Pinneberg. Ihre Mission ist Harmonie. Nach Corona-Pause wurden nun die neuen Streitschlichter der Stadt begrüßt. Sie haben gute Neuigkeiten.

Es klang animalisch: Im Rathaus Pinneberg sprach man von „sturen Eseln“ und „Stierköpfen“. Doch die Veranstaltung selbst blieb gesittet, der Anlass war kultiviert. Zwei Ehrenamtliche wurden begrüßt, deren Job seit Jahrhunderten existiert.

Nach einer rund fünfmonatigen Pandemie-Verzögerung wurden Pinnebergs neue Schiedsleute jetzt offiziell vorgestellt. Sie lösen nun für fünf Jahre Zwist zwischen Nachbarn, den besagten „sturen Eseln“ oder „Stierköpfen“. Dabei setzen sich beide nicht nur dafür ein, sie haben selbst in der drögen Corona-Zeit gute Nachrichten.

Schiedsamt: „Im Schnitt haben wir etwa 15 Fälle im Jahr“

Denn eigentlich nahmen Nachbarschaftsstreits laut einer Umfrage während der Pandemie zu. Das berichtet zumindest der Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen, der 63 Firmen befragte. Durch Lockdown und Homeoffice stören sich demnach immer mehr Menschen an den Leuten von nebenan. Laut den befragten Wohnungsunternehmen sei eine „gewisse Grundspannung“ zu bemerken. Beschwerden über Störungen und Lärm häuften sich. Doch davon zeigt sich in Pinneberg nichts, so die Einschätzung der beiden Experten.

Karl-Heinz Jennerich und die Stellvertreterin Ulrike Marschner-Ruthof müssen es wissen: Gemeinsam sind sie seit fünf Jahren im Schiedsamt. „Im vergangenen Jahr kamen neun neue Fälle dazu“, so Jennerich. Damit bewege man sich auf unterem Niveau. „Im Schnitt haben wir etwa 15 Fälle im Jahr.“ Die Pandemie wirke sich auf die Arbeit der beiden nur durch Verzögerung aus. Gespräche, die eigentlich im Rathaus stattfinden, wurden verschoben, Online-Treffen seien da kein Ersatz, so Marschner-Ruthof: „Wir merken oft, dass die Leute gar nicht miteinander gesprochen haben. Aber im digitalen Raum kommen sie nicht wirklich ins Gespräch.“

„Längst nicht alle wissen, dass es uns gibt"

Trotz der Ruhe im vergangenen Jahr – das Ehrenamt ist herausfordernd. Jennerich bekleidet es bereits seit 16 Jahren, für Marschner-Ruthof ist es das sechste Jahr als stellvertretende Schiedsfrau. Es ist wichtig, dass es die beiden gibt. Ein Schiedsamt ist für jede Gemeinde und Stadt in Schleswig-Holstein verpflichtend. „Es gibt aber kaum Bewerber, viele Gemeinden suchen aktiv“, so Jennerich.

Entsprechend dankbar begrüßten Stadtrat Stefan Bohlen (CDU) und Bürgervorsteherin Natalina di Racca-Boenigk (CDU) die neu gewählten Schiedsleute. Sie empfingen sie mit Blumen, „Hochachtung“ und „großem Respekt“. Diese Ehre stieg Jennerich aber nicht zu Kopf: „Längst nicht alle wissen, dass es uns gibt oder was wir tun“, sagt der 77-Jährige.

Schiedsleute sind professionelle Streitschlichter

Die Schiedsleute sind quasi professionelle Streitschlichter. Je nach Bundesland variieren ihre Bezeichnungen und Aufgaben. Sie bewerben sich in ihrem Wohnort auf das Amt, werden von der Ratsversammlung gewählt und vom Amtsgericht vereidigt. Für Fachwissen sorgen Schulungen, beispielsweise im Straf- oder Zivilrecht, die regelmäßig stattfinden.

Denn genau diesen Bereich sollen die Ehrenamtlichen entlasten. „Bei dem Großteil der Anträge handelt es sich um Nachbarschaftsstreits, vor allem um Gartenbepflanzung und Lärm“, so Jennerich. Solche Fälle müssen erst zum Schiedsamt, bevor beim Amtsgericht geklagt werden kann.

