Norderstedt. Fachkräftemangel spitzt sich zu und wird in Kitas spürbar – Kreis Segeberg will Prämien für künftige Fachkräfte zahlen.
Die Stadt Norderstedt und der Kreis Segeberg schlagen Alarm: Es fehlen Betreuungskräfte für die Kitas. Der Mangel an Erzieherinnen und Erziehern lasse sich kaum noch kompensieren, die Lücken in der Personaldecke würden weiter wachsen. „Wir sind am Limit“, sagt Norderstedts Sozialdezernentin Anette Reinders.
17 Stellen in den städtischen Kitas seien unbesetzt, etwa fünf bis sechs Prozent der Gesamtzahl an Stellen. Hinzu kämen Ausfallzeiten durch Krankheit, Urlaub oder Schwangerschaft. Die Folge: Aktivitäten und Angebote müssten eingeschränkt, Spät- und Frühdienste könnten nicht immer gewährleistet werden.
Erzieher-Mangel in Kitas: 17 Stellen in Norderstedt sind unbesetzt
Noch dramatischer zeigt sich der Fachkräftemangel auf Kreisebene: Einzelne Gruppen müssten geschlossen werden, Kitas überlegten, Gruppenzeiten zu verkürzen, neue Gruppen zu eröffnen, werde erschwert. Der Stellenschlüssel von zwei Fachkräften pro Gruppe bei den Elementarkindern werde immer häufiger auf 1,5 reduziert und damit die Ausnahme zur Regel, schreibt der zuständige Fachdienst des Kreises Segeberg in seiner Stellungnahme für den Jugendhilfeausschuss.
Um gegenzusteuern, fordert die Norderstedter Politik, dass die Stadt eine eigene Schule für die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern bekommen muss. „Das sollte doch in der inzwischen viertgrößten Stadt Schleswig-Holsteins möglich sein“, sagt CDU-Stadtvertreterin Petra Müller-Schönemann, Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses. „Diese Forderung haben wir schon wiederholt gegenüber dem Land geäußert“, sagt Sozialdezernentin Reinders. Sie geht davon aus, dass sich Politiker parteiübergreifend mit der Verwaltung zusammensetzen werden, um einen Brandbrief an Sozialminister Heiner Garg (FDP) zu schreiben, denn: Bisher lehnt das Land die Forderung ab.
Kinderbetreuung: Es fehlen Schulen für die Ausbildung
Der Grund: Es ist nur eine Fachschule pro Landkreis vorgesehen, und für den Kreis Segeberg ist die Ausbildung in Bad Segeberg angesiedelt. Allerdings hat das Land ein Sondermodell für Norderstedt genehmigt: die Praxis integrierte Ausbildung (PiA). Drei Jahre lang lernen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer alles, was sie für ihre künftige Arbeit in den Kitas brauchen. Drei Tage Theorie, zwei Tage sind sie in den Alltag einer Kita eingebunden. Wesentlicher Vorteil: Von Beginn an wird die Ausbildung vergütet.
Das Berufsbildungszentrum (BBZ) stellt die Lehrenden, das BBZ Norderstedt die Räume. Im Sommer 2019 ist PiA im Kreis Segeberg gestartet, der erste Jahrgang wird im kommenden Sommer fertig. „Das ist ein guter Anfang, reicht aber bei weitem nicht, um den Bedarf an Fachkräften zu decken“, sagt Ursula Wagner vom Kitawerk des Kirchenkreises Hamburg-West/Südholstein, das in Norderstedt zehn Kitas betreibt. Zwölf Stellen seien unbesetzt, auch hier arbeiteten die Betreuungskräfte am Limit. Daher unterstütze sie den Norderstedter Vorstoß nach einer eigenen Ausbildungsschule für Kita-Fachkräfte ausdrücklich.
Das gilt auch für Ulf Bünning, der bestätigt, dass der Erzieher-Markt leer gefegt sei: „Hier klaffen der Anspruch einer möglichst guten Betreuung und Bildung einerseits und die Wirklichkeit in den Einrichtungen auseinander“, sagt der Geschäftsführer des Vereins „Der Kinder wegen“, der in Norderstedt sechs Einrichtungen betreibt. Mit Sorge blickt er auf das nächste Jahr, wenn der Verein zwei neue Einrichtungen eröffnen wird und mindestens 20 weitere Fachkräfte braucht. Und der Mangel werde sich verschärfen, denn: Von August 2026 an gibt es einen gesetzlichen Anspruch auf Tagesbetreuung an den Grundschulen – die Nachfrage nach Erzieherinnen und Erziehern wird zunehmen.
