Norderstedt. Wohin mit dem betagten Kaffeeservice? In Norderstedt handelt eine Familie seit 20 Jahren erfolgreich mit alten Serien.
- Patricia Drosdatis gründete den Laden vor mehr als 20 Jahren.
- Die Geschäftsführung macht mittlerweile ihr Sohn Simon, zusammen mit Geschäftspartner.
- Es begann mit Einkäufen auf Flohmärkten und dem Verkauf der Dinge auf eBay.
Die Teller sind alt. Sie sind blau bemalt. Und sie erzählen gleich zwei Geschichten. Die eine ist die ihrer Motive: Auf den Esstellern ist ein winkender Mann neben einem Reh vor einer Flusslandschaft abgebildet, auf den Suppentellern eine Frau mit einem Kind vor einem Berg hoch über dem Fluss. Die andere ist die der eigenen Kindheit: vom Eintopf, der aus den tiefen Tellern gelöffelt wurde, und Pfannkuchen, Sahnehering oder gebratener Blutwurst auf den flachen Tellern. Es war unser Alltagsservice. Damals, in den Achtzigern.
Teller voller Erinnerungen. Jetzt gehören sie mit zu einem Nachlass aus kitschigen Sammeltassen, pummeligen Putten auf goldenen Kugeln neben anorektisch anmutenden Sonnenkindern und einem zwölfteiligen Hutschenreuther-Service namens Maria Theresia Coburg – immer nur an Festtagen benutzt und immer mit dem Satz: „Dafür bekommst du später mal viel Geld.“ – Doch stimmt das?
Norderstedt: Altes Porzellan online bei alteserien.de verkaufen
Der Blick ins Internet ist ernüchternd, abgesehen vom Sonnenkind, das um die 100 Euro gehandelt wird, hat das einst als Wertanlage gesammelte Porzellan kaum noch Wert. Irgendwann stößt man auf alteserien.de, eine Online-Porzellanbörse im Internet. Einfach auf Ankauf klicken, die einzelnen Teile eingeben, absenden und abwarten. Nach wenigen Stunden die Antwort, allerdings auch da ein geringer Kaufpreis. Aber immerhin weiß man, was gezahlt wird, kann das Porzellan bundesweit an Annahmestellen abgeben oder kostenlos versenden. Danach wird der Kaufpreis überwiesen.
Wer in und um Norderstedt wohnt, hat es in diesem Fall besonders einfach, denn alteserien.de sitzt an der Segeberger Chaussee 142 und hat seit neuestem sogar einen eigenen Showroom, in dem man Neuware zu günstigen Preisen und bestellte Gebrauchtware kaufen kann. Von der Decke baumeln Tassen, in den Regalen stehen Neuheiten von Rosenthal und irgendwo wuselt Rauhaardackel Wastl herum, immer in der Nähe seines Frauchens Patricia Drosdatis.
Die hat den Laden vor mehr als 20 Jahren gegründet und ist heute nur noch via Mini-Job mit an Bord. In der Geschäftsführung ist ihr Sohn Simon, gemeinsam mit seinem alten Schulfreund Chris Hartmann. Hört man den beiden zu, wie sie die Geschichte des Unternehmens erzählen, hat man das Gefühl, dass das eine Geschichte von frühzeitig erkannten Trends, genutzten Chancen und mutigen Entscheidungen ist.
Mit eBay fing alles an
Den Start machte Patricia Drosdatis, die eBay für sich entdeckte, kurz nachdem es im Sommer 1999 die deutsche Auktionsplattform alando.de übernommen hatte. Zunächst nutzte sie eBay, um alte Kindersachen zu verkaufen. Dann fand die Speditionskauffrau Gefallen am Handel mit alten Dingen, kaufte auf Flohmärkten ein und setzte die Sachen erneut auf eBay.
Nach und nach spezialisierte sie sich auf Musikinstrumente und Porzellan, später nur noch auf Porzellan, denn sie stellte fest, dass es bei den Kunden ein Geben und Nehmen gab: Wer Porzellan verkaufen möchte, hat meistens ein ganzes Service davon im Schrank, wer ankaufen möchte, fragt eher Einzelteile nach. „Es machte Sinn, große Posten aufzukaufen und einzeln wieder zu verkaufen“, erzählt Simon Drosdatis, der heute 38 Jahre alt ist und damals noch ein Teenager war.
Vom Gartenhaus in Norderstedt, über Schweineställe bis hin zur professionellen Lagerhalle
Zuerst standen die Sachen in Norderstedt im Gartenhaus, doch das platzte irgendwann aus allen Nähten. „Zuerst hat meine Mutter von Zuhause aus gearbeitet, ab 2003 in ihrem ersten Büro in der Rathausallee. Zwei Jahre später zog sie nach Henstedt-Ulzburg in das kanadisches Holzhaus auf den Rhen, wo sie recht lange blieb.“ Und genau wie einige Jahre zuvor bei eBay war Patricia Drosdatis auch wieder eine Pionierin, als es um die ersten Online-Shops ging. Sie setzte auf Shop-Systeme und bot die Ware außerdem in einem kleinen Ladenlokal an. Als mehr Fläche benötigt wurde, mietete sie etwas auf einem nahegelegenen Bauernhof an, später dann riesige Schweineställe an der Schlei.