Erfolgsquote zwischen 70 und 75 Prozent

Meldet sich ein Antragssteller bei Jennerich und Marschner-Ruthof, versuchen sie, im Dialog zwischen den Parteien zu vermitteln. Dabei arbeiten die Schiedsleute stets zusammen: „Da komme ich auch als Stellvertreterin zum Zug“, freut sich die 72-Jährige. Ziel ist ein Vergleich, eine Einigung, die für 30 Jahre gilt. „Zwischen 70 und 75 Prozent der Fälle enden mit einem Vergleich“, sagt Jennerich.

Auf die Gebühren zwischen 20 und 75 Euro kommen in so einem Fall 20 Euro obendrauf. „Ein Prozess am Amtsgericht mit Anwälten wäre aber deutlich teurer“, betont der 77-Jährige. Manchmal lösen die Streitschlichter Probleme auch durch „Tür- und Angelgespräche“. Konflikte können sie in dieser Form mit wenigen Besprechungen oft auch nur am Telefon aus der Welt schaffen.

„Manchmal wollten sich Parteien schon an die Wäsche"

Auch wenn er keine Einzelheiten verraten darf, lässt der Schiedsmann durchblicken: In seiner langen Amtszeit hat er viel erlebt. Ein Antragssteller, dem die benachbarte Familie zu laut war, kam mit Anwalt und Lärmprotokoll: „In dem verzeichnete er auch lautes Lachen.“

Außergewöhnlich war auch ein Fall mit besonders vielen Antragstellern: „Einmal hatten wir einen Termin mit einer ganzen Reihenhaus-Siedlung, da waren 27 Menschen vor Ort.“ Scheinbare Lappalien kochen teilweise hoch: „Manchmal wollten sich die Parteien schon an die Wäsche. Einmal drohte im Hintergrund einer Verhandlung sogar die Scheidung.“

Wenn aus Feinden bei einem Kaffee Freunde werden

Seiner Meinung nach führt besonders alter Zwist an den Verhandlungstisch: „Mit zunehmenden Alter fällt es schwerer, Konflikte zu akzeptieren. Als man jung war, fegte man das Laub für den Nachbarn einfach noch weg, nach zig Jahren sieht man das nicht mehr ein.“ Um solch eingefahrene Fälle zu schlichten, brauche es „die Fähigkeit zuzuhören“, so die Schiedsfrau und „Einfühlungsvermögen“, so der Schiedsmann. Manchmal erinnert Jennerich die Menschen daran, was auf dem Spiel steht: „Dann frage ich sie, ob ihnen der Streit ein Magengeschwür oder gar einen Auszug wert ist.“

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Doch es gibt auch schöne Erlebnisse – etwa Momente der Einsicht: Einen solchen gab es bei einer Verhandlung wegen Beleidigung, so Marschner-Ruthof: „Vor Ort pöbelte die Person, die beleidigt hatte, nicht mehr. Sie sagte einfach nur, es tue ihr leid, sie habe Mist gebaut.“ Besonders schön ist es für die beiden, wenn ein Vergleich zustande kommt. Jennerich sagt: „Meist setzen wir den direkt nach dem Gespräch auf. Dafür brauchen wir etwa eine halbe Stunde. Wir empfehlen den Parteien dann, gemeinsam etwas trinken zu gehen. Wenn dann zwei ehemals Zerstrittene friedlich von einem gemeinsamen Bier oder Kaffee zurückkommen, ist das etwas sehr Schönes.“

Das Schiedsamt – der Hintergrund

Schiedsleute kämpfen seit 1827 für den Frieden. Damals wird in Preußen die erste Schiedsmannordnung eingeführt. Die Idee: Gewählte Schiedsmänner schlichten kleine Konflikte und entlasten so die Gerichte. Das Ehrenamt hielt sich über Jahrhunderte und gewann an Kompetenzen. Heute müssen in Schleswig-Holstein bei bestimmten zivil- und strafrechtlichen Fällen die Schiedsämter eingeschalten werden.

Erst danach kann beim Amtsgericht geklagt werden. Das betrifft überwiegend Fälle aus dem Nachbarrecht. Zum Beispiels Überwuchs, Grenzabstand und Lärm, aber auch die Verletzung des Briefgeheimnisses oder der Ehre. Das Schiedsamt Pinneberg erreichen Interessierte unter Tel. 04101/211 269.