Norderstedt. Erstmals treffen Norderstedt und der Dorfclub in einem Pflichtspiel aufeinander. Großes Interview: Was die Gegner voneinander halten.
35 Autominuten oder 29,9 Kilometer Luftlinie trennen Norderstedt von Todesfelde. Es sind verschiedene Welten. In der viertgrößten Stadt Schleswig-Holsteins wohnen 82.179 Menschen. Das Dorf kann schon mal fast komplett leer sein, wenn die Fußballmannschaft spielt – weil fast alle 1144 Bewohner zum Anfeuern im Stadion sind. In einem Testspiel beider Teams siegte Eintracht Norderstedt am 23. Juli 2019 2:1 in Todesfelde. In einem Pflichtspiel sind sich beide Mannschaften noch nie begegnet.
Doch am Sonntag um 14 Uhr ist es so weit. Bei der historischen Premiere im Edmund-Plambeck-Stadion wackelt der Zuschauerrekord der Eintracht, aufgestellt von 1675 Fans am 27. Mai 2023 beim 0:1 gegen den VfB Lübeck.
Eintracht Norderstedt gegen SV Todesfelde: Ein Fußballspiel elektrisiert den Kreis
Die Rollen sind am Sonntag klar verteilt. Hier der Favorit Norderstedt, seit 2013 Mitglied der Regionalliga Nord, dort absolut etabliert und mit vier Punkten aus zwei Partien gestartet. Dort Außenseiter SVT, zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte Regionalligist und mit zwei knappen Niederlagen zum Auftakt im Gepäck. Alles andere als ein Heimsieg wäre eine dicke Überraschung.
Doch wie sehen die Spieler diese historische Partie? Wir haben mit zwei Akteuren gesprochen, die mit ihren Clubs seit vielen Jahren tief verwurzelt sind – und am Sonntag auf dem Platz stehen werden. Todesfeldes Torwart Fabian Landvoigt (30) hält seit 2016 die Schüsse der Gegner. Eintracht-Außenverteidiger Dane Kummerfeld (32) flitzte sogar schon als Jugendlicher in der U19 im Jahr 2010 die Außenbahn rauf und runter.
Fabian Landvoigt: „Jedes Spiel ist für uns ein kleines Endspiel. Die Regionalliga Nord ist extrem stark.“
Herr Landvoigt, wie bewerten Sie den Saisonstart Ihres SV Todesfelde?
Fabian Landvoigt: Von den Ergebnissen her? Bitter! Zweimal kurz vor Schluss das entscheidende Tor zu kassieren, war sehr schmerzhaft. Beim 0:1 gegen Havelse waren wir aber schon besser als beim 1:2 beim VfB Lübeck. Auch wenn ein Unentschieden auf der Lohmühle sehr geil gewesen wäre.
Sie sind gebürtiger Lübecker, haben nach der Partie mit Lübecker Ultras diskutiert. Was war da los?
Ich habe beim Stand von 1:1 sieben Minuten vor Schluss einen Strafstoß gehalten. War für das Team wichtig und persönlich ein cooles Gefühl. Doch danach wurde ich aus der Lübecker Pappelkurve, wo die harten Fans stehen, beleidigt. Das hat mich irritiert. Ich dachte ,Hey, ich bin hier geboren und habe hier vier Jahre in der Jugend eures VfB Lübeck gespielt. Kennt ihr mich nicht mehr?‘ Das Gespräch mit den Ultras hat mich das Ganze aber lockerer sehen lassen. Ein paar Beleidigungen der Zuschauer gehören halt zum Fußball dazu und die meisten Fans dort sind wirklich zu jung, um mich noch zu kennen.
Nun steht das historische erste Derby bei Eintracht Norderstedt an. Wie groß ist die Vorfreude?
Sehr groß. Ein schönes Derby mit toller Atmosphäre gegen eine Top-Mannschaft. Da werden wir Vollgas geben.
Der Zuschauerrekord der Eintracht könnte auch dank der Todesfelder Fans fallen. Wie nehmen Sie die Unterstützung Ihres Dorfes in der Fankurve wahr?
