Norderstedt. Folgen von Teilsperrung der Willy-Brandt-Schule: Stadt erwägt, Standort Aurikelstieg zu reaktivieren. Doch Entscheidung wird vertagt.
- Stadt Norderstedt erwägt, die gesamte Grundschule Lütjenmoor umzuquartieren
- Neuer Standort wäre für mindestens ein Schuljahr der Aurikelstieg
- Willy-Brandt-Schule könnte Grundschulräume am Lütjenmoor nutzen
Die Schul-Landschaft in Norderstedt ist in großer Unruhe. Denn die Nachricht, die sich Mitte vergangener Woche rasant verbreitete, sorgt seitdem für viele Diskussionen in den Familien, bei Kindern, Jugendlichen, Lehrkräften – und zudem für einiges an Kopfzerbrechen im Rathaus. Kurzfristig musste ein Teil der Willy-Brandt-Schule im Lütjenmoor komplett gesperrt werden. Jetzt wird unter Hochdruck nach einer Lösung gesucht, damit der Unterricht wieder vernünftig ablaufen kann.
Nur: Die offenbar favorisierte Idee sorgt für Empörung. Denn angedacht ist, die Grundschule Lütjenmoor komplett auszulagern, und zwar in die alte Horst-Embacher-Schule im Aurikelstieg. Dann wäre es möglich, dass die Willy-Brandt-Schule an ihrem Standort bleibt. Hier könnten die Kinder und Jugendlichen zeitweise die Räume der Grundschule nutzen.
Norderstedt: Eltern empört über Umzugspläne für Grundschule Lütjenmoor
Bei den Eltern kommt dieser Vorschlag überhaupt nicht gut an. Christiane Rehländer, Mutter einer Viertklässlerin und Vorstand im Schulverein, sagt gegenüber dem Abendblatt, dass sie dies „überhaupt nicht nachvollziehen“ könne. „Da sollen Kinder, noch dazu einer aufgrund der hohen Heterogenität gerade erst zur ,Perspektivschule 2034‘ gekürten Grundschule, ihre gewohnte Umgebung verlassen. ,Ihre‘ Klassenräume, die sie mit viel Herzblut teilweise über Jahre geschmückt haben, aufgeben. Schulanfänger, die gerade angekommen sind, wieder verpflanzt werden, in ein trostloses Gebäude, das ja nicht grundlos leersteht.“
Sie nennt weitere Gründe, warum der Umzug falsch wäre. „Viele kommen mit der U-Bahn zur Schule und gehen eigenständig durch den Park zur Schule – zum Aurikelstieg ist das nicht möglich. Mal ganz abgesehen davon, dass so ein Umzug mit all den Unterrichtsmaterialien, die es in der Grundschule nun einmal gibt, nicht von heute auf morgen erledigt sein wird.“
„6- bis 10-jährige Kinder sollen gewohntes Umfeld eintauschen“
Kristina Rulffs ist Elternvertreterin in der 4b. Sie versteht nicht, warum nicht die „wesentlich älteren“ Gemeinschaftsschülerinnen und -schüler an den Aurikelstieg kommen sollen. „Stattdessen sollen 6- bis 10-jährige Kinder einen neuen Schulweg einüben und ihr gewohntes Umfeld und ihre mühevoll über Jahre gestalteten Klassenzimmer gegen baufällige und unsanierte Räumlichkeiten eintauschen.“
Auch sie weist darauf hin, dass die Grundschule Lütjenmoor „aufgrund von der sozialen Lage und vielen Kindern mit nicht-deutscher Familiensprache in Zukunft besonders gefördert werden soll“. Darüber hinaus seien „insbesondere die vierten Klassen bereits stark belastet, da zu Anfang des Jahres eine Klasse aufgelöst und die Kinder auf die restlichen vierten Klassen aufgeteilt worden sind. Die nächsten Wochen sind für die vierten Klassen wichtig, da das nächste Zeugnis entscheidend für den Schulwechsel sein wird“.
In Richtung der Stadtverwaltung sagt Rulffs: „Bei allem Verständnis für die Not in der Willy-Brandt-Schule, aber dieses können Sie nicht ernsthaft zu Lasten von Grundschülern lösen.“
Oberbürgermeisterin Katrin Schmieder: „Wir wollen Transparenz schaffen“
Zuvor hatten am Dienstag Oberbürgermeisterin Katrin Schmieder, Baudezernent Christoph Magazowski und die für Schulen verantwortliche Sozialdezernentin Kathrin Rösel gemeinsam Rede und Antwort gestanden. Zu dem Termin hatte die Verwaltung proaktiv eingeladen. Wohl auch, um die Dynamik ein wenig abzubremsen. „In der Schulgemeinschaft sind 700 Schülerinnen und Schüler betroffen, rund 1400 Eltern, die Lehrerschaft, da entstehen schnell Gerüchte. Wir wollen Transparenz schaffen“, so Schmieder.
Was genau passiert ist: Durch ein kaputtes Abflussrohr kam es zu einem Wasserschaden. Also musste eine Zwischendecke geöffnet werden, und dabei wurden „Auffälligkeiten“ in der Bausubstanz bemerkt. Es konnte nicht sichergestellt werden, dass die Decken im Altbau „den notwendigen Anforderungen an die Traglast entsprechen“, hieß es. Auch wenn das Gebäude nicht akut einsturzgefährdet zu sein scheint, so „ist das Gebot der Sicherheit für uns das Allerhöchste“, sagte die Oberbürgermeisterin.
