Kreis Segeberg. Herzschmerzen? Arthrose? Wer zum Kardiologen oder Orthopäden will, braucht Geduld. Praxen telefonisch nicht erreichbar. Die Ursachen.

Wer kennt das nicht: Der Facharzt hat Zeit, aber erst in sechs Monaten. Wer das schmerzende Knie beim Orthopäden, die schwindende Sehkraft beim Augenarzt oder die Magenschmerzen beim Gastroenterologen untersuchen lassen will, braucht Geduld. Wie kommt es zu den langen Wartezeiten, und wie lassen sie sich vermeiden?

„Weil ein Facharzt – wie alle niedergelassenen Ärzte – ein Budget hat und dieses nicht überschreiten möchte, um die eigenen Ressourcen wie unbezahlte Verbrauchsmittel, Energie und Überstunden der Medizinischen Fachangestellten (MFA) zu sparen“, sagt der Vorsitzende der Ärztegenossenschaft Nord eG, Dr. Svante Gehring, der zusammen mit Kolleginnen eine Hausarztpraxis am Herold-Center in Norderstedt betreibt.

Herzschmerzen? Arthrose? Das lange Warten auf den Facharzt

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) steht bei vielen  Ärzten in der Kritik.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) steht bei vielen Ärzten in der Kritik. © IMAGO/dts Nachrichtenagentur | IMAGO/dts Nachrichtenagentur

Außerdem habe Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Honorare für Neupatienten gestrichen und die Akutüberweisung vom Hausarzt zum Facharzt eingeführt. Die Folge: Jeder Patient und jede Patientin fühle sich als akuter Fall „möchte auch mit Bagatellbeschwerden zum Facharzt überwiesen werden“. Zudem brauche jeder Arzt sogenannte Verdünnerscheine, also Fälle, die wenig Zeit und Ressourcen kosten, um zu überleben.

„Die Fallpauschalen und Budgets, das heißt, wie viele Patienten und Leistungen bekommt der Arzt vergütet, für Fachärzte sind teils so niedrig, dass sich maximal ein Kontakt im Quartal rechnet, und dieser Arzt ohne Privatleistungen nicht überleben kann“, ergänzt der Norderstedter Mediziner. Ohnehin fehle eine angemessene Vergütung. Ein Beispiel: Die Ausbildung, um eine komplexe und komplette Oberbauchsonografie vornehmen zu dürfen, dauere mehr als ein Jahrzehnt.

Arzt bekommt 15 Euro für komplexe Oberbauchsonografie

Der Norderstedter Arzt Dr. Svante Gehring  übt Kritik an der Vergütung ärztlicher Leistungen.
Der Norderstedter Arzt Dr. Svante Gehring übt Kritik an der Vergütung ärztlicher Leistungen. © Privat | Privat

Mit Dokumentation und Patientenaufklärung brauche er für eine solche Untersuchung mindestens eine halbe Stunde, vergütet werde sie mit 15 Euro, soweit sie überhaupt noch ins Budget passt, sonst arbeite er umsonst. Als Hausarzt bekomme er eine Fallpauschale von etwa 55 Euro pro Quartal und Patient. Damit sollen alle weiteren Leistungen z.B. bei chronisch kranken Patienten wie ein EKG und mehrere Sprechstundentermine abgegolten sein.

„Zum einen trifft eine hohe Nachfrage durch Patienten auf Praxen, die bereits am Limit arbeiten, zum anderen werden Online-Terminbuchungen noch deutlich zu wenig vorgenommen.“ So erklärt Nikolaus Schmidt von der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein (KVSH) in Bad Segeberg das lange Warten auf einen Facharzttermin. Leider würden auch unverhältnismäßig viele Termine gebucht, die dann nicht abgesagt würden. Akute Beschwerden hätten medizinisch Vorrang vor Kontrolluntersuchungen oder Vorsorgemaßnahmen. Auch dadurch komme es zu Wartezeiten.

Es kommt zu langen Wartezeiten, weil Praxen schließen, vor allem auf dem Land

„Sofern ein kurzfristiger Termin medizinisch erforderlich ist, wird dieser über die Terminservicestelle 116 117 (TSS) vermittelt, wenn eine Überweisung vorliegt. Ein Facharzttermin wird über die über TSS innerhalb von vier Wochen vermittelt“, sagt Schmidt. Es gebe zudem die Hausarzt-Facharzt-Überweisung – sieht der Hausarzt eine hohe medizinische Dringlichkeit, könne er selbst eine Terminvermittlung beim Facharzt initiieren.

„Häufiger Grund für die langen Wartezeiten ist ein Versorgungsmangel, vor allem auf dem Land. Praxen schließen, ohne dass eine Nachfolge sichergestellt werden kann“, sagt Nicole Brandstetter von der Ärztekammer Schleswig-Holstein. Hinzu komme, dass bei der Behandlung von gesetzlich versicherten Patienten die Fallzahlen und auch die Leistung durch den Gesetzgeber begrenzt werden. Das führe häufig dazu, dass es für Patienten lange dauert, bis sie einen Termin beim Facharzt bekommen.

Herzschmerzen? Arthrose? Das lange Warten auf den Facharzt

Immer häufiger sind Praxen telefonisch nicht erreichbar, um einen Termin zu vereinbaren. „Die Praxen arbeiten bereits am Limit und müssen selbstständig ihre Prioritäten setzen. Nicht zuletzt ist der Fachkräftemangel auch in den Praxen angekommen“, sagt der Sprecher der KVSH. „Es rufen unendlich viele Patienten an. Wir haben drei MFA rund um die Uhr nur am Telefon, die bezahlt werden wollen, gleichzeitig werden über Anrufbeantworter, E-Mail und App bis zu 100 Anfragen zusätzlich beantwortet. Für all diese Leistungen werden wir mit keinem Cent vergütet“, sagt Gehring.

Halten Sie die Online-Terminvergabe für eine sinnvolle Alternative? „Dadurch kommt es zu einer Selektion von Patienten, wenn sich niemand um einen Termin kümmert. Alte, multimorbide, chronisch kranke Patienten haben das Nachsehen. Dass ein Arzt bewusst diese Selektion betreibt, kann ich mir aus meiner ethischen Verantwortung heraus nicht vorstellen, aber das bestehende System macht uns alle krank.“

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 „Ärztinnen und Ärzte müssen dann auch in Kauf nehmen, dass Patienten sich eine andere Arztpraxis suchen“, sagt Nicole Brandstetter von der Ärztekammer. Patienten und Patientinnen haben die freie Arztwahl und können sich einen anderen suchen, wenn sie mit einem Mediziner unzufrieden sind, weil Termine nur online vergeben werden.