Kreis Segeberg. Die Norddeutsche ist eine der bekanntesten Frauen der Bewegung gegen den Klimawandel. Ein Gespräch über Mut, Angst, Kompromisslosigkeit und Hoffnung.
- Miriam Meyer ist eine der bekanntesten Aktivistinnen der Letzten Generation
- Sie klebte sich auf Straßen fest, besetzte die Uni Hamburg und besprühte Privatjets auf Sylt
- Im Gespräch spricht sie nun über Mut, Ängste – aber auch über ihre Hoffnung
Irgendwann, wenn die Klimakatastrophe alle Kontinente der Erde im Würgegriff halte, dann würden sich die Menschen rückblickend fragen, warum sie jene Warner, die 2024 laut geschrien hatten, Staus provozierten und Privatjets ansprühten, in den Knast warfen, nur weil man deren Appelle nicht hören wollte. Eine Prophezeiung, von der die Klimaaktivistin Miriam Meyer (32) von der Letzten Generation zutiefst überzeugt ist. Aber auf eine späte Genugtuung in 30 Jahren kann sie verzichten.
Deswegen setzt sie ihre Lebensplanung, ihre persönliche Zukunft, all ihre Wünsche und privaten Träume aufs Spiel und versucht aufzuhalten, was ihr zunehmend unaufhaltsam scheint. Sie protestiert seit 2020 hauptberuflich. Für die Letzte Generation und das Ziel, dass Gesellschaft und Regierung endlich der Wissenschaft zuhören und handeln.
Wer ist diese Miriam Meyer aus Nehms im Kreis Segeberg? Eine Annäherung.
Letzte Generation: Miriam Meyer opfert eigene Zukunft für Kampf gegen Klimawandel
Sozialisiert im kleinen Örtchen Nehms, nördlich von Bad Segeberg, wuchs sie in einer Familie auf, in der sich die Eltern für Amnesty International engagierten. Als sie zwölf Jahre alt ist, reist sie mit ihnen nach Tibet und lernt Land und Menschen dort lieben. Gleichsam erfährt sie, was Unfreiheit ist, wie China die Tibeter und ihre Kultur unterdrücken. Danach ist Miriam Meyer klar, dass sie als Menschenrechtsaktivistin arbeiten will. Sie will Tibetisch lernen und studiert Tibetischen Buddhismus bis zum Bachelor.
Und dann kam Greta Thunberg. „In der Grundschule hatte ich gelernt, es gibt den Treibhauseffekt, die Erde wird wärmer, das ist ein Problem. Aber erst in 100 Jahren. Und bis dahin werden sich die Wissenschaft und die Regierung schon kümmern. Völlig klar. Und das ging kaputt mit Greta. Und ich stellte fest: Es hat sich einfach keiner drum gekümmert!“, sagt Meyer. Sie begriff: Die Klimakrise ist größer als alles andere Menschengemachte. Nicht nur für die Rechte der Tibeter, sondern die aller Menschen wollte sie fortan kämpfen.
Uni-Besetzung, Öl-Pipeline zugedreht, Privatjet mit Farbe besprüht: Letzte Generation erregt Aufsehen
„Manche sagen, ich bin so mutig. Aber ich finde es eher mutig, in die Klimakatastrophe zu gehen, mit der Einstellung, das wird schon, Vollgas! Nichts zu tun, ist viel mutiger.“ Über die Hungerstreiks, mit der die Letzte Generation ein Gespräch mit Kanzler Olaf Scholz erpressen wollte, wurde Miriam Meyer auf die Klimaaktivisten aufmerksam und schloss sich ihnen an. Das Master-Studium, den Job an der Uni – alles opfert sie dem zivilen Widerstand. Mittlerweile ist sie eines der bekanntesten Gesichter der Organisation. Weil Meyer wie keine andere kompromisslos Straftaten mit Klimaprotest verbindet.
