Henstedt-Ulzburg. Hunderte Menschen demonstrieren beim AfD-Landesparteitag in Henstedt-Ulzburg. Vier tätliche Angriffe, 34 Fälle von Landfriedensbruch.

Am Sonnabend demonstrierten einige Hundert Menschen in Henstedt-Ulzburg gegen die AfD, die das dortige Bürgerhaus zum wiederholten Male für ihren Landesparteitag nutzte. Während drinnen 270 Mitglieder der rechtsextremen Partei den Landesvorstand neu wählten, wurde draußen mit Trommeln, Pfeifen, Rasseln, Lautsprechern, Megaphonen und bunten Plakaten lautstark protestiert und skandiert: „Schämt euch!“, „Raus aus Henstedt-Ulzburg!“, „Alle zusammen gegen den Faschismus!“

Polizeikräfte sperrten mit Zäunen die Zugänge zum Bürgerhaus für die Demonstranten ab. Es ist seit fünf Jahren fast das gleiche Ritual in der Großgemeinde. Ob zur Europa-, Bundestags- oder Landtagswahl – die AfD tagt und trifft sich gern mit Funktionären und ihrer Parteiprominenz in Henstedt-Ulzburg. Und das dortige bunte Bündnis für Demokratie und Vielfalt aus Vereinen, Bürgerschaft und Gewerkschaft ruft zur Gegenkundgebung auf.

AfD-Landesparteitag: Bündnis für Demokratie und Vielfalt fühlt sich verschaukelt

Diesmal fühlten sich die Gegendemonstranten von der Polizei verschaukelt, wie Mitorganisatorin Britta de Camp-Zang erklärte. So hätten sie den genauen Ablauf der Demonstration noch am Dienstag mit dem örtlichen Ordnungsamt, dem Kreis Segeberg und der Polizei abgesprochen, dass sie an der Jahnstraße Spalier stehen dürften, um die AfD-Mitglieder auf dem Weg zum Bürgerhaus zu empfangen. Anschließend sollten sie über die Beckersbergstraße hinter das Bürgerhaus ziehen, wo sie eine kleine Kundgebung abhalten wollten.  

Aber nur der zweite Teil gelang – das ärgerte sich Britta de Camp-Zang und ihre Mitveranstalter. Denn die AfD-Mitglieder erreichten völlig unbehelligt über die Straße Zum Park, die Olivastraße und danach den Sportplatz das Bürgerhaus, ohne den Demonstranten zu begegnen. Der Versuch, näher an den Sportplatz heranzukommen, scheiterte am Widerstand der Polizei. „Wir wollten für die AfD hörbar und sichtbar sein“, sagte de Camp-Zang, enttäuscht darüber, dass die Behörden die Absprache missachtet hätten. „So waren wir nur hörbar für sie.“ Sogar die Absperrgitter am Bürgerhaus waren mit Folien verhängt worden; damit wurde verhindert, dass die Demonstranten von den AfD-Mitgliedern im Bürgerhaus gesehen werden konnten.

Polizei sorgt für strikte Trennung von Demonstranten und Parteimitgliedern

Polizeisprecher Michael Bergmann von der Polizeidirektion Bad Segeberg widersprach dieser Darstellung. Es habe diese Absprache in der Form nicht gegeben, sagte er. Aber durch die strikte Trennung der Demonstranten von den Parteimitgliedern sei dafür gesorgt gewesen, „dass der Protest friedlich über die Bühne gehen“ könnte. Vielleicht spielte hierbei auch eine Rolle, dass am Abend zuvor ein Buttersäureanschlag im Bürgerhaus verübt worden war, der die Herrentoilette unbrauchbar machte, wie AfD-Landesvorsitzender Kurt Kleinschmidt auf dem Podium später beklagte.

