Bad Segeberg. Schon 1952 waren die Karl-May-Spiele im Fernsehen zu sehen. Auch in späteren Jahren wurde in Bad Segeberg immer wieder gedreht.

Winnetou und das Deutsche Fernsehen – das ist eine spannende Geschichte mit vielen erstaunlichen Wendungen. Tatsache ist: Das Fernsehen und die Karl-May-Spiele starteten vor 71 Jahren, und seitdem sind beide fest miteinander verbunden. Winnetou und Old Shatterhand gehörten zu den ersten die vor 71 Jahren, noch vor Beginn des täglichen Sendebetriebs, live im Fernsehen auftraten. In den darauf folgenden Jahrzehnten wurde viele Aufführungen am Segeberger Kalkberg in voller Länge aufgezeichnet und gesendet.

Es gibt über die Jahrzehnte gesehen nicht viele Ereignisse, die zum festen Fernsehbestandteil gehörten. Die Übertragungen aus dem Ohnsorg-Theater gehören dazu, die Stücke der Kölner Millowitsch-Bühne, aber auch die Karl-May-Inszenierungen aus Bad Segeberg.

Regisseur Udo Langhoff und seine Mitarbeiter bei den Vorbereitungen für die TV-Aufzeichnungen der Karl-May-Spiele in Bad Segeberg.
Regisseur Udo Langhoff und seine Mitarbeiter bei den Vorbereitungen für die TV-Aufzeichnungen der Karl-May-Spiele in Bad Segeberg. © Unbekannt | Archiv Nicolas Finke

Als die Segeberger Spiele bis zu 25 Prozent Sehbeteiligung erreichten

Sie mögen keine spektakulären „Straßenfeger“ wie die Theaterübertragungen aus Hamburg und Köln gewesen sein, eine Sehbeteiligung von bis zu 25 Prozent machten die Wild-West-Spiele aus der schleswig-holsteinische Provinz trotzdem zu einem lukrativen Geschäft für den NDR und die Karl-May-Spiele. Nur die Schauspieler, die gingen leer aus. Die erhielten lange keine zusätzliche Gage für die TV-Aufzeichnungen.

Die Geschichte des Fernsehens in Deutschland begann eigentlich 1935: Am 22. März des Jahres wurde in Deutschland das erste regelmäßige Fernsehprogramm der Welt live über den Fernsehsender Paul Nipkow in Berlin ausgestrahlt. Im Herbst 1944 wurde der Sender eingestellt. So richtig begann es 17 Jahre später. Am 25. Dezember 1952 wurde der offizielle Sendebetrieb mit dem NWDR-Fernsehen wieder aufgenommen. Aber schon vorher gab es mehrfach in der Woche Versuchsprogramme – unter anderen mit den Schauspielern der Segeberger Karl-May-Spiele.

Wie der Segeberger Stadtinspektor es schaffte, Winnetou ins Fernsehen zu bringen

Obwohl er vermutlich keinen Fernsehapparat besaß (damals gab es in Deutschland gerade mal 300 Geräte in Privathaushalten), erkannte Stadtinspektor und „Motor“ der Winnetou-Festspiele, Hans-Heinrich Kröger, früh die Bedeutung dieses Mediums. Er nahm Kontakt zum NWDR auf und schaffte es tatsächlich, die Segeberger Wild-West-Spiele in das aktuelle Programm zu bringen, bevor das Fernsehen einen regelmäßigen Sendebetrieb aufnahm.

Karl-May-Experte und Buchautor Nicolas Finke hat sich die Mühe gemacht, im Bundesarchiv Koblenz zu forschen und ist dabei auf diese Protokollnotiz vom 3. September 1952 gestoßen: „21.28 Ein Plakat der Winnetou-Festspiele. Dann eine Szene vor einem Prairie-Hintergrund zwischen Winnetou und Old Shatterhand (2 Minuten), leider akustisch topfig. Oberspielleiter Ludwig über: wie es zu den Festspielen kam. Halbtotale von vorn. Dann Frau Jacobi, die Kostüme dazu entwarf. Wieder Jacobi. Eine neue Spielszene Winnetou, Old Sh. Und eine Tote (ein Mädchen).“ Um 21.43: „Feldmann Absage, wobei sie die Namen abliest.“ Angelika Feldmann war damals Programmansagerin.

Die „Tagesschau“ berichtete über jede Premiere am Kalkberg

NWDR-Redakteur Udo Langhoff hatte diesen Programmpunkt gegen viele Widerstände durchgesetzt. Ihm ist es auch zu verdanken, dass es 1957 zur ersten Direktübertragung einer TV-Fassung der Karl-May-Spiele kam. In der „Tagesschau“ wurde über die Spiele bereits am 30. Juli 1954 berichtet. Premieren der Karl-May-Spielen in Bad Segeberg gehörten in Folgejahren zu „Pflichtterminen“ der „Tagesschau“.

Intendant Harry Walther (links) und TV-Regisseur Udo Langhoff (Mitte) im Regiewagen Mitte der 1970er-Jahre.
Intendant Harry Walther (links) und TV-Regisseur Udo Langhoff (Mitte) im Regiewagen Mitte der 1970er-Jahre. © Unbekannt | Archiv Nicolas Finke

Als Langhoff 1957, inzwischen Leiter des ARD-Nachmittagsprogramms, mit der Übertragung der Aufführungen begann, wurde damit eine Tradition begründet, die 1981 endete und erst 1998 für einige Jahre wieder aufgenommen wurde. Udo Langhoff selbst setzte sich 1966 für einen Wandel der Spiele ein. Er forderte den Intendanten auf, sich von den „endlosen Tiraden“ der Karl-May-Bücher zu lösen und moderne Dialoge anzulegen. Er forderte mehr „artistische Darbietungen“ bei den Kampfszenen und den Einbau einer Mikrophonanlage.

