Ulaanbaatar. Jurte, Plumpsklo und Natur pur: Bianca Bödeker ist 14 Tage durch das am dünnsten besiedelte Land der Welt gereist. Was sie erlebt hat.
Der Berg ist erklommen. Der Blick weit. Ein Blick für die Seele. Ich kann mich nicht sattsehen an diesem tiefblauen Himmel. Lausche der Natur. Dem Wind. Den Vögeln. Ich bin angekommen im Paradies der Weite. Mitten in der Steppe der Zentralmongolei. Mein Traum seit mehr als 30 Jahren. Ein Traum, der im Kino begann. Mit Urga, der filmischen Liebeserklärung an die Menschen in der Mongolei. Die von einem russischen Straßenarbeiter erzählt, der Unterschlupf findet bei einer Schafzüchter-Familie.
Genau wie ich in diesen Tagen. Ich bin zu Gast bei Hirtin Shuree und ihrer Familie. Shuree, auf Deutsch „weiße Muschel“, klingt wie viele mongolische Namen voller Poesie. Ich mache mich vom Berg auf den Rückweg zu ihr und ihrer Jurte, einer tragbaren zeltartigen Hütte aus Filz und kunstvollen Holzlatten, die die Mongolen „Ger“ nennen. Es ist Mitte Juni. Es ist heiß. 32 Grad. Die Böden sind trocken. Der Regen fehlt. Der globale Klimawandel setzt auch der Steppe zu. Doch dazu später.
Traumreise: Von Hamburg in die Mongolei
Erst vor zwei Tagen sind die 52-Jährige und ihr Mann Tsedee samt 1000 Kaschmirziegen, Schafen und Pferden in ihrem Sommercamp des Aimags (Provinz) Bulgan angekommen – 300 Kilometer westlich der Hauptstadt Ulaanbaatar.
Und dahin blicken wir einen kurzen Moment. Denn genau hier, in der 1,6-Millonen-Einwohner-Metropole, hat zwei Tage zuvor meine Reise angefangen. Im Stau. Nach 18 Stunden Flug von Hamburg über Istanbul bin ich frühmorgens am Flughafen vor den Toren der Stadt angekommen. Herzlich begrüßt von Tuka. Mit der 40-jährigen Tourismusexpertin, die in der Wüste Gobi aufgewachsen und in Deutschland studiert hat, habe ich mein 14-tägiges Abenteuer Mongolei zuvor individuell geplant.
Doch zunächst geht nix mehr. Mühsam quält sich unser Fahrzeug durch den morgendlichen Berufsverkehr in die City, die ihre Bewohner liebevoll „UB“ nennen. Nein, eine Schönheit ist die im Winter kälteste Stadt der Welt nicht. Doch gemeinsam mit Tuka entdecke ich in den kommenden zwei Tagen die spirituellen Oasen der Stadt.
Mongolei: Abendblatt-Reporterin auf Abenteuer-Reise
Eine davon ist das Kloster Gandan, das buddhistische Zentrum der Mongolei. 1727 gegründet, wurde es 1938 wie alle Klöster im Lande vom sowjetischen Stalin-Regime zerstört und erst nach dem Krieg wieder aufgebaut. Seit der Demokratisierung des 3,5 Millionen Einwohner zählenden Binnenstaates zwischen Russland und China gibt es hier wieder rund 100 Klöster für die 53 Prozent Buddhisten im Land. Wir müssen uns beeilen. Die Zeremonie hat bereits begonnen. Das Kloster ist komplett gefüllt. Mönche aus dem Tibet sind zu Gast und lesen aus den buddhistischen Lehren. Für mich ein besonderer Moment der inneren Einkehr.
Danach wird’s wieder quirlig. Wir überqueren den Sukhbaatar Platz. Hier erklärte „der Held der Revolution“, Damdin Sukhbaatar, 1921 die Unabhängigkeit des Staates, der bis dahin unter der Macht der Mandjuren stand. Hier steht das Parlamentshaus samt Dschingis-Khan-Statue, dem Krieger und Held der Mongolen.
