Wedel. In den kommenden zwei Jahren sollen 30 Prozent weniger Kohle verbrannt werden. Warum mehr technisch nicht zu verantworten sei.
Im umstrittenen Wedeler Heizkraftwerk (HKW) soll in den kommenden zwei Jahren rund 30 Prozent weniger Kohle verbrannt werden. Wie genau das geschieht, welche Auswirkungen das hat und ob nicht eine weitere Reduzierung möglich wäre, war nun Thema eines digitalen Dialogs, den die Netzwerke Tschüss Kohle und EnergieNetz Hamburg organisiert hatten.
Die Reduzierung der Kohleverbrennung soll in drei Schritten erfolgen, und zwar um jeweils 50.000 Tonnen. Dies bringe eine CO2-Einsparung von 30 Prozent, erklärte Michael Beckereit, Geschäftsführer von Wärme Hamburg. Der erste Schritt sei dabei aufgrund der veränderten Energiemarktpreise kostenneutral, der dritte werde durch die Inbetriebnahme der neuen Power-to-Heat-Anlage (wir berichteten) aufgefangen, der zweite koste bis zu 1,5 Millionen Euro jährlich. Denn erreicht wird die Drosselung durch eine künstliche Erhöhung des CO2-Preises, der pro Tonne fällig wird, und die Wärme Hamburg aus der eigenen Tasche zahlt.
Wärme Hamburg führt Versorgungspflicht ins Feld
Nun besitzt das Unternehmen mehrere Kraftwerke – welches eingesetzt wird, entscheide sich nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten, so der Sprecher Stefan Kleimeier. Derzeit sei in der Regel Wedel am kostengünstigsten; werden Strom und Wärme hier durch den höheren CO2-Preis teurer, würde vermehrt das Kraftwerk Tiefstack eingesetzt und die Leistung des Wedeler Meilers entsprechend reduziert.
Ein Schritt in die richtige Richtung. Aber geht da nicht noch mehr? Können die Leistung und damit auch der Partikelausstoß, der bei südöstlichen Winden über den benachbarten Wohnvierteln niedergeht, nicht noch weiter reduziert werden? Das Kraftwerk womöglich ganz stillgelegt werden? Nein, so die klare Antwort von Geschäftsführer Beckereit. Der Grund: Das gut 60 Jahre alte HKW ist in einem so schlechten Zustand, „dass wir es einfach nicht wagen, es noch mehr runterzufahren. Wir haben gar nicht so viele Finger in der Mannschaft, um alle Löcher zu stopfen.“ Die Wärme Hamburg müsse ihrer Versorgungspflicht nachkommen – und die könne bei einer weiteren Leistungsdrosselung nicht mehr garantiert werden. Auch ein vorübergehendes Herunterfahren in den Sommermonaten sei deshalb nicht möglich.
Bürgerinitiative befürchtet Gesundheitsschäden
Unter anderem das hatte die Bürgerinitiative Kraftwerk gefordert. Denn in der warmen Jahreszeit halten sich die Anwohner vermehrt im Freien auf, wo sie den ätzenden Teilchen ausgesetzt sind. Petra Kärgel, Ratsfrau und Sprecherin der Grünen in Wedel: „Die ätzenden Partikel-Emissionen aus dem Kraftwerk können insbesondere dann gefährlich werden, wenn Partikel ins Auge geraten. Sie können schwere Augenschäden hervorrufen.“
Beckereit streitet das ab. Zwar gebe es Schädigungen, „wir sehen die“, gesundheitsgefährdend seien diese aber nicht. Das belegten Gutachten. Für Petra Kärgel ist es „absurd, dass Partikel, die sogar harten Autolack verätzen, nicht schädlich für die Gesundheit sein sollen“, zudem gebe es anderslautende Gutachten. Dass die Teilchen in Verbindung mit Feuchtigkeit einen pH-Wert von eins und weniger haben – somit extrem sauer sind – belegt unter anderem eine Stellungnahme von Korro-Praevent aus dem Oktober 2020.
Anwohner klagen seit Jahren
Für Kerstin Lueckow, Sprecherin der Bürgerinitiative, entspricht das alte Kohlekraftwerk damit nicht den gesetzlichen Vorgaben – die besagen, dass ein Kraftwerk technisch auf aktuellem Stand sein muss und „schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können“, wie sie den Paragrafen 6 des Bundesimmissionschutzgesetzes zitierte. Unter anderem sie hat deshalb geklagt, die Verhandlung findet im Mai statt. Das Ziel: die umgehende Abschaltung des Wedeler Kraftwerks, bis keine ätzenden Partikel mehr emittiert werden.
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Matthias Ederhof vom EnergieNetz Hamburg zweifelte bei der Online-Diskussion an, dass Wärme Hamburg wirklich alle Schritte zur Kohlereduktion ausreizt. Er forderte, sofort zu testen, bei welcher Mindestlast die Versorgungssicherheit gewährleistet sei – und nicht erst in zwei bis drei Jahren. Die Reduzierung der verbrannten Kohle im Kraftwerk Wedel sei die kostengünstigste, effizienteste und schnellste Art, in Hamburg CO2 einzusparen, sofern nicht gleichzeitig in Tiefstack mehr Strom produziert wird.
Wedel soll 2025 planmäßig vom Netz gehen
2025 soll das Wedeler Kohlekraftwerk planmäßig vom Netz gehen – wenn bis dahin der geplante Energiepark Hafen an der Dradenau die nötige Energie liefert. Er soll 2024 in Betrieb gehen und ein Jahr lang parallel zum Wedeler Kraftwerk laufen. Funktioniert alles reibungslos, wird Wedel für ein weiteres Dreivierteljahr in den Stand-by-Modus versetzt – als Rückfalloption.
Hier hakte Petra Kärgel ein: Es wäre also doch möglich, das Kraftwerk über einen längeren Zeitraum herunterzufahren? So zugespitzt: ja, sagte Wärme-Hamburg-Geschäftsführer Beckereit. Markus Wonka, Leiter des Geschäftsbereichs Erzeugung bei Wärme Hamburg relativierte: „Die Übergangsphase wird eine große Herausforderung. Je länger der Betrieb steht, desto schwieriger wird das Wiederhochfahren. In diesem Falle ist das aber alternativlos.“