Kiel/Bad Bramstedt. Drei mutmaßliche Neonazis des „Aryan Circle“ sitzen wegen eines Raubüberfalls auf der Anklagebank. Verteidigung bremst Gericht aus.

Anderthalb Jahre nach einer Großrazzia gegen die rechtsextreme Gruppierung „Aryan Circle Germany“ müssen sich drei mutmaßliche Neonazis vor einer Großen Strafkammer des Kieler Landgerichts verantworten. Die Anklage wirft den 25- bis 34-Jährigen schweren Raub, Körperverletzung und Sachbeschädigung vor.

Für den Prozess um den Überfall auf einen Mann in Bad Bramstedt vom 14. Oktober 2019 hatte die Strafkammer nur zwei Verhandlungstage vorgesehen. Schon am Donnerstag hätte man gerne das Urteil verkündet.

Aryan Circle: Drei Männer wegen Raubüberfall vor Gericht

Doch die Hamburger Strafverteidigerin Angela Wierig, die im Münchener NSU-Prozess noch Opfer-Angehörige vertrat, und ihr Kölner Kollege Jochen Lober verhinderten einen kurzen Prozess. Mit Anträgen auf umfassende Akteneinsicht zu anderen Strafverfahren gegen ihre Mandanten bremste die Verteidigung das Gericht aus.

Der Vorsitzende Sven Heitmann zeigte sich überrascht und befremdet angesichts des wochenlangen Vorlaufs: „Warum erst jetzt diese Anträge?“ Die Herbeiziehung verfahrensfremder Akten nannte Heitmann „nicht zwingend“. Das Gericht folgte dennoch den Anträgen.

Die Folge: Der auf eine Einzeltat beschränkte Prozess wird erst Mitte November fortgesetzt, ein Urteil frühestens im Dezember erwartet.

Das Trio stand mit Schlagstöcken und Messer bewaffnet vor der Tür

Worum geht es? Laut Anklage von Staatsanwalt Lorenz Frahm stürmte das Trio mit dem „Hitlergruß“ am ausgestreckten Arm die Wohnung des Opfers, zu dessen Schutz die Behörden keine weiteren Angaben machen. Die Vorgeschichte: Einer der Angeklagten soll dem späteren Opfer 120 bis 150 Euro für den Kauf eines Handys geliehen haben. Als der Schuldner das Geld trotz massiver Drohungen und einer Galgenfrist nicht zurückzahlte, stand das Trio mit Schlagstöcken und Messer bewaffnet vor seiner Tür.

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Als der Bewohner auf die Handy-Nachricht „Mach auf!“ nicht reagierte, trat die maskierte Truppe die Tür ein. Sofort sollen die Eindringlinge zugeschlagen haben. Während einer das Opfer „zwei Minuten mit fortwährenden Schlägen traktierte“, durchsuchten die anderen die Räume und steckten drei Handys und zwei weitere Elektronikgeräte ein, so der Vorwurf. Ein inzwischen wegen anderer Gewalttaten inhaftierter 25-Jähriger soll dem Geschädigten ein Messer mit schwarzem Griff vors Gesicht gehalten haben.

Der Glatzenträger war im April vergangenen Jahres von einem Schöffengericht in Neumünster zu zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt worden – wegen gefährlicher Körperverletzung, Bedrohung, Beleidigung von Polizeibeamten und Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Der Neonazi nahm das Urteil an, das ihm die Chance zur Therapie in einer Entziehungsanstalt einräumte.

Opfer hat Angstzustände und Panikattacken

Körperlich trug das Opfer in Bad Bramstedt Prellungen, blaue Flecken und Schwellungen davon. Eine posttraumatische Belastungsstörung äußerte sich in Angstzuständen, Herzrasen und Panikattacken. Nicht zum ersten Mal könnte sich ein „Aryan Circle“-Opfer später aus Angst vor Rache die erlittene Gewalt bagatellisieren oder einem Gedächtnisverlust anheimfallen.

Im März 2020 hatte die Polizei zwölf Wohnungen der „Aryan Circle“-Szene in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Hessen durchsucht. Die Gruppe hatte sich im Juli 2019 auf Initiative des vorbestraften Neonazis Bernd T. (46) in Bad Segeberg zusammengeschlossen. Über die Rolle der drei Angeklagten konnte die Staatsanwaltschaft gestern keine Angaben machen.

Laut Verfassungsschutz rechnete man der Gruppierung bis zu 25 Personen in Schleswig-Holstein zu. Mitglieder der Neonazi-Gruppe seien immer wieder mit Straftaten wie Sachbeschädigung, Bedrohung und Körperverletzung aufgefallen, hieß es.