Kreis Segeberg. Mittelstandsunion sieht zu niedrige Hürden beim Krankschreiben. „Merkwürdiges Menschenbild“, sagt Norderstedts SPD-Mann im Bundestag.
- Mittelstandunion der CDU sieht Belastung der Wirtschaft durch Krankenstand
- Es werde Arbeitnehmern „zu leicht gemacht“, sich krankschreiben zu lassen
- Bengt Bergt (SPD) spricht von „Schlag ins Gesicht der Arbeitnehmer“
Wer leicht erkrankt, etwa an einem grippalen Infekt, der braucht sich nicht mehr in seine Hausarztpraxis zu begeben, um seine Krankschreibung zu bekommen. Diese ist nach wie vor telefonisch in Absprache mit der Praxis möglich, für bis zu fünf Kalendertage. Die während der Corona-Pandemie eingeführte Regelung wurde von der Bundesregierung verlängert, weil dadurch Arztpraxen entlastet würden und sich die Gefahr der Ansteckung von Menschen in vollen Wartezimmern reduziere.
Doch die Mittelstands- und Wirtschaftsunion Schleswig-Holstein (MIT) fordert nun die Abschaffung der telefonischen Krankmeldung. Und sie behauptet, dass es den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu leicht gemacht werde, sich am Arbeitsplatz abzumelden. Entsprechend sei die telefonische Krankmeldung und nicht nur grassierende Viren oder Bakterien für die Rekord-Krankschreibungszahlen in Schleswig-Holstein mitverantwortlich.
„Hürde zu niedrig!“: MIT fordert Abschaffung der Telefon-Krankschreibung
„Noch nie haben sich in Deutschland so viele Arbeitnehmer krankgemeldet wie heute. Mit der dauerhaften gesetzlichen Verankerung der telefonischen Krankschreibung – einer Maßnahme aus Corona-Zeiten – sind die Hürden für eine Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung offenbar zu niedrig geworden“, teilt der MIT-Landvorsitzende Stefan Lange am Montag mit und schließt sich dem Beschluss seines Bundesvorstandes in Berlin an, der die Aufhebung der telefonischen Krankschreibung forderte.
Der hohe Krankenstand werde zu einer Belastung für die Wirtschaft. „Corona ist vorbei. Fest steht: 1,6 Millionen Stellen können derzeit in Deutschland nicht besetzt werden, weil Arbeits- und Fachkräfte fehlen. Vor diesem Hintergrund werden die Betriebe durch die telefonische Krankschreibung weiter zusätzlich und völlig unnötig belastet. Damit muss Schluss sein“, sagt Lange.
Arbeitsunfähigkeit: Wirtschaftsleistung beeinträchtigt
Im ersten Quartal 2024 habe der Krankenstand in Deutschland bei fast 7 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gelegen – und damit höher als in den beiden Vorjahresquartalen. Für das Gesamtjahr 2023 komme das Bundesgesundheitsministerium auf einen Krankenstand von 6,07 Prozent, mehr noch als in den Corona-Jahren 2021 und 2022, teilt Lange mit.
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Das Kieler Institut für Weltwirtschaft käme zu dem Schluss, dass die Wirtschaftsleistung in Deutschland wegen des hohen Krankenstands in den beiden vergangenen Jahren jeweils rund 1 Prozent niedriger als möglich war. „Die telefonische Krankschreibung hätte nach dem Ende der Pandemie nie zum Dauerzustand werden dürfen. Es wird Zeit, die Hürden für eine Krankschreibung wieder zu normalisieren.“
SPD-Bundestagsabgeordneter Bengt Bergt kritisiert CDU
Kritik an der Forderung der Wirtschaftsunion kommt von Bengt Bergt, dem Bundestagsabgeordneten der SPD für den Kreis Segeberg: „Die CDU will, dass man sich bei kleinen Erkrankungen wie einem grippalen Infekt wieder zum Arzt schleppt. Als ehemaliger Betriebsrat bin ich entsetzt, das ist ein Schlag ins Gesicht für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer! Die Einstellung der CDU zeugt von einem merkwürdigen Menschenbild und grundlosem Misstrauen gegenüber den Beschäftigten.“
Die telefonische Krankschreibung sei nur im begrenzten Rahmen möglich: „Nur Patienten, die in der Praxis bekannt sind, dürfen telefonisch krankgeschrieben werden, und auch nur maximal fünf Tage. Die Telefon-Regelung hat sich in der Pandemie bewährt. Will die CDU ernsthaft, dass Erkrankte andere Patienten in den Arztpraxen anstecken?“, fragt Bergt. „Statt Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Sozialleistungsmissbrauch zu unterstellen, sollten wir lieber mehr für ihre Gesundheit tun – das würde im Übrigen auch die Kosten der Arbeitgeber deutlich verringern.“
Die Reaktion auf den steigenden Krakenstand könne nicht sein, dass die Menschen länger arbeiten, wie es die CDU wolle, so Bergt. „Das wäre eine Rentenkürzung und ein weiterer Rückschlag für die Gesundheit. Wichtig ist stattdessen, Patienten und Praxen zu entlasten und das Gesundheitswesen zu modernisieren. Die telefonische Krankschreibung, die Einführung der E-Akte und des E-Rezepts sind dafür gute Beispiele. Wir sind auf einem guten Weg.“
Krankschreibung: In Schleswig-Holstein auf Rekordniveau
Der Krankenstand in Schleswig-Holstein lag laut einer Auswertung der AOK NordWest in Schleswig-Holstein in den vergangenen zwei Jahren auf Rekordniveau. Die Gesamtbilanz der Krankmeldungen bei den etwa 357.000 bei der Krankenkasse versicherten Arbeitnehmer lag 2023 in Schleswig-Holstein bei 6,9 Prozent. Damit hätten die Fehlzeiten noch einmal gegenüber dem bisherigen Höchststand aus 2022 mit 6,7 Prozent deutlich zugelegt, so die AOK NordWest. Die Erwerbstätigen fehlten durchschnittlich an 25,3 Tagen im Job. Im Vorjahr waren es noch 24,6 Tage. Ursache für das hohe Krankheitsgeschehen seien zwei Erkältungswellen im Frühjahr und Spät-Herbst mit tausenden zusätzlichen Atemwegserkrankungen gewesen, so die AOK.
Laut einer Erhebung der Krankenkasse DAK ist der Krankenstand der Beschäftigten in Schleswig-Holstein im ersten Quartal 2024 mit 5,9 Prozent weiterhin hoch. Im Durchschnitt seien an jedem Tag von 1000 erwerbstätigen DAK-Versicherten 59 krankgeschrieben. Zum Vergleich: Im Rekordjahr 2023 habe der Krankenstand nur um 0,2 Prozentpunkte (6,1 Prozent) höher gelegen und liegt nun knapp über dem Bundesschnitt (5,8 Prozent). Für den meisten Arbeitsausfall hätten Atemwegserkrankungen gesorgt.