Norderstedt. In der vergangenen Saison bewahrte der Coach die Eintracht vor dem Abstieg. Nun ist er mit seiner Mannschaft Letzter und muss gehen.

Regionalligist Eintracht Norderstedt hat die Reißleine gezogen und seinen Trainer Jean-Pierre Richter entlassen. „Der Klassenerhalt in Flensburg wird immer mit dem Namen Jean-Pierre Richter verbunden bleiben, dafür sind wir ihm sehr dankbar. Jonny hat vom ersten Tag an für den Verein gebrannt und sich auch über die eigentlichen Kernaufgaben des Trainers engagiert. Deswegen ist uns die Entscheidung auch alles andere als leichtgefallen“, wird Norderstedts Präsidentin Julia Karsten-Plambeck in einer Pressemitteilung des Vereins zitiert.

Eintracht Norderstedt: „Sportliche Situation ließ keine Wahl“

„Die aktuelle sportliche Situation mit nur acht Punkten aus den letzten 14 Spielen und die Auftritte der Mannschaft lassen uns keine andere Wahl, als auf der Position des Trainers einen neuen Impuls zu setzen.“

Richter hatte die Eintracht in der Vorsaison am 11. März im Abstiegskampf übernommen und mit 20 Punkten in zwölf Partien zum Klassenerhalt geführt. Am letzten Spieltag machte die Eintracht in einem direkten Endspiel und Herzschlagfinale mit einem 2:0 beim SC Weiche Flensburg 08 den Klassenerhalt perfekt. In dieser Saison lief es nach starkem Start jedoch nicht. Mit dem 0:2 am Sonnabend beim VfB Oldenburg stürzte die Eintracht auf den letzten Platz der Regionalliga Nord ab.

Analyse: Verkorkste Saison, zweifelhafte Entscheidungen

Die Spielzeit des Regionalligisten ist bislang völlig verkorkst. Die Entlassung von Jean-Pierre Richter ist der Höhepunkt der monatelangen negativen Entwicklung. Als Eintracht Norderstedts Sportchef Denny Schiemann am 25. Juli drei Tage vor dem Saisonauftakt seinen Wunsch für die Spielzeit formulierte, sprach er den Verantwortlichen und vielen Fans aus dem Herzen. „Bitte kein Herzschlagfinale mehr!“

Ziel der Garstedter nach dem Last-Minute-Klassenerhalt in der Regionalliga Nord mit einem 2:0 beim SC Weiche Flensburg 08 war eine sorgenfreie Spielzeit. In Schiemanns Worten: „Wir möchten den Klassenerhalt so rasch wie möglich schaffen!“ Vier Monate später sind sowohl Sportchef Schiemann als auch der Trainer weg. Und die zwölfte Regionalligasaison in Folge könnte die letzte für Eintracht Norderstedt sein.

Eintracht Norderstedt: Schlechteste Offensive der Liga

Die Gründe dafür sind vielfältig. Als der Kader nach dem großen Umbruch im Sommer mit elf Zu- und zehn Abgängen stand, sorgte vor allem der Sturm bei den Beobachtern für Stirnrunzeln. Nur Manuel Brendel und Talent Jack James standen für die zentrale Angriffsposition der in Norderstedt bis heute verehrten Vereinslegende Jan Lüneburg zur Verfügung.

Coach Richter, öffentlich stets loyal zum Verein, forderte intern Verstärkung auf der Position. Doch erst am 10. Oktober wurde mit dem vereinslosen Lukas Krüger nachgebessert. Der frühere Angreifer des SV Meppen kam allerdings überraschend im Dreiersturm rechts vorne zum Einsatz. Er traf gleich bei seinem Debüt beim sonst schwachen 1:4 gegen den FC Teutonia 05, zog sich aber nach starken Auftritten einen Tag nach Abgang des Sportchefs Schiemann einen Muskelfaserriss zu.

