Norderstedt. Sie bauten Stände in Nigeria auf und wurden in der DDR von Schlapphüten überwacht: Das Norderstedter Familienunternehmen Lüco wird 100.
In Norderstedt gibt es eine Firma, die hat einst den größten Messestand der Welt gebaut, und zwar in Form eines Schiffs. Viele Jahre später, während der Corona-Pandemie, baute sie dann das größte Impfzentrum Deutschlands. Lüco Internationaler Messebau Nord GmbH heißt diese Firma, sie wird in diesem Jahr ganze 100 Jahre alt – und sie ist noch immer ein 100-prozentiges Familienunternehmen. Ein Blick in eine Firmengeschichte, die in Norderstedt spielt, aber rund um den Globus führt.
Georg Rohlfs ist fast so alt wie die Firma, 91 Jahre. Der langjährige Geschäftsführer ist sehr agil, kann lebendig erzählen – besonders, wenn es um die Firmengeschichte geht: „ Messe München, das war unser Durchbruch!“, erzählt er. Und nimmt uns für einen Moment mit in den Herbst 1965. Die Rolling Stones haben „Satisfaction“ veröffentlicht, Drafi Deutscher singt „Marmor, Stein und Eisen bricht“, Ludwig Erhard (CDU) ist Bundeskanzler. Und in München reiben sich die Besucher der Internationalen Verkehrsausstellung (IVA) die Augen, als sie auf dem Messegelände ein riesiges Schiffsmodell sehen, das größte jemals gebaute Messemodell aller Zeiten. „Innen lief ein Film, der zeigte, wie ein Schiff in den Hamburger Hafen einläuft“, erzählt Rohlfs mit leuchtenden Augen.
Lüco Norderstedt: Messebau, seit 100 Jahren ein Abenteuer
Wer macht so etwas, wer baut so etwas? Es ist ein damals noch recht kleines Unternehmen aus dem Dorf Glashütte bei Hamburg, „Lüdemann & Co.“ nämlich, kurz „Lüco“, hervorgegangen aus einem Tischlereibetrieb. Dort hatte ein „pfiffiger, junger Werbegrafiker“ die Idee, so ein Schiff zu bauen, als Messestand für Reedereien und Zulieferer von Schiffswerften. Aber nicht nur auf diese, auch auf das Unternehmen Lüco werden Kunden aus aller Welt aufmerksam.
Aus Lüco wird schnell „Lüco Internationaler Messebau“ – und es beginnt der rasante Aufstieg der Firma zu einem der deutschlandweit größten Player in der Branche. In den Jahren und Jahrzehnten danach werden Rohlfs und sein Team Stände in Kisten verpacken, in die USA, nach Asien und Afrika und in viele Ecken der Welt verschiffen, dort wieder auspacken und zusammenbauen – doch dazu später mehr.
Nach „Du und Deine Welt“ in Hamburg baut man auch Stände in Boston und Chicago
Die treibende Kraft im Unternehmen ist Georg Rohlfs. Der übernahm von seinem Schwiegervater Hinrich Lüdemann den Tischlereibetrieb, den dieser 1924 auf einem Grundstück an der Poppenbütteler Straße Ecke Segeberger Chaussee gegründet hatte (heute befindet sich dort ein Lidl-Supermarkt). Lüdemann war ein „unglaublich fleißiger Handwerker“, betont Rohlfs – und noch heute gebe es in Glashütter Häusern „Lüdemann-Dachstühle“.
Doch nach dem Krieg wird Rohlfs, der den Laden nach einer Erkrankung des Schwiegervaters bald allein führen muss, auf ein anderes Geschäft aufmerksam, nämlich den Messebau. Es ist die Zeit des Wirtschaftswunders, und Deutschland ist ein „Messeland“, wie Rohlfs sagt, mit vielen Fach- und Publikumsmessen. Bald baut Lüco Stände für „Du und Deine Welt in Hamburg“, nach dem internationalen Durchbruch reist man auch in die USA, baut Stände in Boston und Chicago auf.