Sie klebte sich auf Straßen fest, sie besetzte die Uni Hamburg, sie besprühte einen Privatjet auf Sylt mit Farbe, sie pflanzte Blumen auf einem Sylter Golfplatz, sie drehte Öl-Pipelines zu, löste Feueralarm im Berliner Verkehrsministerium aus oder ließ Luftballons auf dem Rollfeld des Berliner Flughafens steigen.
Letzte Generation: Schock-Urteil für Miriam Meyer – 16 Monate Haft
„Ich sehe mich in der Verantwortung zum Protest. Die Regierung sollte sich an ihre eigenen Gesetze halten. Es sterben Menschen, wenn die das nicht tun“, sagt Meyer. In nicht-demokratischen Ländern würden KlimaaktivistInnen erschossen, wenn sie diesen Widerstand leisten würden. „Ich bin nur für mich selbst verantwortlich, habe keine Kinder und keine Familie, um die ich mich kümmern müsste. Ich habe kein Argument, warum es jemand dringender machen müsste als ich.“
Ihre Kompromisslosigkeit brachte ihr vier rechtskräftige Urteile ein, sie ist vorbestraft. In Berlin wurde sie unlängst in einem aufsehenerregenden Prozess zu 16 Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt, wegen Straßenblockaden und dem Beschmieren der Fassade eines Luxus-Geschäftes und des Verkehrsministeriums. Die Berufung läuft, Ausgang unbekannt.
Prozess Landgericht Flensburg: Miriam Meyer hat Angst
Der bislang größte und wichtigste Prozess in ihrem Leben steht in Flensburg an. Zwar gibt es noch keinen Termin. Aber die Staatsanwaltschaft hat Klage erhoben gegen Miriam Meyer aufgrund von sieben Taten, unter anderen jenen auf Sylt, ein Schaden im vier- bis siebenstelligen Eurobereich sei entstanden. Und sie will Meyer nach § 129 des Strafgesetzbuches wegen der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung verurteilt sehen.
Folgt das Landgericht Flensburg der Anklage, würde Miriam Meyer erneut Haft drohen, bis zu fünf Jahre. Die Letzte Generation würde als kriminelle Vereinigung eingestuft, könnte von staatlichen Behörden intensiv überwacht werden, inklusive Telefone abhören, Briefe öffnen, Räume verwanzen, Mails anzapfen, Observierung und dem Einschleusen von V-Leuten.
Ein ähnlicher Prozess steht fünf Aktivisten der Letzten Generation vor dem Landgericht Neuruppin demnächst bevor. Aber in Flensburg sitzt Miriam Meyer ganz alleine. Und sie hat große Angst vor dem Verfahren. „Ich muss erst mal klarkommen mit dem Fakt, ein Urteil von 16 Monate Haft bekommen zu haben. Dazu kommen nun meine Ängste wegen des Prozesses in Flensburg“, sagt sie. „Ich weiß nicht, wann er stattfindet und was dabei herauskommen wird. Für die nächsten Jahre kann ich nichts planen, weil ich keine Macht mehr über mein Leben habe.“ Die Vorbereitung der Prozesse frisst all ihre Zeit und Aufmerksamkeit.
„Mafia-Paragraf 129“: Ist Meyer Teil einer kriminellen Vereinigung?
An Protestaktionen sei schon lange nicht mehr zu denken. Aber andere protestieren jetzt für sie. Gerade hat Meyer gemeinsam mit ihrem Vater etwa 130 empörte Stellungnahmen gegen den Prozess von Unterstützerinnen und Unterstützern im Flensburger Gericht abgegeben.