Also sind 13 Klassenräume, sechs Fachräume, eine Küche und eine ehemalige, zuletzt als Lehrerzimmer genutzte Hausmeisterwohnung Sperrgebiet. „Weitere Räume werden jetzt nach und nach überprüft“, so Baudezernent Magazowski, „wir brauchen ein detailliertes Bild des Gesamtschadens.“ Was bekannt ist: „Es wurde zu wenig Beton und zu wenig Stahl verwendet.“ Warum das vor Jahrzehnten passierte, lässt sich aber kaum noch nachvollziehen.
300 von 800 Schülerinnen und Schülern sind betroffen
Ein Ergebnis der Untersuchung soll bis Jahresende vorliegen, wobei jetzt schon klar ist, dass der Altbau saniert werden muss. Sprich: Es wird auf lange Sicht Einschränkungen geben.
Für den Unterricht ist das ein Riesenproblem. Derzeit findet zum Teil Home-Schooling statt, das klappt offenbar gut, hier greifen die Erfahrungen aus der Corona-Pandemie. Ansonsten rücken alle enger zusammen. „Fast 40 Prozent“ der Schülerschaft seien betroffen, führte Kathrin Rösel aus, umgerechnet etwa 300 von 800, „die jetzt untergebracht und beschult werden müssen“.
Alte Horst-Embacher-Schule wäre kurzfristig verfügbar
Nur wo? „Das Bildungshaus ist noch nicht fertig, das Herold-Center hat keine Ressourcen. Wir haben uns die Schule am Rodelberg in der Dunantstraße angeguckt. Aber die Klassenzimmer dort sind nur 40 Quadratmeter groß, da ist kein Unterricht für Klassen mit 25 bis 30 Kindern durchführbar.“ Und Container aufzustellen, das ist auch aus Platzgründen abwegig.
Und daher bleibt nur eine realistische Möglichkeit. Eben, die Horst-Embacher-Schule zu reaktivieren. Die wird seit Sommer 2017 nicht mehr genutzt, sie wurde damals mit der Gemeinschaftsschule Ossenmoorpark zusammengelegt. Heute nutzen mehrere städtische Einrichtungen einen Teil der Räumlichkeiten, darunter die Musikschule.
In den Herbstferien könnte die Grundschule Lütjenmoor mit 300 Kindern umziehen
Die Idee wäre aber nicht, einen Teil der Willy-Brandt-Schule umzuquartieren, sondern die gesamte Grundschule Lütjenmoor. Deren Gebäude könnte dann der Gemeinschaftsschule zur Verfügung stehen, denn diese soll nicht getrennt werden. Ein Grund soll der Mangel an Fachräumen sein, was für das Abitur relevant ist.
„Das würde heißen, dass die gesamte Schulgemeinschaft der Grundschule perspektivisch in den Herbstferien umzieht“, sagte Kathrin Rösel. „Es ist eine sehr, sehr schwere Entscheidung, die wir treffen müssen. Wir sind verpflichtet, eine Schule am richtigen Ort vorzuhalten. Aber wir haben jetzt eine Sondersituation, die besondere Maßnahmen erfordert.“ Immerhin: Aurikelstieg und Lütjenmoor sind im gleichen Einzugsbezirk.
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Die Oberbürgermeisterin versicherte auf Nachfrage: „Die sanitären Einrichtungen sind gut nutzbar, die Klassenräume auch.“ Insgesamt gibt es 18, das würde für die 300 Kinder in zwölf Klassen ausreichen. „Auch die Ganztagsbetreuung würde mit umziehen.“ Das Mittagessen sei kein Problem, das Mobiliar würde mitgenommen.
Oberbürgermeisterin: „Die ziehen in diesem Schuljahr nicht mehr zurück“
Wichtig sei, so Schmieder: „Die Klassenzüge bleiben zusammen, die Lehrer kommen mit. Wichtiger als die Räume sind die Menschen und die sicheren Wege.“ Sollte es auf den Aurikelstieg hinauslaufen, bliebe das auch bis Sommer 2025 so. „Die ziehen in diesem Schuljahr nicht mehr zurück.“
Eigentlich sollte bis Ende der Woche eine Entscheidung fallen. Doch am Mittwoch teilte die Stadt mit: Es habe einen Ortstermin in der Willy-Brandt-Schule sowie in der benachbarten Grundschule gegeben. Mit dabei war auch die Schulaufsicht des Landes, also das Bildungsministerium. Dieses verschaffte sich in Gesprächen einen Eindruck über die Situation.
Norderstedt: Anfang nächster Woche runder Tisch mit allen Beteiligten
„Eine abschließende Entscheidung bezüglich der Raumlösung wurde bis zu diesem Zeitpunkt nicht getroffen. Es wurde vereinbart, einen runden Tisch mit Vertreterinnen und Vertretern aller Beteiligten und Betroffenen stattfinden zu lassen“, so die Verwaltung. „Dieser ist für Anfang nächster Woche terminiert. Ziel ist es, gemeinsam die nächsten Schritte zu besprechen und – trotz aller Herausforderungen und Sorgen – eine möglichst tragfähige Lösung für alle zu finden.“
Unberührt bleiben derweil die langfristigen Planungen für das Gelände im Aurikelstieg. Denn bekanntlich will Norderstedt hier eine neue vierzügige Grundschule samt Kita und Dreifeld-Sporthalle bauen. Der Architektenwettbewerb ist abgeschlossen, der Bebauungsplan werde nun „maßgeschneidert“, so Christoph Magazowski. Eine mögliche, kurzfristige Zwischenlösung, verursacht durch die Sperrung der Willy-Brandt-Schule, werde dieses Projekt nicht stoppen.