„Kannte mich auf Marktplatz in Neu Delhi besser aus als in Hamburg“
„In Amerika, das war schon etwas anderes. Alles viel, viel größer. Und die hatten eine besondere Art, Messestände zu bauen. Die sind einfach mit dem Truck in die Halle reingefahren, dann wurden links und rechts die Seiten runtergeklappt und fertig war der Messestand“, erzählt Rohlfs.
Auch in Ländern wie Mexiko oder Indien baut Rohlfs mit seinem Team Messestände auf, es gibt eine Zeit, in der er sich „auf dem Marktplatz von Neu Delhi besser auskennt als in Hamburg“, wie er sagt. Einmal geht es für einen Messebau nach Nigeria, man kämpft mit gewissen Widrigkeiten, hat aber immerhin Gelegenheit, sich das Land anzusehen. „Damals dauerten die Vorbereitungen wochen- oder sogar monatelang“, sagt Rohlfs.
Bodenständigkeit: Chef und Monteure reisen „selbstverständlich Holzklasse“
Bodenständigkeit ist, damals wie heute, Trumpf in dem Familienunternehmen. Und so ist es „selbstverständlich“, dass Chef und Monteure „Holzklasse“ reisen und manchmal auch zusammen in einem Hotelzimmer wohnen. Rohlfs betont: „Man braucht in der Branche Leute, auf die man sich immer zu 100 Prozent verlassen kann. Dazu gehört es dann auch, dass man sich um seine Leute und auch mal um deren Familien kümmert.“
Es kommen die 80er-Jahre – und irgendwann wird es Zeit für einen Generationenwechsel. Der Kelch wandert wieder zum Schwiegersohn, und das ist Joachim Goers. Nur: der hat eigentlich etwas anderes gelernt, Kaufmann nämlich, und vor allem möchte er den Kelch nicht. Erst einmal. „Mein Schwiegervater hat zu mir gesagt, Du musst in die Firma kommen. Ich habe gesagt: Nein, ich will das nicht“, sagt Goers, heute 73 Jahre alt.
Aber dann lässt er sich doch darauf ein, geht bei Rohlfs durch eine „ganz, ganz harte Schule“, wie er sagt. Ein paarmal habe die Sache auch vor dem Abbruch gestanden, aber man reißt sich zusammen, findet zueinander. Joachim Goers findet Gefallen an der Aufgabe und 1985 die Geschäftsführung, nimmt das Ruder entschlossen in die Hand. Die Firma erschließt sich neue Bereiche, bleibt dabei ein solides Familienunternehmen.
Messebau in Schweizer Bergstollen und in der damaligen DDR
Und auch das abenteuerliche Element bleibt: „Wir haben zum Beispiel Messestände in einem Bergwerk in der Schweiz aufgebaut, in 400 Meter tiefen Stollen“, erzählt Joachim Goers. Eine Messe für Bergbaumaschinen war das, gezeigt wurden Tunnelbohrmaschinen in Originalgröße.
Auch in die damalige DDR verschlägt es Goers und sein Team. Unter anderem ist man in der Messestadt Leipzig tätig: „Kommuniziert wurde damals mit Fernschreibern. Dann wurde alles in Waggons verladen und vor der DDR-Grenze versiegelt. In Leipzig wurden die Kisten dann wieder entsiegelt und ausgepackt“, erzählt Joachim Goers. Auf der Messe gab es dann einige „auffällig unauffällige Herren“, die ihn und sein Team die ganze Zeit beobachteten.
Der Kontakt nach Leipzig zahlt sich aus, denn direkt nach der Wende ist Lüco eines der ersten Unternehmen, das hier eine Niederlassung gründet, „Lüco Ost“. Anders als viele andere Unternehmen aus der BRD, setzt man auf einen ostdeutschen Niederlassungschef und hat auch deshalb mehr Erfolg als die Konkurrenz.