Das ist schon Wahnsinn. Es macht riesigen Spaß, für unsere Fans zu spielen. Was unsere Fans auf die Beine stellen, das müssen andere erstmal nachmachen. Man muss ja die Bedingungen sehen, unter denen das zustande kommt. Wir sind ein reiner Amateurverein. Das gilt auch für die Fans. Die gehen zur Arbeit – und danach pflegen sie bei uns daheim den Platz, bereiten Choreographien vor, feuern uns bei den Spielen an. Das ist außergewöhnlich.
„Was unsere Fans auf die Beine stellen, müssen andere erstmal nachmachen“
Haben die Spieler beim SV Todesfelde zu den Fans ein persönlicheres Verhältnis als anderswo?
Glaube ich schon. Es kennt halt jeder jeden und wir quatschen viel miteinander. Wir begreifen uns als eine große Gemeinschaft. Es gibt eine riesige Verbundenheit. (lächelt) Besonders cool finde ich unseren Anpeitscher Domingo. Er hat selbst für Todesfelde gespielt und rockt seit Jahren als Ultra in der Fankurve mit unseren Fans die Stadien.
Begreifen Sie diese Saison in der Regionalliga Nord als großes Abenteuer?
Absolut. Jedes Spiel ist für uns ein kleines Endspiel. Die Regionalliga Nord ist extrem stark. Manche haben so viel Kohle, die wechseln im Sommer die ganze Mannschaft aus. Okay, wir haben Mirko Boland geholt. Aber wir setzen ja wirklich zum Großteil auf die alte Oberligatruppe, schmeißen nicht mit Geld um uns. Da müssen wir erstmal drei Mannschaften finden, die wir hinter uns lassen können, um nicht abzusteigen.
Die Gegner sind stärker, Ihr Team wird häufiger verlieren – was bringt Spaß?
Die Herausforderung und die fußballerische Weiterentwicklung. In der Oberliga konnten wir gegen schwächere Gegner auch mal eine Viertelstunde Gas geben, zwei Tore schießen und danach ein bisschen rumdümpeln. Das geht jetzt nicht mehr. Und es stellen sich nicht 80 Prozent aller Gegner hinten rein. Wir können auf einmal Räume bespielen, die wir sonst nie hatten.
„Wir kennen das gar nicht, zwei, drei Spiele hintereinander zu verlieren“
Wird der Teamgeist viele Niederlagen aushalten?
Gute Frage. Ich glaube, das wird er. Für uns ist die Regionalliga Nord auch eine Mutprobe. Wir hatten hier seit zehn Jahren nur Erfolg. Wir kennen das gar nicht, mal zwei, drei Spiele hintereinander zu verlieren. Aber wir sind darauf eingestellt. Wir werden nicht auseinanderbrechen, falls es nicht läuft.
Wie will Ihr Team bei Eintracht Norderstedt bestehen?
Wir wollen da anknüpfen, wo wir gegen Havelse aufgehört haben. Mutig nach vorne spielen. Dann können wir die Eintracht knacken.
Ihr Tipp?
Ich halte mit meiner Abwehr meinen Laden dicht. Vorne treffen wir. 1:0 für uns.
Dane Kummerfeld: „Wir gewinnen 2:0!“
Herr Kummerfeld, wie bewerten Sie den Saisonstart von Eintracht Norderstedt?
Dane Kummerfeld: Es war ein guter Start. Gegen Aufstiegsaspirant VfB Oldenburg haben wir am ersten Spieltag verdient mit 2:0 gewonnen. Sehr gut wäre der Start, wenn wir bei Bremens U23 auch gewonnen hätten. Bei diesem 1:1 hatten wir auch Pech mit Pfostentreffern. Aber man darf nie vergessen: Beide Gegner haben große Qualität. Von daher können wir mit vier Punkten gut leben.
Ihr Trainer Jean-Pierre Richter hat nun 24 Punkte aus 14 Spielen mit der Eintracht geholt. Unter ihm beackern Sie im 3-5-2 die linke Außenbahn ganz alleine. Macht das Spaß?
Ja. Wir haben halt viel Qualität im Zentrum, und da ist es logisch, dieses System zu spielen und die Außen nicht mehr doppelt zu besetzen. Es ist sehr viel Laufarbeit, aber für einen offensiv denkenden Spieler wie mich passt es sehr gut. Ich mache ja auch viel nach hinten, aber jetzt noch durch den linken Innenverteidiger André Wallenborn abgesichert zu sein, ist ein superschönes Gefühl. Ich finde auch, Jean-Pierre Richter ist ein sehr guter Trainer. Seine Offenheit, sein großes Fachwissen und seine taktische Flexibilität zeichnen ihn aus. Er hat eine ganz klare Linie. Er weiß, was er spielen will und entwickelt uns enorm weiter.