Kaschmir ist drittgrößter Exportartikel der Mongolei
Ganz in der Nähe liegt mein Gästehaus. Total ermattet falle ich an diesem ersten Abend in die Federn. Für den nächsten Tag hat mir Tuka eine private Führung durch Gobi Cashmere organisiert – einem der fünf größten Hersteller von mongolischen Kaschmirprodukten weltweit. Mongolischer Kaschmir, so lese ich nach, ist nach Kupfer und Gold der drittgrößte Exportartikel des Landes. 80 Prozent der Landesfläche, die viermal größer ist als Deutschland, werden als Weide genutzt. Bei Gobi erlebe ich hautnah, wie die Wolle gereinigt, veredelt, zu feinem Garn versponnen und schließlich zu Kleidungsstücken verarbeitet wird.
Und damit zurück in die Steppe. Zurück zu Shuree und ihrer Familie. Auch sie verdient einen großen Teil ihres Lebensunterhalts mit der Wolle ihrer Kaschmirziegen. Rund 150 Kilogramm verkauft sie pro Jahr. Das Kilo für umgerechnet 50 Euro. Die studierte Tierärztin, die nach der Geburt ihrer Kinder ihren Job aufgab, um ausschließlich für die Familie da zu sein, hat auf dem Ofen „Suutei Tsai“ gekocht – Milchtee mit Salz. Seit Jahrhunderten das traditionelle Getränk der Mongolen. Das schmeckt nicht nur köstlich, sondern wärmt die Hirten in den bis zu minus 50 Grad kalten Wintermonaten genauso wie die fast ausnahmslos fleischhaltige Ernährung.
Mongolische Spezialitäten kochen
Heute Abend gibt‘s Buuz. Gedämpfte Teigtaschen, gefüllt mit Schafsfleisch und Zwiebeln. Während das Wasser auf dem Ofen, dessen Rohr sich durch das Jurtendach zieht, erhitzt, rollt Shuree die flachen Teigstücke in runde Plätzchen aus. Auf einem Holzbrett, das sie zuvor auf ihr Bett gelegt hat. Ich hocke neben ihr und beginne mit der Füllung, um danach die Ecken mit meinen Fingerspitzen vorsichtig zusammenzukneifen. Und ab damit in den Topf zum Garen.
Ihr Mann Tsedee kommt zurück nach einem langen Tag bei den Tieren. Ein Mann mit gegerbtem Gesicht, freundlichen Augen und kräftigen weißen Zähnen. Der 54-Jährige trägt seine nomadische Reitertracht, einen blauen Deel mit gelber Schärpe. Er reicht mir zur Begrüßung sein Schnupftabakfläschchen. Unter mongolischen Nomaden begrüßen sich die Männer, indem sie diese aus Respekt füreinander austauschen. Das Gegenüber riecht daran und gibt das Fläschchen dann wieder zurück.
Mongolische Jurte ist nicht größer als 20 Quadratmeter
Das mache ich auch und fühle mich nun offiziell als Gast in der Familie aufgenommen. Hier in ihrem mongolischen Rundzelt, das nicht größer ist als 20 Quadratmeter, hat das Ehepaar seine fünf Kinder großgezogen. Die meisten sind mittlerweile erwachsen, arbeiten als Arzt, Apotheker oder Eisenbahner in der Stadt. Nur der 15-jährige Enkhzorig geht noch zur Schule. Wohnt und lebt dazu in der Woche im benachbarten Ort Gurvanbulag. Am Wochenende ist er hier, um den Vater bei der Hirtentätigkeit zu unterstützen. Hoch zu Pferd. Doch auch in dieser Nomadenfamilie hat die moderne Zeit Einzug gehalten. Motorrad und Auto stehen genauso neben der Jurte wie ein Solarpanel.
