Norderstedt. Martin Müller hat erst 2019 seine Leidenschaft für Ultra-Läufe entdeckt. Warum er die unglaublichen Strapazen auf sich nimmt.

In den 1980er-Jahren warb die Sektmarke „MM“ mit dem „gewissen Extra“. Dieses prickelnde Prädikat könnte sich auch Martin Müller aus Langenhorn anheften. Denn: Wenn für die meisten Marathonläufer nach dem Rennen im wahrsten Sinn nichts mehr geht, fängt beim 33-Jährigen der Spaß erst so richtig an.

Anlässlich der Deutschen Meisterschaft über 100 Kilometer, die Ende September in Kandel (Rheinland-Pfalz) ausgetragen wurde, belegte „MM“ in seinem ersten Straßenlauf über diese Distanz den dritten Platz und empfahl sich für höhere Aufgaben. Zwei Wochen nach der DM war es dann offiziell: Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) nominierte in Abstimmung mit der Deutschen Ultramarathon-Vereinigung (DUV) Martin Müller für die 100-Kilometer-Weltmeisterschaft, die am 7. Dezember in Bengaluru ausgetragen werden.

Ultra-Läufer: „Es geht um die Verschiebung von Grenzen“

„Ich freue mich riesig auf diesen siebentägigen Trip nach Indien. Zum einen möchte ich meine DM-Zeit unterbieten. Zum anderen strebe ich einen Platz unter den Top drei im Team an“, sagt der ehrgeizige Athlet von Hamburg Running. Die drei schnellsten Männer jeder Nation zählen für das Mannschaftsergebnis. Vor zwei Jahren belegte Deutschland den vierten Rang.

„Über 100 Kilometer kann viel passieren; vor allem bei Temperaturen jenseits von 25 Grad, die Anfang Dezember in der mit rund 14 Millionen Einwohnern drittgrößten indischen Stadt herrschen werden“, erklärt Martin Müller. Wenn der promovierte Chemiker, der in seiner Geburtsstadt Mainz an der Johannes Gutenberg-Universität studiert und anschließend die Doktorarbeit in Schottland geschrieben hat, über sein zeitaufwendiges Hobby spricht, wird die besondere Faszination der Ultra-Bewegung spürbar: „Es geht um die Verschiebung von Grenzen. Anfangs wollte ich nur wissen, wie lange ich laufen kann. Heute möchte ich herausfinden, wie schnell ich 100 Kilometer zurücklegen kann.“

Ultra-Läufer Martin Müller (33) aus Langenhorn
Während seiner Promotion an der University of Aberdeen entdeckte Martin Müller, der beim internationalen Medizingeräte-Hersteller Sysmex Europe SE in Norderstedt in der Export-Kontrolle tätig ist, die Lust an der ganz besonderen Art des Auspowerns. © Gunnar von der Geest | Gunnar von der Geest

Premierenzeit über 100 Kilometer: 7:09,23 Stunden

Seine Premieren-Zeit aus Kandel von 7:09,23 Stunden bedeutete: Martin Müller absolvierte die ersten 50 Kilometer in flotten 3:18 Stunden und musste auf der zweiten Hälfte in knapp 3:50 Stunden dem hohen Anfangstempo etwas Tribut zollen. Wer sich mal auf einen Marathonlauf (42,195 Kilometer) vorbereitet hat und eine Zielzeit von 3:30 Stunden anpeilt, weiß genau, welcher Aufwand hierfür vonnöten ist.

Der Langenhorner trainiert meist sieben Einheiten und etwa 150 Kilometer pro Woche. „Im Vergleich zum Marathon gibt es für den Ultra-Bereich recht wenig wissenschaftliche Literatur“, berichtet Henning Lenertz. Der 37 Jahre alte, hauptberufliche Redakteur des renommierten Fachmagazins „Runner’s World“ ist Martin Müllers Coach im 2016 gegründeten Verein Hamburg Running. Trainer und Athlet verbindet die Passion zum Ultra-Trail, dem herausfordernden Laufen im hügeligen Gelände.

Besondere Art des Auspowerns ist in Großbritannien sehr beliebt

Während seiner Promotion entdeckte der Naturwissenschaftler seine Freude an dieser in Großbritannien überaus beliebten Art des Auspowerns. „Martin hat als Spätstarter erst vor fünf Jahren mit dem Leistungssport angefangen, ist aber ein Ausnahmetalent. Er besitzt große Robustheit beziehungsweise Leidensfähigkeit und regeneriert sehr schnell“, sagt Henning Lenertz, der selbst bis zu 13 Stunden lange Trail-Runs absolviert hat. Auch im Unterdistanz-Bereich konnte sich Martin Müller deutlich verbessern: Beim London-Marathon im April kam der seit 2024 für Hamburg Running startberechtigte Pfälzer in starken 2:27,11 Stunden ins Ziel.

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Mit spezifischem Intervall- und auch Hitzetraining unter einer dicken Jacke bereitet sich „MM“, der beim internationalen Medizingeräte-Hersteller Sysmex Europe SE in Norderstedt in der Export-Kontrolle tätig ist, auf sein Indien-Abenteuer vor. „Ich bin meinem Arbeitgeber dankbar, dass ich für die WM fünf Tage Sonderurlaub bekomme“, sagt er. Dies könnte auch daran liegen, dass die Sysmex-Zentrale in Japan liegt und Ultra-Wettbewerbe dort einen hohen Stellenwert genießen. Bei der vergangenen WM gewann das japanische Männer-Team mit mehr als einer Stunde Vorsprung die Goldmedaille.