Norderstedt/Kiel. Spielsüchtiger Geschäftsmann klagte erfolgreich vor Landgericht Kiel. So wie Tausende Zocker vor Gerichten in ganz Deutschland.

Ein Norderstedter Geschäftsmann hat bei Online-Sportwetten ein ganzes Vermögen verzockt. Und nun hat er es sich in großen Teilen vor dem Landgericht wieder zurückgeholt. Der spielsüchtige Zocker steckte in fünf Jahren zwischen 2014 und 2019 fast 700.000 Euro in die ungewisse Chance auf den schnellen Gewinn im Netz beim Anbieter Bet-at-home. Unter illegalen Umständen, wie die 2. Zivilkammer des Landgerichts in Kiel urteilte. Deswegen wurde der Anbieter mit Sitz auf der Steueroase Malta jetzt dazu verdonnert, dem Mann aus Norderstedt 312.348,72 Euro nebst fünf Prozent Zinsen, also weitere 74.062,39 Euro, zu bezahlen.

Doch ob der Norderstedter mit dem Urteil in den Händen nun tatsächlich irgendwann sein Geld zurückbekommt, das steht noch in den Sternen. Denn Bet-at-home wird das Urteil in der nächsten Instanz vor dem Oberlandesgericht anfechten. Dort sind der Norderstedter und Bet-at-home nur ein Fall von mehr als einem Dutzend weiteren anhängigen Berufungsverfahren vieler weiterer Wett- und Glücksspielanbieter. Und dass Zocker gegen die Glücksspielbranche klagen und versuchen, ihre verlorenen Euro vor Gericht wiederzubekommen, beschäftigt bundesweit etliche Gerichte mit Tausenden von Klagen.

Wettanbieter muss Norderstedter 400.000 Euro zurückzahlen

Und in den meisten Fällen bekamen die Kläger, so wie der Geschäftsmann aus Norderstedt, Recht. Denn ihre Klagen fußen alle auf dem simplen Fakt, dass es vor 2020 keine deutschlandweiten Konzessionen für Online-Glücksspiele und Sportwetten gab, die Angebote also schlicht illegal waren. Konzessionen gibt es für die Anbieter erst seit dem Juli 2021, als ein Staatsvertrag für eine bundeseinheitliche Regelung in allen 16 Bundesländern sorgte, verbunden mit Auflagen für die Anbieter wie etwa ein Einzahlungslimit von 1000 Euro im Monat, einem maximalen Spin-Einsatz von einem Euro oder dem Verbot von Live-Casinos und Tischspielen.

Einen Sonderweg war Schleswig-Holstein 2011 gegangen, als es ein auf seine Landesgrenzen bezogenes Gesetz zur Legalisierung von Online-Glücksspielen erließ. Das führte zu der bekannten Einschränkung in TV-Werbespots für entsprechende Angebote: „Dieses Angebot gilt nur für Personen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthaltsort in Schleswig-Holstein.“

Im Fall des Norderstedter Geschäftsmannes stellte das Landgericht fest, dass Bet-at-home im Jahr 2012 auf dieser Basis die Lizenz erhielt, um Glücksspiele und Sportwetten online anzubieten, dann das Angebot online aber so gestaltete, dass bundesweit gezockt und gewettet werden konnte. Und das war nach Auffassung des Gerichtes illegal. Die Lizenz aus Schleswig-Holstein sei ergo gar nicht verwendet worden.

Spielsucht: Norderstedter wusste nicht, dass der Anbieter keine Lizenz hatte

Der Norderstedter eröffnete 2014 sein Spielerkonto bei Bet-at-home. In all den Jahren des Spielens habe er nie Kenntnis davon gehabt, dass Bet-at-home gar nicht die Konzession zum Anbieten der Sportwetten und Glücksspiele hatte, heißt es im Urteil des Gerichtes. Erst im Jahr 2020 seien ihm Zweifel gekommen, nachdem er eine Anwaltswerbung gesehen habe. Tatsächlich suchte er danach den Rat eines Rechtsanwaltes. Doch dieser habe ihm – in mutmaßlicher Unkenntnis der rechtlichen Lage – gesagt, dass „das in Schleswig-Holstein wohl erlaubt sei“. Darauf habe der Norderstedter seine Zweifel zunächst verworfen. Erst 2023 habe von seiner neuen Anwältin erfahren, dass die Dinge anders liegen.