Die sechsjährigen Enkelkinder Bambar und Amrida stürmen rein. Bis zur Einschulung Anfang September leben sie den Sommer bei Oma und Opa in der Jurte. Munter springen die beiden aufs Bett und spielen erst mal eine Runde „Shagai“ – ein mongolisches Würfelspiel. Als Würfel dienen die vierseitigen Fersenknochen eines Schafs. Was lehrt mich das? Spielzeug muss nicht teuer sein…
Nächte in der Steppe sind kalt
Mittlerweile ist es Abend. Die tief stehende Sonne hat den Himmel rot gefärbt. Ich bin müde. Mache mich noch schnell auf in Richtung Plumpsklo. Den Weg dorthin kündigt eine Mongolin übrigens an mit der Aussage, sie sehe nach den Blumen. Die Männer schauen in diesem Fall kurz nach den Pferden…
Ich ziehe mich zurück in meine Jurte. Shuree schließt das Dach. Die Nächte in der Steppe sind kalt. Ich packe meinen Schlafsack aus, lege ihn auf das Bett und schlüpfe hinein. Abschließend ziehe ich die Bettdecke fest darüber. Draußen ist es mucksmäuschenstill. Selig schlafe ich ein.
„Wenn ein Gast Regen mitbringt, ist er ein guter Mensch“
Vier Tage bleibe ich hier, bevor meine Reise weitergeht Richtung Orkhontal. Mit Zwischenstopp in Karakorum, der ehemaligen altmongolischen Hauptstadt des von Dschingis Khan im 13. Jahrhundert gegründeten Reichs, das nur 140 Jahre Bestand hatte. Lediglich zwei steinerne, überlebensgroße Schildkröten erinnern an die damalige Zeit. Aus den Trümmern der ehemaligen Stadt entstand das älteste Kloster der Mongolei: Erdene Zuu. Nach dem Fall des kommunistischen Systems restauriert dient es heute zum Teil als Museum und buddhistisches Kloster.
Viele Stunden dauern die Fahrten querfeldein durch die Steppe des mit zwei Einwohnern pro Quadratkilometer am dünnsten besiedelten Staates der Welt. Gott sei Dank ist Guide Shinee an meiner Seite, der nicht nur sicher fährt, sondern auch textsicher für mich ins Englische übersetzt. Es beginnt zu schütten, als ich bei Hirtin Oyunaa und ihren vier Kindern im Orkhontal eintreffe. Endlich Regen! „Wenn ein Gast Regen mitbringt, ist er ein guter Mensch“, sagt die 37-Jährige und strahlt. Ich fühle mich geschmeichelt.
Orkhonfluss ist 1124 Kilometer lang – der längste Fluss der Mongolei
Auf dem Tisch in ihrer Jurte steht Öröm, ein fester Milchrahm. Dazu gibt es Boortsog, frittiertes Buttergebäck. Nicht fehlen dürfen Byaslag, der mongolische Käse aus Dickmilch, und Aaruul, die getrockneten Quarkstücke zum Knabbern.
Die Nacht im Orkhon war kalt. Oyunaa macht am frühen Morgen Feuer in meiner Jurte und nimmt mich zu Fuß mit auf die andere Seite des Orkhonflusses (mit 1124 Kilometern der längste in der Mongolei) zum Melken der Yaks. 500.000 dieser Rinderart leben in der Mongolei. Ihre Milch ist fetthaltiger als die der Kühe. Der Joghurt schmeckt herrlich cremig. Ihn darf ich an diesem Morgen kosten. Oyunaas Mann Bataa ist da schon längst wieder unterwegs, um jetzt in der Hauptsaison Touristen aus aller Welt durch die Lande zu fahren. Geld, das dringend gebraucht werde, sagt Oyunaa, um den Kindern eine gute Ausbildung zu garantieren.
Nomadenfamilie verkaufen nachhaltig produziertes Fleisch
Nach wenigen Tagen heißt es auch hier wieder Abschiednehmen. Oyunaa nimmt meine Hand fest in ihre beiden Hände. Ein Moment voller Herzlichkeit und Wärme. Die spüre ich auch in meiner letzten Gastfamilie, der von Sukhbaatar im Naturschutzgebiet Kugnu Khan. Der Mann mit dem runden Gesicht und dem so herzerfrischenden Naturell kommt gerade von einem Bankgespräch in der Stadt. Der frühere LKW-Fahrer, der 1994 die Jurte von seinen Eltern übernahm, möchte einen Kühltransporter finanzieren, um im Verbund mit zehn Nomadenfamilien nachhaltig produziertes und geschlachtetes Fleisch direkt in die Supermärkte der Hauptstadt zu verkaufen. „Zu fairen Preisen und ohne Zwischenhändler“, betont der 59-Jährige. Mit dem Ziel, die Wirtschaftlichkeit der Nomadenfamilien zu stärken.