Abwehr der Eintracht ist löchrig

Zur schlechtesten Offensive der Regionalliga Nord (nur 14 Tore) gesellte sich bei der Eintracht eine löchrige Defensive (32 Gegentreffer). Rückkehrer Fabian Grau konnte dem Team in der Innenverteidigung nicht den nötigen Halt geben. Auch andere Spieler der zu oft viel zu leise und mit zu wenig Körpersprache auftretenden Mannschaft suchten ihre Form. Konteranfällig und mit krassen individuellen Aussetzern präsentierte sich das Team im Defensivverbund.

Selbst vom Kapitän kam viel zu wenig. Ersin Zehir agierte im zentralen Mittelfeld weit unter seinen Möglichkeiten. Dazu kam Richters merkwürdiges Vorgehen bei den Torhütern. Nach starkem Saisonstart ersetzte er ohne jede Not am vierten Spieltag gegen den FC St. Pauli II (1:1) Dave Ceesay durch den in der Vorbereitung verletzten Arne Exner. Exner war jedoch außer Form, verschuldete Gegentore. Richter stärkte ihm öffentlich nicht den Rücken. Erst stellte er ihn infrage („Wir müssen die Trainingswoche abwarten, um zu schauen, wer im Tor steht“), brachte schließlich am achten Spieltag in Drochtersen (1:2) wieder Ceesay. Der hielt nun viel schlechter. Später verletzten sich sogar beide Keeper, mittlerweile steht Fynn Hegerfeldt im Tor.

Richters taktische Änderungen brachten nicht die Wende

Richter stemmte sich mit taktischen Änderungen gegen die Krise. Vierer- statt Dreierkette, neue Positionen für einige Spieler. Öffentlich kritisierte er seine Spieler fast nie. Doch die Pleitenserie – die Eintracht verlor zehn der letzten 13 Begegnungen - ließ sich nicht mehr nachhaltig zum Guten wenden. Das lag auch daran, dass Richters zweifellos große taktische Expertise und seine Motivationskünste aufgrund einer unglaublichen Verletztenserie einfach nicht mehr greifen konnten.

Beim Kellergipfel am Sonnabend in Oldenburg (0:2) saß mit Philipp Koch nur ein gesunder und gestandener Regionalligaspieler auf der Bank. Dem kommunikativen Coach waren durch die Personalsituation längst die Hände gebunden. Fehlendes Spielglück in Form einer Fülle von Aluminiumtreffern plus ein paar zweifelhaften Schiedsrichterentscheidungen kam dazu.

Eintracht Norderstedt: Wer wird neuer Trainer?

Will die Eintracht noch eine Chance auf den Klassenerhalt haben, benötigt sie nun sehr schnell vor allem einen neuen Sportchef mit sehr guten Kontakten. Und das nicht nur, damit dieser einen neuen Trainer (frei wären zum Beispiel Ex-St.-Pauli-II-Coach Elard Ostermann und der frühere Norderstedter Trainer Thomas Seeliger) holt, der den Karren aus dem Dreck zieht. Nötig ist eine Neustrukturierung des Kaders im Winter inklusive eines guten Händchens bei den Transfers. Simpel ausgedrückt: Nimmt die Eintracht jetzt kein Geld in die Hand, um auf einigen Positionen noch einmal Qualität zu verpflichten, dürfte der Klassenerhalt kaum erreichbar sein. Denn nur auf die Rückkehr der Verletzten und anschließende Leistungsexplosionen zu hoffen, ist keine Strategie.

Im Heimspiel gegen den SV Werder Bremen II (So., 14 Uhr, Edmund-Plambeck-Stadion) wird nun nach Abendblatt-Informationen der U-23-Coach Jörn Großkopf auf der Bank sitzen. Der 58 Jahre alte frühere St.-Pauli-II-Coach ist ein erfahrener Trainer. Es ist nur offen, wen er überhaupt einsetzen kann. Überspitzt gesagt: Wer noch laufen kann im Kader und nicht wie Innenverteidiger Yannik Nuxoll (fünfte Gelbe Karte) und Stürmer Manuel Brendel (Rote Karte) gesperrt ist, wird auf dem Feld stehen. Will man es fußballromantisch ausdrücken, könnte man die Lage daher wie folgt betrachten: Selten in seiner Vereinsgeschichte hat Eintracht Norderstedt seine Fans so sehr gebraucht wie am kommenden Sonntag.