Dass der Rechtsstaat mit dem sogenannten „Mafia-Paragraf“ auf sie abziele, dem vielleicht stärksten Geschütz der Justiz, das wollen Meyer und die Letzte Generation nicht akzeptieren. „Ich finde es für unsere Demokratie ziemlich gefährlich, dass dieser Paragraf in unserem Fall überhaupt in Erwägung gezogen wird. Für mich persönlich ist es beängstigend, weil ich alleine angeklagt bin.“
Der § 129 werde auf ihren „friedlichen Protest“ angewendet und „deutlich harmlosere Straftaten“ als jene, die bislang mit ihm abgeurteilt wurden, also etwa die Taten der Mafia, anderer organisierter Krimineller oder gewalttätiger, rechtsradikaler Gruppierungen. „Schwierig finde ich das vor allem, weil das einen Abschreckungseffekt hat. Menschen, die sich trauen, friedlich zu demonstrieren, merken: Wenn ich das tue, droht mir diese Strafverfolgung. Das ist ein Zeichen, das wir in der Demokratie auf keinen Fall setzen wollen. Wir brauchen Protest und Menschen, die sich trauen, zu demonstrieren und nicht aus Angst vor Repression das nicht machen“, sagt Meyer.
Meyers Rechtsverständnis: „Strafverfolgung unangebracht!“
Was aber ist ihr Rechtsverständnis? Ist es der Machiavellismus? Heiligt der Zweck die Mittel? „Aus meiner Sicht ist Strafverfolgung im Ganzen bei uns überhaupt nicht angebracht. Es trifft die völlig Falschen. Ich mache es ja nicht für mich, ich habe keinen Gewinn daraus, außer mein gutes Gewissen“, sagt Meyer.
Sie beansprucht für sich den Paragraf 35, den Entschuldigenden Notstand. Der besagt: „Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit eine rechtswidrige Tat begeht, um die Gefahr von sich, einem Angehörigen oder einer anderen ihm nahestehenden Person abzuwenden, handelt ohne Schuld.“ Das umschreibt ziemlich genau Meyers Definition von Klima-Notstand. „Im Übrigen wäre die angemessene Bewertung meiner Taten, wenn die Regierung mal darüber nachdenkt, was sie da eigentlich macht.“
Lesen Sie auch
Naiv ist Meyer indes nicht „Natürlich gehe ich nicht davon aus, dass ich straffrei davonkomme, wenn ich Farbe an einen Privatjet schmiere. Aber der Privatjet verbraucht bei einem Flug so viel CO₂, wie ich in einem Jahr. Und da frage ich mich, was die größere Straftat ist.“
Zivilen Widerstand gab es in allen Epochen
Miriam Meyer sieht sich in ihrem zivilen Widerstand ganz in der Tradition vieler anderer Aktivisten der letzten Jahrhunderte. Sie erinnert an die Suffragetten, jene mutigen Frauen, die Anfang des 20. Jahrhunderts für die Gleichberechtigung der Frau kämpften: „Ohne diesen zivilen Widerstand hätte ich als Frau zum Beispiel kein Wahlrecht. Und die Frauen damals waren viel gewaltbereiter als die Letzte Generation, sie warfen Scheiben ein, machten viel kaputt. Auch sie wurden teilweise ins Gefängnis geworfen. Was rückblickend absolut falsch war, weil sie für etwas Selbstverständliches demonstriert haben.“
Meyer steckt also in einer Art Protest-Märtyrertum. Sie glaubt nicht an die Alternativen zum zivilem Widerstand und der bewussten Grenzüberschreitung. „Fridays for Future haben es ja ausprobiert. 1,4 Millionen Menschen haben sie auf die Straße gebracht. Und Ergebnis war ein Klimapaket der Regierung, das verfassungswidrig war“, sagt Meyer. Und der Weg durch die Parlamente, das Engagement in der Politik? „Geht das überhaupt noch mit meinen Vorstrafen? Ich will da aktiv sein, wo ich am meisten bewirken kann.“ Dafür nimmt sie als kompromisslose Aktivistin auch die ganze Ablehnung in Kauf, die ihr entgegenschlägt.
Meyer trifft auf Hass, Häme und jede Menge Wut
Die allermeisten, selbst jene, die den Klimawandel nicht weniger gefährlich sehen als Meyer, ärgert es gewaltig, dass sich hier jemand als moralisch überlegen sieht und Straftaten als legitimes Mittel des Protestes umdefiniert. Boulevard-Medien beschimpften Meyer als „Klima-Kriminelle“, die weggesperrt gehört, in Sozialen Netzwerken erreichen die Kommentare eine erschreckend verachtende und hetzende Hass-Qualität. Nicht wenige Menschen geraten ob der Taten von Miriam Meyer und ihrer Gleichgesinnten in einen Wutrausch.