Das Geschäft wird schneller: „Leider wenig Möglichkeiten, Städte anzusehen“
Weltweit unterwegs ist Lüco immer noch, baut in den 90er-Jahren Stände in Moskau oder auf Taiwan auf. Aber der Messebau verändert sich, wird schnelllebiger. „Die Aufbauzeiten wurden immer kürzer, zu meiner Zeit waren das dann nur noch etwa sieben Tage. Da wurde dann bisweilen Tag und Nacht gearbeitet und wir hatten leider wenig Möglichkeiten, uns die Städte anzusehen.“
Das Unternehmen wächst, mietet sogar „Schweineställe und Kuhställe als Lager“ dazu, wie Goers sagt, irgendwann wird es wirklich Zeit für einen Umzug. 1999 wird man in Norderstedt fündig, kauft ein Grundstück mit Gebäude an der Stormarnstraße 45, wo das Unternehmen auch heute noch seinen Sitz hat.
Corona-Feuerprobe für den jungen Chef Sebastian Goers
2013 ist es Zeit für einen Generationenwechsel. Alles soll in der Familie bleiben und zum Glück steht ein Nachfolger bereit, den man nicht groß überreden muss. Nämlich Joachim Goers‘ Sohn Sebastian, damals 33 Jahre alt und gelernter Tischler. Der ist schon als Kind begeistert von dem, was Vater und Großvater da machen, nun wartet eine Führungsaufgabe auf ihn. Und sieben Jahre später eine Feuerprobe der besonderen Art, nämlich die Corona-Pandemie.
„Es war wie eine Vollbremsung, unser Geschäft ging innerhalb kürzester Zeit von 100 auf 0“, schildert Sebastian Goers diese Zeit. Mit Kurzarbeit und staatlichen Hilfen kommt die Firma durch die Monate, doch man überlegt, wie es denn in Zukunft weitergehen soll. „Einige Mitbewerber haben komplett das Geschäftsfeld gewechselt. Und andere sind schlicht pleite gegangen“, sagt Sebastian Goers.
Tag und Nacht Arbeit für das größte Impfzentrum Deutschlands
Doch dann kommen die Corona-Impfstoffe. Die retten nicht nur manches Menschenleben, sondern auch die Firma Lüco. Denn Hamburg will ein riesiges Impfzentrum einrichten, in den Messehallen. Wer eignet sich besser dafür, es zu bauen, als das erfahrene Messebauunternehmen Lüco? Die Norderstedter bekommen den Zuschlag. „Das war der Game-Changer. Da haben wir wieder Mut gefasst“, so Goers.
Und dann geht es plötzlich wieder los, „von 0 auf 150“, formuliert es Sebastian Goers. Die Mitarbeiter müssen aus der Kurzarbeit geholt werden und plötzlich nächtliche Sonderschichten schieben, damit alles termingerecht fertig wird. Die Belegschaft zieht „ohne zu murren“ mit, sagt Sebastian Goers. Wohl auch deshalb, weil er in Sachen Führungsstil das alte Motto hochhält: „Lüco ist eine große Familie.“ Im Januar 2021 öffnet das Corona-Impfzentrum seine Tore, ein Bild davon wird sogar in der „New York Times“ gezeigt.
In den Nachwehen der Coronazeit hat das Unternehmen dann nicht mehr zu wenig, sondern plötzlich eher zu viel zu tun. Messen werden nachgeholt, laufen plötzlich parallel. Lüco bewältigt auch diese Zeit, „ab Frühjahr 2023 hat es sich dann langsam normalisiert“, sagt Sebastian Goers.