Mit Rasseln, Trommeln, Trillerpfeifen und lautstarken Rufen sowie eindeutigen Plakaten versuchten die Demonstranten, sich durch den Sichtschutz Gehör zu verschaffen.
Mit Rasseln, Trommeln, Trillerpfeifen und lautstarken Rufen sowie eindeutigen Plakaten versuchten die Demonstranten, sich durch den Sichtschutz Gehör zu verschaffen. © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

Möglicherweise hatte dies die Polizei am Sonnabendvormittag kurzfristig dazu veranlasst, von vornherein jegliche Begegnung beider Seiten zu unterbinden. Auch die Zufahrt von der Jahnstraße zum Bürgerhaus blieb von der Polizei abgesperrt, wo sich getrennt vom Bündnis ein Demonstrationszug mit etwa 100 Teilnehmern der Hamburger Antifa-Gruppe befand. Dort kam es dann auch zu einigen tätlichen Angriffen der vermummten Teilnehmer auf Einsatzkräfte, wie die Polizei nach Beendigung der Demonstration berichtete.

Strafverfahren wegen vier tätlicher Angriffe und 34 Fällen von Landfriedensbruch

So versuchte eine Personengruppe aus der Versammlung heraus im Bereich der Reumannstraße/Jahnstraße eine Polizeikette zu durchbrechen. „Hier kam es zu körperlichen Angriffen mittels körperlicher Gewalt auf Polizeivollzugsbeamte“, so der Polizeisprecher. „Nach entsprechenden Personalienfeststellungen vor Ort erhielten alle Personen Platzverweise und wurden im Anschluss wieder aus den polizeilichen Maßnahmen entlassen.“ Nach bisherigem Erkenntnisstand leitete die Polizei Strafverfahren wegen vier tätlicher Angriffe auf Vollstreckungsbeamte sowie 34 Fälle von Landfriedensbruch ein und sprach eine mittlere zweistellige Anzahl an Platzverweisen aus.

Dass ihre Gemeinde immer wieder unfreiwilliger Gastgeber der AfD-Veranstaltungen ist, wollen einige der Demonstranten nicht mehr hinnehmen. „Das ist mir völlig unverständlich“, sagte der Grünen-Kreistagsabgeordnete Kurt Göttsch, der auch schon im Henstedt-Ulzburger Gemeinderat saß. „Die bräuchten doch nur zu beschließen, dass im großen Saal des Bürgerhauses keine Parteiveranstaltungen mehr sein dürfen. Und schon wäre der Spuk vorbei“, sagte er.

Neubürger Hartmut Jensen (l.) und der Kreistagsabgeordnete Kurt Göttsch fordern den Gemeinderat auf, endlich etwas gegen die alljährlichen Treffen der AfD in Henstedt-Ulzburg zu unternehmen.
Neubürger Hartmut Jensen (l.) und der Kreistagsabgeordnete Kurt Göttsch fordern den Gemeinderat auf, endlich etwas gegen die alljährlichen Treffen der AfD in Henstedt-Ulzburg zu unternehmen. © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

Großgemeinde ist immer wieder unfreiwilliger Gastgeber von AfD-Veranstaltungen

Zumindest sollten die nicht im Rat vertretenen Parteien, zu denen die AfD in Henstedt-Ulzburg gehört, vom Bürgerhaus ausgesperrt bleiben, sagte Neubürger Hartmut Jensen, der aus Schwabstedt bei Husum, wo er ehrenamtlicher Bürgermeister war, nach Henstedt-Ulzburg gezogen ist. „Ich habe das schon mehrfach vor der Gemeindevertretung angeregt, aber immer nur zu hören bekommen, unsere Demokratie müsse das aushalten.“ Er werde dies am Dienstag, 26. November, auf der nächsten Gemeinderatssitzung erneut fordern.