Die Mongolei ist ein Land, das durchaus vor Herausforderungen steht. Mit seiner Wirtschaft, die sich vor allem auf Viehzucht und Abbau der reichen Rohstoffvorkommen stützt, ist die Mongolei laut Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung stark von der Entwicklung der internationalen Rohstoffpreise und dem Hauptabnehmerland China abhängig. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat zu Handelseinschränkungen und steigenden Kraftstoff- und Lebensmittelpreisen geführt. Seit 2022 sind die Wachstumsraten durch die steigende Rohstoffnachfrage jedoch stabil.
Mongolei: Erstmals Koalitionsregierung seit acht Jahren
Nach der Parlamentswahl am 28. Juni bewegt sich das Land erstmals seit acht Jahren wieder auf eine Koalitionsregierung zu. So erhielt die regierende Mongolische Volkspartei mit 68 Sitzen eine leichte Mehrheit im 126 Sitze zählenden Abgeordnetenhaus. 2020 waren es noch 62 der ehemals 76 Sitze im Parlament, das nach einer Verfassungsänderung nun erweitert wurde. Die Demokratische Partei kam auf 42 Sitze. Der Zugewinn der bisherigen Oppositionspartei wird damit erklärt, dass viele Wähler einen stärkeren Kampf gegen die Korruption und eine gerechtere Verteilung der Bodenschätze wollen.
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Die wachsende Umweltzerstörung durch Bergbau und Überweidung droht vor allem den Nomaden – sie machen 35 Prozent der Bevölkerung aus –, die Lebensgrundlage zu entziehen. Die klimabedingt stark gestiegenen Temperaturen lassen Permafrostböden zunehmend auftauen und die Landschaft des Landes versteppen, das zu den wichtigsten entwicklungspolitischen Partnern Deutschlands zählt.
Nach 14 Tagen zurück in Deutschland
Dorthin bin ich nach 14 Tagen zurückgekehrt und wieder in meiner Kultur angekommen. Einer Kultur, in der es selbstverständlich ist, jeden Morgen unter die Dusche zu springen, bei Kälte die Heizung hochzudrehen und zum Kochen den Induktionsherd einzuschalten. Einer Kultur, in der Bescheidenheit, Dankbarkeit und Umsicht für einander jedoch gar nicht mehr selbstverständlich ist.
Ich war dann mal weg. Im Nomadenland. Dem Land meiner Träume. Ein Land, das mich verändert hat. Zurückgeführt hat zur Natur, die so kraftvoll und energiespendend sein kann. Ich durfte wunderbaren Menschen begegnen – stark, herzlich und gastfreundlich. Wie die Hirten Shuree, Oyunaa und Sukhbaatar oder Tuka und Shinee von der Reiseagentur FairAway/Tour Mongolia. Menschen, mit denen ich einen Moment des Lebens teilen durfte. Ein Moment, der in meinem Herzen bleibt. Ein Leben lang.
Bayartai Mongol! Auf Wiedersehen Mongolei – du wunderbares weites Land!
Anmerkung der Redaktion: Die Reise wurde von der Autorin privat bezahlt. Buchtipp: Wisotzki / Käppeli / Waldenfels, TRESCHER Reiseführer Mongolei, mit Ulaanbaatar, Wüste Gobi, Mongolischem Altai und Khövsgöl-See, Trescher Verlag GmbH. ISBN 978-3-89794-550-0, Standardpreis: 24,95 Euro. Links zu dieser Reise: www.fairaway.de, www.tourmongolia.de, www.aktion-deutschland-hilft.de/de/fachthemen/asien/mongolei/.