Wie ist das Geschäft heute, 100 Jahre nach der Unternehmensgründung? „Der Gedanke Nachhaltigkeit ist heute unheimlich wichtig“, sagt Sebastian Goers. Heißt: Während vor Jahrzehnten „Unmengen Teppiche, Laminatböden und PVC-Platten“ produziert und dann weggeschmissen wurden, wird heute auf Recycling-Material und Umweltverträglichkeit gesetzt. Da gibt es dann auch so einige Auflagen zu erfüllen.
Messen 2024: „Gibt immer noch ein enormes Bedürfnis nach persönlichem Kontakt“
Aber sind denn Messen, für die Leute an einen Ort reisen, im Jahr 2024 überhaupt noch notwendig? Lassen sich solche Dinge nicht schneller per Internet und Video erledigen – mit anderen Worten, hat die Branche überhaupt noch Zukunft?
Sebastian Goers machen solche Fragen absolut keine Sorgen. „Es gibt immer noch ein enormes Bedürfnis nach persönlichem Kontakt. Das hat man nach der Coronazeit gemerkt. Die Leute wollen dem Kunden oder Lieferanten persönlich in die Augen sehen.“ Und dann gibt es eben auch Produkte, die man einfach selbst mit eigenen Augen betrachten, in den Händen halten oder probieren muss – wie zum Beispiel auf der Lebensmittelmesse „Anuga“ in Köln.
Wichtige Messen: „Aircraft Interiors Expo“ oder „WindEnergy“ in Hamburg
Eine Einschränkung macht Sebastian Goers dann doch: „Verbrauchermessen wie früher ‚Du und Deine Welt‘ haben heute nicht mehr den Stellenwert wie früher. Aber umso wichtiger sind Fachmessen.“ Und da mischt Lüco, mit seinen 45 Angestellten und einer Niederlassung in Hilden bei Düsseldorf nach wie vor einer der größten Messebauer, vorne mit, etwa bei der „Aircraft Interiors Expo“, der „WindEnergy“ oder der „Shipbuilding, Machinery and Marine Technology“, drei weltweiten Leitmessen in ihren Branchen, die regelmäßig in Hamburg stattfinden.
Um die Welt fährt das Lüco-Team heute nicht mehr, da Firmen auf anderen Kontinenten mittlerweile Teams vor Ort beschäftigen. Aber europaweit ist man immer noch unterwegs. Messestände entwirft und baut das Unternehmen für seine Kunden ganz individuell – je nach Wunsch bunt, blinkend, futuristisch, imposant, gemütlich oder ganz schlicht. Aber Lüco ist seit vielen Jahren auch Spezialist im „Systemstandbau“, der mit vorgefertigten Elementen nach einer Art Baukastenprinzip funktioniert, was schneller geht und Kosten spart.
Motto: „Langfristige Perspektiven statt kurzfristige Gewinne“
Der Umsatz ist heute „weit über Vor-Corona-Niveau“, wie Sebastian Goers sagt. Weil auch seine Branche mit dem Thema Fachkräftemangel zu kämpfen hat, bildet Lüco neuerdings Tischler aus. „Das hat sich als eine sehr gute Entscheidung herausgestellt. Wir übernehmen jetzt den ersten Azubi“, erzählt er.
Mehr aus der Region
- TriBühne Norderstedt: Grünes Licht für große Sanierung
- Hillwood: US-Megaprojekt von Gericht gestoppt - Landespolitik schaltet sich ein
- Aussteiger mit 53: Er beginnt neues Leben in Papua-Neuguinea
Der fängt in einem Unternehmen an, in dem nach wie vor ziemlich klassische Werte gelten. Ob man denn zu den größten Messebauern in Europa zählt? Möglicherweise schon, aber man gibt sich bei sowas bedeckt, „wir sind Hanseaten“, sagt Joachim Goers. Und betont: „Bei uns geht es um langfristige Perspektiven, nicht um kurzfristige Gewinne. Wir sind ein Familienunternehmen. Unsere Familie lebt den Messebau.“