Nun empfangen Sie den SV Todesfelde zum ersten Pflichtspiel beider Teams. Was haben Sie bislang so von Todesfelde mitbekommen?
Ich erinnere mich an unser 2:1 im Testspiel dort. Ein unangenehmer Gegner, der sich mit 110 Prozent Einsatz ins Spiel beißt. Sie haben ein paar richtig gute Jungs dabei, mit Mirko Boland natürlich auch Qualität dazugeholt. Aber ganz klar: Wir wollen sie schlagen.
„Nur, weil Todesfelde nicht so viele Einwohner hat, ist es für mich noch kein Außenseiter“
Todesfelde gilt als Dorfclub und großer Außenseiter in der Regionalliga Nord. Mögen Sie Außenseiter-Geschichten?
Ich mag solche Geschichten tatsächlich. Aber: Nur, weil Todesfelde aufgestiegen ist und nicht so viele Einwohner hat, ist es für mich noch kein Außenseiter. Auf dem Feld zählt so etwas nicht. Da zählt nur die Qualität des Teams. Die haben sie.
Sie waren auch mal neu in der Regionalliga Nord. Wie war das für Sie als junger Spieler?
Ich würde gerne anders anfangen. Mit 17 bin ich hochgezogen worden ins erste Team der Eintracht und habe in der Oberliga Hamburg bei unserem 5:1 beim SC Victoria am 8. Oktober 2010 gleich ein Tor im Stadion Hoheluft gemacht. Das war ein sehr geiles Gefühl. Unglaublich toll hat sich dann 2013 der Aufstieg in die Regionalliga Nord angefühlt. Und plötzlich haben wir vor vierstelligen Kulissen gespielt. Mal 2000 Fans, mal 3000. Das war großartig. Zwar finde ich weite Auswärtsfahrten nervig. Vor allem, wenn der Elbtunnel gesperrt ist. Aber das Gefühl mit unserem Team auf dem Platz entschädigt für alles.
Todesfelde hat seine beiden Partien unglücklich in den Schlussminuten verloren. Hat auch die Eintracht am Anfang Lehrgeld in der Regionalliga Nord bezahlt?
Und wie! Erstes Spiel in Havelse gleich ein 0:2. Schlechter waren wir da nicht. Das ging uns am Anfang häufig so. Du musst schnell lernen, was es heißt, wenn du in der Regionalliga Nord den Ball in bestimmten Situationen verlierst, wie konsequent und schnell die Gegner dich bestrafen. Du musst 90 Minuten plus Nachspielzeit hochkonzentriert durchziehen – sonst erreichst du nichts.
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Derby am Sonntag: „Ich hoffe, der Zuschauerrekord fällt“
Am Sonntag ist ein neuer Zuschauerrekord im Edmund-Plambeck-Stadion möglich. Es ist Ihr elftes Jahr in der Regionalliga Nord. Ist das für Sie noch etwas Besonderes?
Ja. Ich freue mich immer, wenn viele Zuschauer da sind. Du nimmst das als Spieler alles wahr. Das Raunen auf den Tribünen, die Sprüche der Fans, die Anfeuerung. Ich hoffe, der Zuschauerrekord fällt. (lacht) Und von mir aus können wir ihn danach Woche für Woche in jedem Heimspiel steigern.
Wo landet Eintracht Norderstedt am Saisonende?
Wir haben sehr viel Potenzial. Wenn wir es jede Woche voll abrufen, sehe ich uns im oberen Drittel.
Todesfeldes Torwart Fabian Landvoigt tippt 1:0 für sein Team.
Die Hoffnung muss ich ihm leider nehmen. Gegen unsere Offensive kommt er nicht mit einem Nuller hinten davon. Wir gewinnen 2:0.
In der 2. Runde des Lotto-Pokals hat sich Eintracht Norderstedt beim VfL Hammonia mit 9:0 (5:0) durchgesetzt. Die Tore erzielten Kangmin Choi (3), Falk Groß (2), Moritz Niemann, Henok Tewolde und Nathan Winkler, hinzu kam ein Eigentor.