sehr sparsam umgehen musste, damit es bis zum Monatsende reichte. Um seine Forderungen durchzusetzen, schrie ihr Partner sie an, beleidigte sie, drohte ihr und verbot ihr den Kontakt mit ihren erwachsenen Kindern. Einer Trennung wollte er aber nicht zustimmen“, sagt Preuten.
Das ist kein Einzelfall: „Immer wieder berichten Frauen davon, dass sie isoliert, kontrolliert und finanziell kurzgehalten werden. Jahrelange verbale Demütigungen und körperliche Übergriffe hinterlassen nicht nur auf dem Körper, sondern auch in der Seele tiefe Spuren“, sagt Heyenn. Oft vergingen Jahre, bis solche Frauen den Mut fänden, sich aus ihrer Situation zu befreien und den Weg in die Beratungsstellen oder in ein Frauenhaus fänden.
Kontakt: Frauenberatung Pinneberg: 04101/51 31 47, Elmshorn: 04121/66 28.