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Da es in den ersten Jahren noch nicht alle Informationen im Internet gab, kaufte sich Patricia Drosdatis Bücher über Porzellan und las sich ein enormes Fachwissen an. Wann gab es welche Serie? Welche Zeichen unter Tassen und Tellern stehen für welches Unternehmen? Sie klassifizierte die einzelnen Serien, legte alles im Shop-System an. Eine Arbeit, von der ihr Sohn Simon Drosdatis bis heute profitiert. 2015 steigt er nach einem BWL-Studium Vollzeit mit ins Unternehmen ein, setzt ganz auf den Online-Handel und startet den Relaunch des Online-Shops. Zwei Jahre später mietet er 1000 Quadratmeter Lagerfläche an der Schlei an - professionelle Hallen statt Schweineställe.
Unternehmen hat 17 Mitarbeitende – sieben arbeiten in Norderstedt
Läuft ja auch ohne sie, denkt sich Patricia Drosdatis und zieht sich aus dem Unternehmen weitestgehend zurück. Dafür kommt Chris Hartmann als weiterer Geschäftsführer mit an Bord. Er war nach einem Studium im Bereich Wirtschaftsingenieurwesen bei der Otto-Gruppe spezialisiert auf Handel und Logistik. „Das Know-how, was die Produkte angeht, liegt klar bei Simon“, sagt er. Doch die Themen Logistik und E-Commerce sind inzwischen ebenso wichtig und ganz klar sein Part. Insgesamt 17 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat das Unternehmen inzwischen, zehn davon im Großlager in Kappeln an der Schlei und sieben in Norderstedt, wo das Team 2023 die neuen Räume an der Segeberger Chaussee bezogen und dort gleich einen Showroom mit Neuware eröffnet hat.
In den Regalen oben stehen seitdem zeitlos elegante Service des Herstellers Rosenthal, die auch über den neu gegründeten Neuware-Online-Shop vitrusa.com bestellt werden können. „Porzellan hat viel mit Emotionen zu tun“, sagt Chris Hartmann, „deshalb wollen viele Leute, die ihr altes Porzellan bei uns abgeben, sich entweder neues, moderneres Porzellan kaufen oder einfach ein schönes Erinnerungsstück mitnehmen, das für die alte Zeit steht, zum Beispiel eine schöne Vase.“
Außerdem sei Porzellan ein sehr haptisches Produkt, findet Simon Drosdatis: „Das habe ich bemerkt, als ich mir selber ein gutes Service zulegen wollte. Es macht schon einen Unterschied, wenn man es berühren kann. Nur machen leider in letzter Zeit viele Porzellan-Fachgeschäfte zu. Daher unsere Idee eines Showrooms, in dem man die Neuware kaufen kann.“
„Bares für Rares“ hätte grundlos Hoffnung geweckt
Und was ist mit den alten Schätzen? Den angeblichen Wertanlagen? Simon Drosdatis: „Vieles wurde früher tatsächlich als Wertanlage verkauft, nur hatte man damals nicht auf dem Schirm, dass diese ganze Konkurrenz aus Asien günstiger produzieren kann. Früher gab es ja nur handgefertigtes Porzellan. Es gab hunderte Manufakturen in Deutschland und jede Familie hatte etwas Vernünftiges zu Hause. Manches davon hat ein Vermögen gekostet.“
Das beste Beispiel seien noch immer die Sammeltassen und Sammelteller: „Die wurden in den 1950er-Jahren teilweise für hundert Mark das Stück gekauft. Da zahlen wir heute, wenn wir sie überhaupt kaufen, 50 Cent im Einkauf und verkaufen sie wieder für fünf oder sechs Euro. Eine einfache, aber beliebte Tchibo-Tasse kann da mehr wert sein.“ Gerade TV-Sendungen wie „Bares für Rares“ seien da keine Hilfe gewesen, sondern hätten grundlos Hoffnungen geweckt.
Porzellan und Service: Rund 120.000 Waren gehören zu alteserien.de
Unter dem Showroom in Norderstedt gibt es noch ein kleines Lager. Regale voller Porzellan. Rosenthal, kpm berlin, Meißen, Fürstenberg, Villeroy und Boch. Zählt man die Lagerflächen in Kappeln mit, sind es rund 120.000 Waren, knapp 10.000 Serien von ungefähr 700 unterschiedlichen Herstellern. „Am ältesten sind die Jugendstilsachen. Sehr opulent, sehr besonders“, erklärt Simon Drosdatis. „Später kamen Trends wie Rusticana und Burgenland. Außerdem Serien mit Goldrand, die dann den Spülmaschinen zum Opfer fielen.“ Diese und viele andere Tatsachen rund ums Porzellan erzählt auf der Homepage der Blog Tischgeschichten.
„Wer für sein altes Porzellan den bestmöglichen Preis erzielen möchte, muss natürlich selber Zeit und Geld investieren, Listenfotos machen, es zum Beispiel auf Kleinanzeigen stellen, verhandeln, verkaufen, alles verpacken, aufs Geld warten. Da können wir nicht gegenhalten, denn wenn jemand unsere Arbeit macht, bekommt er natürlich auch mehr Geld. Es gibt viele Kundinnen und Kunden, die das probieren, viele kommen dann aber doch wieder zu uns, denn wir bieten eine einfache Möglichkeit, jederzeit etwas zu verkaufen“, erklärt Simon Drosdatis.
Und zu kaufen! Denn im Falle des alten Burgenland-Porzellans daheim im Schrank gab es jetzt die Entscheidung: Es darf wieder auf den Tisch! Ankauf statt Verkauf. Schließlich gibt es dazu auf alteserien.de all die fehlenden Teile zum Nachkaufen. Dessertschalen mit Burgmotiv, Fleischplatten mit Angler, Frühstücksteller mit Waldarbeiter …