Kinderbetreuung: Norderstedt will Fachkräfte ausbilden
Norderstedt möchte den Erziehernachwuchs auf zwei Säulen ausbilden: PIA soll ausgebaut werden, das Norderstedter BBZ möchte nicht nur die Räume, sondern auch die Dozenten stellen und stehe in den Startlöchern, wie Reinders sagt, zumal dort Sozialpädagogische Assistenten und Assistentinnen ausgebildet werden – sie stellen die Hälfte der Fachkräfte in den Kitas, Erzieher und Erzieherinnen die anderen 50 Prozent.
Zweite Säule soll eine klassische Fachschule werden, denn PiA richtet sich eher an Quereinsteiger, Menschen, die schon eine Berufsausbildung haben. Mit der Fachschule, die ebenfalls beim BBZ angesiedelt werden soll, will die Stadt junge Leute für den Beruf gewinnen, die gerade die Schulzeit beendet haben. „So können wir junge Leute aus Norderstedt und Umgebung ansprechen, denn die fahren nicht extra nach Bad Segeberg oder Neumünster, um eine Erzieherausbildung zu beginnen“, sagt Reinders.
In Kiel gibt es Rückendeckung für die Pläne der Stadt: „Ich unterstütze Norderstedt bei der Forderung nach einer eigenen Erzieherausbildung voll und ganz“, sagt die Norderstedter CDU-Landtagsabgeordnete Katja Rathje-Hoffmann. Das jetzige Konstrukt sei nicht ausreichend und habe mit dem Ausbildungsschwerpunkt in Bad Segeberg einen falschen Schwerpunkt, denn: Die meisten Menschen leben im Süden des Kreises. Sie wolle sich weiter dafür einsetzen, dass der Norderstedter Wunsch Wirklichkeit wird.
Kinderbetreuung: Unterstützung vom Kreis Segeberg
„PiA wird in Norderstedt zwar am BBZ in Norderstedt angeboten, allerdings in viel zu geringem Umfang“, sagt die SPD-Landtagsabgeordnete Katrin Fedrowitz. Hinzu komme die fehlende Attraktivität des Erzieherberufes. In Schleswig-Holstein verdienten Erzieherinnen und Erzieher weniger als in Hamburg, hätten aber vor allem in der Metropolregion Hamburg ähnlich hohe Ausgaben und seien beruflich stark belastet. Sie fordert, die Vergütung anzuheben und weiterer Ausbildungsangebote zu schaffen. Das seien wichtige Bausteine zur Lösung des Fachkräftemangels.
Auch interessant
Auch interessant
Auch interessant
Auch der Kreis unterstützt Norderstedt bei seinem Bemühen um eine eigenständige Erzieherausbildung. Zum nächstmöglichen Zeitpunkt soll eine Fachschule für Pädagogik in Norderstedt eingerichtet werden, um optimale Bedingungen für die Ausbildung in den pädagogischen Berufen zu schaffen und zu sichern, heißt es im Beschlussvorschlag für den Jugendhilfeausschuss des Kreises. Der Landrat wird beauftragt, dieses Projekt zu realisieren.
Kinderbetreuung: Erziehungsberufe attraktiver machen
Der Ausschuss hat ohne Gegenstimme zugestimmt und einen zweiten Teil des Maßnahmenpakets beschlossen, mit dem der Kreis mehr Menschen für den Erzieherberuf gewinnen will: 200.000 Euro aus dem Kreishaushalt sollen im nächsten Jahr an Prämien ausgeschüttet werden. 100 Absolventen der Ausbildung als Sozialpädagogische Assistenten und Assistentinnen bzw. Erzieher und Erzieherinnen, die in einer Kita im Kreis Segeberg ins Berufsleben starten und die Probezeit beenden, sollen als Anerkennung je 1000 Euro bekommen. 50 Kita-Träger, die einen PiA-Ausbildungsplatz anbieten, erhalten für jeden Auszubildenden oder jede Auszubildende je 2000 Euro.
Schritte in die richtige Richtung, denn auch Sozialdezernentin Reinders sagt: „Wir müssen den Beruf attraktiver machen, und dabei geht es nicht nur um die Vergütung.“