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Bet-at-home sei „jedoch bereits damals bewusst gewesen, dass das Betreiben einer derartigen Internetseite rechtswidrig sei“, heißt es im Urteil weiter. Tatsächlich findet man in den damaligen Geschäftsbedingungen den Hinweis, „dass je nach Heimatland oder Aufenthaltsstaat des Kunden die Spielteilnahme möglicherweise illegal sei und es im ausschließlichen Verantwortungsbereich des Kunden liege, sich hierüber zu informieren.“

Verlust soll samt Zinsen zurückerstattet werden

Die Spielsucht habe 2015 eingesetzt, sagte der Norderstedter vor Gericht. Er habe zunächst sein vorhandenes Einkommen und anschließend erhebliche Rücklagen verspielt. Er legte Aufzeichnungen vor, wonach er im Zeitraum vom 19. Februar 2014 bis zum 1. November 2019 Beträge im Gesamtwert von 691.827 Euro bei Bet-at-home auf sein Kundenkonto eingezahlt habe. Ausbezahlt wurden in diesem Zeitraum 379.478,28 Euro, das macht einen Verlust von 312.348,72 Euro. Der Norderstedter forderte nun dieses Geld samt Zinsen von Bet-at-home zurück. Es liege eine „ungerechtfertigte Bereicherung“ vor, der Anbieter habe gegen den Glücksspielstaatsvertrag verstoßen, das Kundenverhältnis zwischen ihm und dem Anbieter sei damit nichtig.

Die Gegenseite beantragte, dass der Fall abgewiesen wird. Wie andere Anbieter auch beruft sich Bet-at-home darauf, dass in einem Konzessionserteilungsverfahren 2012/13 eine von 20 deutschlandweiten Konzessionen verbindlich in Aussicht gestellt worden sei, und dass nach Abbruch des Genehmigungsverfahrens eine Duldung der Sportwettenangebote bestanden habe. Im Übrigen bestritt der Wettanbieter die Höhe der angeblich eingezahlten etwa 700.000 Euro. Aus seiner Sicht handele es sich dabei nur um eine selbst erstellte Übersicht des Klägers.

Urteil gegen Wettanbieter bestätigt Kläger

Doch das Gericht folgte in seinem Urteil all diesen Argumenten nicht und gab dem Norderstedter Geschäftsmann vollumfänglich recht. Dieser habe aus den Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht entnehmen können, dass auch die vom Kläger getätigten Sportwetten gesetzlich verboten waren. Dort sei dem Norderstedter lediglich die Informationspflicht auferlegt worden. „Ein konkreter Hinweis auf die Situation am Wohnort des Beklagten fehlte.“

Dass die Internetseite zudem vollständig in deutscher Sprache gehalten war, einschließlich der Allgemeinen Geschäftsbedingungen und weiterer Kundeninformationen, ließ gerade nicht vermuten, dass das angebotene Online-Glücksspiel in Deutschland illegal war, urteilte die Zivilkammer. „Dem Kläger ist vor diesem Hintergrund das zu erstatten, was er an die Beklagte ohne Rechtsgrund geleistet hatte, also seine Einzahlungen abzüglich der Auszahlungen. Eine Gegenleistung, nämlich die erhaltene Spielmöglichkeit und Gewinnchance, ist nicht in Abzug zu bringen“, heißt es im Urteil.

Wettanbieter: Grundsatzurteil vom Europäischen Gerichtshof erwartet

Ob das Urteil Bestand haben wird und ob auch die Tausenden von anderen deutschen Zockern irgendwann ihr Geld zurückbekommen werden, das wird wohl final vor dem Bundesgerichtshof (BGH) und in letzter Instanz vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) entschieden. Denn Bet-at-home, Tipico und viele andere Wettanbieter verweisen darauf, dass sie als in Malta oder Gibraltar lizenzierte Unternehmen nach der EU-Dienstleistungsrichtlinie ihre Geschäfte auch in Deutschland betreiben dürften. Entsprechend warten das Oberlandesgericht Schleswig und andere deutsche Gerichte derzeit ab mit ihren Entscheidungen. Es bleibt abzuwarten, ob der spielsüchtige Norderstedter einen letzten großen Gewinn machen wird oder sein Geld am Ende abschreiben muss.