Carlo von Tiedemann verjuxte die Karl-May-Spiele

Nach Langhoffs Ausscheiden im Jahre 1977 verflachte das Interesse des NDR an der Übertragung der Karl-May-Spiele. Zuletzt wurde 1981 eine zusammengeschnittene Fassung gesendet, von Carlo von Tiedemann kommentiert und als Comedy-Verschnitt verkauft. Dann war zunächst Schluss mit Übertragungen der Karl-May-Spiele.

1995 sendete der NDR im dritten Fernsehprogramm eine 45-minütige Reportage über die Segeberger Spiele, aber so richtig weiter ging es erst 1998. Der NDR zeichnete wieder ein komplettes Stück auf. „Unter Geiern – Der Geist des Llano Estacado“ stand damals auf dem Programm. Regisseur war Jürgen Lederer, Winnetou wurde von Gojko Mitic gespielt. Verantwortlich war nun das NDR-Landesfunkhaus Kiel.

Karl-May-Spiele einmal ganz anders: Martin Semmelrogge, Claude Oliver Rudolph, Jan Fedder und Martin May (von links) drehten 2010 für die TV-Serie „Großstadtrevier“ bei den Karl-May-Spielen in Bad Segeberg, Semmelrogge war 2009 Gaststar am Kalkberg.
Karl-May-Spiele einmal ganz anders: Martin Semmelrogge, Claude Oliver Rudolph, Jan Fedder und Martin May (von links) drehten 2010 für die TV-Serie „Großstadtrevier“ bei den Karl-May-Spielen in Bad Segeberg, Semmelrogge war 2009 Gaststar am Kalkberg. © Unbekannt | dpa Picture-Alliance

Bis 2010 übertrug der NDR die Karl-May-Spiele wieder regelmäßig

Bis 2010 übertrug der NDR die Segeberger Spiele regelmäßig (mit einer Ausnahme im Jahre 2000), dann war Schluss. „Der Aufwand wurde einfach zu groß“, sagt Michael Stamp, Pressesprecher der Karl-May-Spiele und seit zweieinhalb Jahrzehnten auch Autor der Bühnenfassungen. „Die Aufnahmetermine mussten viele Monate vorher vereinbart werden, damit wir für die jeweiligen Vorstellungen einige Hundert Karten weniger verkaufen, um Platz für die Kameras und das Equipment zu schaffen.“

Wer Interesse hatte, konnte sich im Jahr nach den TV-Sendeterminen die Aufzeichnungen als VHS-Kassetten oder DVDs kaufen – in den Jahrzehnten zuvor gab es diese Möglichkeit natürlich noch nicht. Zwar landeten alle Fernsehaufzeichnungen im NDR-Archiv, aber dort gibt es nur noch die neueren zwischen 1998 und 2010 sowie die Aufzeichnungen von 1978 bis 1981. Alles andere wurde gelöscht – und zwar mit „redaktioneller Zustimmung“, wie Autor Nicolas Finke 2003 vom NDR erfuhr.

Im NDR-Archiv wurden alte Filme und Aufzeichnungen rigoros gelöscht

Diese Löschungsvorgänge betrafen nicht nur die Karl-May-Spiele, sondern viele andere Produktionen, die nun für immer verschwunden sind. Beim NDR wurde diese Archivbereinigung im späteren Jahre sehr bedauert und als regelrechten Kulturschock betrachtet. Heute kann niemand mehr nachvollziehen, warum mit den Aufzeichnungen so nachlässig umgegangen wurde.

Auch die Stadt Bad Segeberg hat sich nicht gerade vorbildlich verhalten. Jahrelang wurden in einem stadteigenen Karl-May-Archiv Kopien der TV-Aufzeichnungen aufbewahrt, irgendwann aber waren sie nicht mehr auffindbar. Weggeworfen, gelöscht, kein Interesse – niemand kann es heute mehr sagen. Für die heutige Kalkberg GmbH ist das ein doppeltes Ärgernis, zumal es auch keine privaten Aufzeichnungen aus der Frühzeit der Karl-May-Spiele geben dürfte.

Heute sind alle TV-Sender regelmäßig zu Gast bei den Karl-May-Spielen

Über ein mangelndes Interesse der deutschen TV-Anstalten in Sachen Karl May kann sich die Kalkberg GmbH auch heute nicht beschweren. Zwar werden keine Inszenierungen mehr komplett aufgezeichnet, aber die meisten Sender berichten über die Spiele. ARD, ZDF, RTL und viele kleinere Sender waren vor Ort, besonders ausgiebig hat in diesem Jahr jedoch SAT 1 gesendet: An fünf Tagen hintereinander wurde über die Proben und vieles andere rund um die Inszenierung berichtet.

Autor Michael Stamp lässt die jeweiligen Inszenierungen ebenfalls filmen, aber diese Aufnahmen sind nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.

Nicolas Finke und Reinhard Marheinecke haben in ihrem Buch „Karl May auf der Bühne, Band 1“ über die Karl-May-Spiele und das Fernsehen geschrieben. Das Buch ist im Karl-May-Verlag, Bamberg erschienen. Ausführlichere Berichte darüber sind in älteren Ausgaben des Karl-May-Magazins „Karl May & Co“ enthalten, die Nicolas Finke den Hamburger Abendblatt zur Verfügung gestellt hat.