Doch ganz so einfach sei das nicht, sagte Henstedt-Ulzburgs Bürgervorsteher Henry Danielski (CDU) auf Abendblatt-Nachfrage: „Wir haben schon alles ausprobiert, sind aber vor dem Verwaltungsgericht mit unserer Fordrung nach einem AfD-Verbot gescheitert.“ Die Argumentation, dass durch die AfD im Ort eine Gefährdung der Sicherheit ausgelöst werden könnte, habe das Gericht nicht nachvollziehen können, erklärte Danielski. Auch wenn vor vier Jahren am Ende einer AfD-Veranstaltung im Bürgerhaus mehrere Gegendemonstranten von einem AfD-Anhänger angefahren und verletzt worden seien. Der seinerzeit 19-Jährige ist vor einem Jahr vom Landgericht Kiel zu drei Jahren Haft verurteilt worden.

„Zunehmende Verschiebung des politischen und gesellschaftlichen Koordinatensystems nach rechts“

Für die AfD sei Henstedt-Ulzburg ein beliebter Versammlungsort, weil er zentral in Schleswig-Holstein liege und es „gar nicht so einfach ist, entsprechende Räumlichkeiten zu mieten“, sagte der Segeberger AfD-Kreisvorsitzende Julian Flak dazu auf Abendblatt-Nachfrage im Bürgerhaus. Und der Landesvorsitzende Kleinschmidt betonte auf dem Podium: „Henstedt-Ulzburg ist die einzige Möglichkeit, unsere Versammlungen sicher und bezahlbar zu machen.“ Kleinschmidt, der aus Leck in Nordfriesland kommt, wurde mit 54,4 Prozent der Stimmen in seinem Amt bestätigt; er setzte sich im ersten Wahlgang gegen zwei andere Bewerber durch. Kurios: 55 Parteimitglieder (19,4 Prozent) stimmten für keinen der drei Kandidaten.

Auf der Kundgebung der Demonstranten warnte Marc Czichy von der KZ-Gedenkstätte Kaltenkirchen in Springhirsch vor der „zunehmenden Verschiebung des politischen und gesellschaftlichen Koordinatensystems nach rechts“, die überall zu spüren sei. Darum „ist es wichtiger denn je, dass wir so viele sind.“ Die bürgerliche Gesellschaft dürfe nicht zulassen, dass Rechtsextreme „zentrale Prinzipien und Werte der demokratischen Gesellschaft“ angreifen könnten.

AfD-Landesvorsitzender Kurt Kleinschmidt:  „Henstedt-Ulzburg ist die einzige Möglichkeit, unsere Versammlungen sicher und bezahlbar zu machen.“
AfD-Landesvorsitzender Kurt Kleinschmidt:  „Henstedt-Ulzburg ist die einzige Möglichkeit, unsere Versammlungen sicher und bezahlbar zu machen.“ © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

Das gelte insbesondere auch für die  Erinnerungskultur an die NS-Verbrechen, die Leute wie der thüringische AfD-Landesvorsitzende Björn Höcke „um 180 Grad“ drehen möchten. Dies führe zu einem „erinnerungskulturellen Klimawandel“, wie sein Kollege Jens-Christian Wagner von der KZ-Gedenkstätte Buchenwald beklage, so Czichy.

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„Zu diesem Klimawandel trägt auch die AfD in Schleswig-Holstein bei. Neben der rassistisch und antisemitisch aufgeladenen Hetze gegen Menschen mit Migrationsgeschichte und gegen Geflüchtete, die ja praktisch zum Grundkanon der Partei gehören, hat die schleswig-holsteinische AfD – auch hier in der Region – immer wieder NS-Massenverbrechen relativiert und für eigene politische Zwecke instrumentalisiert.“ Wer wie die AfD den demokratischen Konsens angreife, „muss mit unserem schärfsten Widerstand rechnen“, sagte Czichy unter großem Applaus der Demonstranten.

„Man muss Farbe bekennen und ein Zeichen gegen rechts setzen. Das ist wichtig“, befand auch Taute Horeis, die in Henstedt-Ulzburg bislang an fast jeder Anti-AfD-Demo teilgenommen hat.