„Ich gehe nicht davon aus, dass uns alle Menschen hassen“, sagt Meyer. „Als wir auf der Köhlbrandbrücke die Straße blockiert haben und es regnete, da stieg ein Lastwagenfahrer im Stau aus dem Auto und legte mir seine Jacke um, andere bedanken sich oder bringen Kekse vorbei. So was passiert ständig. Aber wenn einer von uns in den Bauch getreten wird, geht das mehr herum.“
Unbeirrt in ihrem Engagement für die Letzte Generation
Widerstände zerschellen an Meyers fester Überzeugung. „Klar: Ich kann nur geben, was ich kann. Es kann sein, dass ich den Punkt erreiche, an dem ich merke, ich kann einfach nicht mehr. Aber ich glaube nicht, es jemals rechtfertigen zu können zu sagen, ich höre jetzt auf mit dem Aktivismus, ich habe meinen Teil beigetragen. Es sterben Menschen im Klimawandel. Ich könnte Menschen in Bangladesch, die ertrinken, nicht sagen: Also, ich habe jetzt zwei Jahren alles versucht und jetzt habt ihr Pech gehabt. Zwar ist das alles nicht meine Verantwortung, die müsste die Regierung übernehmen, aber sie tut es nicht.“
Die Regierung könnte Gesetze erlassen, sagt Meyer. Gegen alles, was das Klima gefährdet und die Grundlagen des Lebens auf der Erde. „Die Gesetze können dann alle kacke finden. Aber die Anschnallpflicht haben wir auch alle akzeptiert und das letzte Mal, dass sich eine Person darüber aufgeregt hat, dass sie in einer Kneipe nicht rauchen darf, ist jetzt auch schon eine Weile her. Wir haben eine Verfassung, die das vorgibt. Wir haben das Pariser Klimaschutzabkommen, ein Grundgesetz.“
Klimaaktivistin Miriam Meyer: „Grundsätzlich pessimistisch“
Grundsätzlich hat sie den Glauben an die Menschheit und ein Umdenken fast verloren: „Ich dachte, die Ahrtalflut ändert einiges. Hat sie aber nicht. Ich bin pessimistisch, was die Zukunft angeht. Die Kipppunkte beim Klima fallen, die 1,5 Grad können wir nicht erreichen. Wir können nur den Schaden in Grenzen halten.“ Ihre letzte Hoffnung sei, dass Gesellschaften angesichts größerer werdender Wetterkatastrophen in eine gute Richtung kippen könnten. „Dann müssten die Regierungen nachziehen.“
Am 11. November steht nun der nächste Prozess in Hamburg an. „Wegen der Besetzung der Uni. Ich saß auf einem Vordach, mit einem Banner.“ Vor Amtsgerichten verteidigt sie sich selbst. Das macht die Erfahrung. Beim kommenden Prozess in Flensburg werden ihr zwei Pflichtverteidiger gestellt. Denn bezahlen könnte sie einen rechtlichen Beistand nicht. Miriam Meyer lebt von Bürgergeld. Ihren Job an der Uni und Mindestlohn-Tätigkeiten bei der Letzten Generation hat sie aufgeben. „Ich bin an dem Punkt, an dem ich gar kein Geld mehr habe und sehen muss, wie ich mich in Zukunft aufstelle.“
Das tut sie derzeit in Leipzig in einem kleinen WG-Zimmer. „Ich bin froh, dass ich keinen Kinderwunsch habe“, sagt Miriam Meyer. „Wenn ich Eltern mit jungen Kindern sehe, frage ich mich: Machen die sich Gedanken, reden die über die Klimakatastrophe? Das muss furchtbar sein.“